Pascale Mayer hat schon etliche Bücher für uns lesbar gemacht. Die Translations- und Kommunikationswissenschaftlerin arbeitet als Übersetzerin und wünscht sich mehr Respekt und Anerkennung gegenüber dieser komplexen Arbeit. Ihr eigener Lebensweg würde auch genug Stoff für einen Roman hergeben.
Das Gefühl kennt jeder. Ein neues Buch in Händen zu halten. Unverwechselbar, wie es riecht, wie es sich anfühlt. Wir schlagen es auf. Und beginnen zu lesen. So einfach ist das. Oder vielleicht auch nicht. Als Leser denken wir selten darüber nach, ob wir gerade Sebastian Fitzek, Michael Ende, Juli Zeh oder vielleicht doch Haruki Murakami, Nora Roberts oder Elena Ferrante vor uns haben. Bevor ein fremdsprachiges Buch im deutschen Handel erscheint, wird es erst einmal übersetzt. Eine, die im Gegensatz zum Leser oft darüber nachdenkt, ist Pascale Mayer. Sie arbeitet als Übersetzerin und findet es traurig, dass die Leistungen dieses Berufsstandes so oft ignoriert werden.
Wer schon einmal ein Übersetzungsprogramm benutzt hat, weiß, dass einfache Wörter vielleicht noch funktionieren, komplexere inhaltliche und syntaktische Strukturen aber schon schwieriger sind. Einen Text zu übersetzen, erfordert Fingerspitzengefühl. In jedem Satz stecken zahlreiche Feinheiten auf vielen Ebenen. Selbst einzelne Wörter können unterschiedlich übersetzt werden, am Ende muss sich der Übersetzer für eine Variante entscheiden. Ob ein Roman auch nach der Übertragung in eine andere Sprache noch reizvoll ist, hängt wie beim Original von Wortwahl, Stil, Satzstruktur und Rhythmus der Sprache ab. Diese Verantwortung fällt in den Aufgabenbereich des Übersetzers, der nicht nur Hintergründe recherchiert, sondern auch Konnotationen, Doppeldeutigkeiten oder Wortspiele erkennen und vor allen Dingen auch angemessen in die Zielsprache übertragen muss. Darin liegt die Kunst: eine passende Kopie zu erstellen und dabei trotzdem ein eigenes Werk zu erschaffen.
Jede Übersetzung ist individuell. „Geben Sie tausend Übersetzern einen Text und Sie erhalten tausend verschiedene Versionen", sagt Mayer. Vor einigen Jahren gab es die öffentliche Diskussion, ob ein Synchronsprecher die Figur, die er synchronisiert, künstlerisch mitprägt. Dabei ging es um die finanzielle Entlohnung, aber nicht zuletzt auch um die ideelle Wertschätzung. Ähnlich geht es vielen Übersetzern. Pascale Mayer erzählt, dass sie mit einem Buch, das sie übersetzt hat, eine Lesetour durch Buchläden veranstalten wollte, und sie erinnert sich an die negativen Reaktionen der Buchhändler. Als Übersetzerin sei sie uninteressant für das Publikum, hieß es damals. Lediglich eine Buchhandlung in St. Ingbert im Saarland platzierte ihre Übersetzung des „New York Times"-Bestsellers „Patient H.M." von Pulitzer-Preisträger Luke Dittrich prominent im Schaufenster. Diese Geste mag zwar klein erscheinen, aber Mayer ist es wichtig, sie zu erwähnen.
Gespür für die kleinen Dinge und Details
Übersetzer brauchen ein großes Maß an Allgemeinwissen und an Einfühlungsvermögen. Dass Pascale Mayer dieses Gespür für kleine Dinge und Details hat, merkt man, wenn man ihr begegnet. Angefangen bei der Kleidung über den gedeckten Tisch bis hin zu dem, was sie anschaulich erzählt, ihr Sinn für Feinheiten, aber auch für Kontexte wird schnell deutlich. Sie ist eine höfliche und zurückhaltende Person, gleichzeitig steckt in ihr eine Lebendigkeit und in gewissen Momenten auch die Fähigkeit, sich leidenschaftlich zu ereifern. Dass sie als Übersetzerin heute Romane oder Biografien ins Deutsche überträgt, war allerdings nicht immer geplant.
Pascale Mayer entscheidet sich als Jugendliche im Jahr 1989 für ein Austauschjahr in Amerika. Dort fühlt sie sich in der Offenheit des Landes, in der Sprache und in der Kultur so wohl, dass sie einfach bleibt. Sie macht ihren Schulabschluss und studiert internationale Beziehungen und Theaterwissenschaften. Der ursprüngliche Plan ist es, eine Ausbildung bei den Vereinten Nationen anzuschließen. Doch eigentlich gibt es da noch einen anderen Traum, den Pascale Mayer in sich trägt. Sie möchte Schauspielerin werden. Bis dato ist die Schauspielerei zwar ihre Leidenschaft, aber dennoch nur ein Hobby. Ein Regisseur, den sie an der Universität kennenlernt, spricht ihr Mut zu, etwas aus ihrem Talent zu machen. Sie erinnert sich an ihre Begeisterung von damals: „Wenn das mein Beruf sein könnte, das wäre irre. Es gibt nichts, was mir mehr Spaß macht."
Am Ende entscheidet der Zufall. Ein Dokument, das sie für die Bewerbung bei den Vereinten Nationen benötigt, wird nicht rechtzeitig ausgestellt. Und so kommt sie dorthin, wo das Theaterleben pulsiert, nämlich an den Broadway. Sie absolviert eine zweijährige Schauspielausbildung am renommierten Circle in the Square Theatre, bei dem die Bühne sich in der Mitte des Publikums befindet und nach allen Seiten bespielt wird. Diese Zeit begeistert sie noch heute, auch weil Theater für sie mehr als nur ein Beruf ist. „Es war auch wie eine Art Therapie, weil man sich in den Charakter, den man spielt, vollkommen hereinversetzten und all seine Probleme abladen kann", sagt sie und fügt lachend hinzu: „Ich habe viele russische Stücke gespielt. Das heißt, sehr dramatisch mit vielen Charakteren, die ein hartes Leben und Sehnsüchte und Träume haben. Das war genau ich, deswegen hat es gut gepasst."
Kam per Zufall an den Broadway
Mittlerweile sind die 1990er-Jahre in vollem Gange, und die finanzielle Situation von Theaterschauspielern ist damals alles andere als rosig. Mayer sieht sich mit 25 Jahren schweren Herzens nach etwas Soliderem um. Sie bewirbt sich bei mehreren Hotels und wird mit einem kurzen Umweg über die Rezeption fast vom Fleck weg als Concierge im weltberühmten „Four Seasons Hotel" engagiert. Ein Concierge, insgesamt gibt es damals mehr als zehn davon im „Four Seasons", betreut als eine Art Privatassistent die VIP-Gäste des Hotels, er plant, organisiert und erfüllt kleine und natürlich auch große Wünsche. „Ein Concierge sagt niemals nie. Man muss eigentlich alles für jeden tun und zwar sofort", beschreibt Mayer den Job. „Und wenn das nicht geht, muss man eine gute Art finden, wie man das Problem vielleicht doch lösen kann." Dinge zu strukturieren, Situationen einzuschätzen, angemessen zu reagieren und gleichzeitig auch das eigene Ego hinten anzustellen, diese Fähigkeiten machen einen guten Concierge aus. Die Zeit im „Four Seasons" eröffnet ihr die Chance, die Stadt aus den Augen der Reichen und Schönen zu erleben. New York liegt ihr zu Füßen, sie darf Museen, Restaurants und Theater probeweise besuchen, um später genau diese Lokalitäten an ihre wohlhabenden Kunden weiterempfehlen zu können.
Vielleicht war es Zufall, vielleicht eine Vorahnung, aber Pascale Mayer verlässt New York nach knapp zwölf Jahren kurz vor den Anschlägen am 11. September. Der stressige Teil des Jobs beginnt, an ihrer Gesundheit zu nagen, und sie möchte in ihrer Heimat wieder Kraft schöpfen. Damit entgeht sie knapp einer der erschütterndsten Katastrophen des jungen Jahrtausends, nach der in Amerika nichts mehr ist, wie es war. Pascale Mayer entscheidet sich, in Deutschland zu bleiben und sich neu zu orientieren. Für eine deutsch-britische Produktionsfirma interviewt sie Musikgrößen wie Joe Cocker, Patti Smith oder Seal, schreibt Kurzbiografien und Klappentexte für DVDs und studiert an der Universität des Saarlandes Translations- und Kommunikationswissenschaften. Dass sie beginnt, als Übersetzerin zu arbeiten, ist eigentlich eine logische Konsequenz. Sie spricht mit Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch vier Sprachen, und sie besitzt die Fähigkeit, die sie schon als Concierge unter Beweis gestellt hat, nämlich den Blick fürs große Ganze zu bewahren und trotzdem Details nicht zu vergessen. Auch ihrer neuen Tätigkeit geht sie mit Leidenschaft nach, und sie kämpft dafür, dass in Zukunft die Arbeit des Übersetzers gesehen und gewürdigt wird.
Beim Schreiben kam ihr der Kontakt zu kurz
Doch etwas fehlt ihr bei dieser Tätigkeit. Da ihr beim Schreiben der Kontakt zu anderen Menschen zu kurz kommt, lässt sich Mayer zusätzlich von der University of Cambridge zur Fremdsprachenlehrerin zertifizieren. Als Kommunikations- und Rhetoriktrainerin arbeitet sie mit Akademikern aus aller Welt, vor allem mit Ärzten aus Syrien und dem Irak und merkt, wie groß das Interesse der Schüler an Deutschland und Europa ist. Für Mayer entwickelt sich ein bereichernder Austausch, der sie weiter anspornt. Im Jahr 2015 baut sie auf ihrem Bachelor für internationale Beziehungen auf und schließt zusätzlich am Europa-Institut der Universität des Saarlandes ihren Master of Laws in Internationalem Recht mit Schwerpunkt auf Menschenrecht ab. Pascale Mayer bleibt immer in Bewegung, und doch wird sie im Frühjahr unfreiwillig gebremst.
Das Jahr 2020 hat Freiberufler und Kulturschaffende vor eine große Hürde gestellt. Eigentlich wollte Pascale Mayer sich neben ihrer Übersetzertätigkeit auch dem Theater wieder widmen. Besonders der therapeutische Aspekt, den sie bei sich selbst bemerkt hat, ist ihr wichtig. Vor Kurzem wird sie von der angesehenen Royal Central School of Speech and Drama in London für das Masterprogramm „Drama and Movement Therapy" aufgenommen. Doch Corona lässt sie zögern, sie möchte ihre Eltern und ihren 15-jährigen Hund nicht zurücklassen. „Wenn mir Corona eines gezeigt hat, dann wie unendlich dankbar ich bin, die drei zu haben", sagt sie. Aber es verwundert nicht, dass gerade Pascale Mayer immer auch eine gute Seite sieht: „Das Positive an Corona ist, dass es uns Dinge zugänglich macht, die es vorher eben nicht waren. Ich bin jetzt in einer Schreibgruppe, die sich normalerweise samstagmorgens in Tucson, Arizona, trifft. Das ist bei mir 19 Uhr, passt also perfekt. Wir lesen uns gegenseitig unsere Kurzgeschichten und Gedichte über Google Meet vor. Funktioniert prima und ist regelrecht therapeutisch."