Die Debatte um die Sicherheit des Deutschen Bundestages hat neue Nahrung bekommen – und alten Plänen neue Aktualität verliehen. Dabei sind gravierende Vorkommnisse der jüngsten Zeit noch gar nicht abschließend aufgeklärt.
Immer wieder lässt sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die verfügbaren Bilder über die Ereignisse zeigen, die sich am letzten Samstagabend im August auf der Treppe vor dem Hauptportal des Reichstages abspielen. Dabei interessieren den Hausherren des Bundestages weniger die Bilder oben vor der Tür des Hohen Hauses, sondern vielmehr die Sequenzen, bevor die ungebetenen Besucher die Treppe bevölkern. Dabei fällt Schäuble vor allem eines auf, die polizeilichen Absperrgitter sind plötzlich nicht mehr da, wo sie sein sollten, nämlich gut 100 Meter im Rund vor dem Hauptportal mit seiner stolzen Inschrift „Dem Deutschen Volke" an der Stirn des Wallot-Baus.
An normalen Tagen sollte niemand versucht sein, ein Fahrrad an diese Gitter zu ketten oder sich etwa bequem einfach mal draufzusetzen. Innerhalb einer halben Minute ist ein Polizist da und jagt einen weg. Doch an diesem Demo-Samstag sind die Gitter plötzlich wie von Geisterhand komplett weggeräumt. Diese Gitter sind nur aus dem Inneren des Sperrkreises heraus zu öffnen und wegzuheben.
Dem Bundestagspräsidenten wird klar, dass da vor seiner Tür etwas grundsätzlich schiefgelaufen sein muss. Rekonstruktionen der Ereignisse ergeben, dass tatsächlich Demonstranten über die Gitter gestiegen sind und diese von innen dann in alle Ruhe ausgehebelt und zusammengelegt haben. Von Polizei in diesem Moment weit und breit keine Spur. Das Geheimnis, warum keine Polizei zum Schutz des Bundestages vor Ort war, obwohl dort seit 9 Uhr morgens Reichsbürger um Rüdiger Hoffmann eine Bühne aufgebaut hatten und stundenlang munter demonstrierten, ist bislang ungelöst.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) versuchte zunächst, die Lücke im Zaun etwas ungelenk mit der angespannten Personalsituation an diesem Großdemonstrationstag zu erklären. Wenig glaubwürdig, denn laut den Geisel unterstellten Innenbehörden haben an diesem Samstag überhaupt nur 40.000 Menschen demonstriert, da hat Berlin schon andere „große Lagen" erlebt und auch gemeistert. Schließlich muss nun ein „unglücklicher Kommunikationsfehler in der Einsatzleitung" herhalten. Das kommt der Sache schon recht nahe, wobei offen ist, ob es ein unseliger Fehler oder eher mehr oder minder gezielte Unterlassung war.
Innensenator Geisel bei Polizisten unbeliebt
Geisel ist bei den über 25.000 Polizisten der Bundeshauptstadt, gelinde gesagt, unbeliebt. Das Verhängnis für den SPD-Innensenator begann Anfang Juni mit der Aussage seiner Parteichefin Saskia Esken, „auch in Deutschland gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte". Gemeint waren vor allem Polizistinnen und Polizisten. Von Geisel kam kein Widerspruch, denn die rot-rot-grüne Landesregierung, der er ja angehört, hatte bereits das Landes-Antidiskriminierungsgesetz, kurz LADG, auf den Weg gebracht. Dies gilt seit dem 1. Juli in Berlin. Demnach kann jeder, der sich von öffentlicher Stelle diskriminiert fühlt, dagegen klagen. Dieses Gesetz trifft vor allem Polizisten in Berlin, denen von Linken und Grünen auch schon mal „Racial Profiling" unterstellt wird, bei dem Personen nur wegen Hautfarbe oder Aussehen überprüft werden. Im Rahmen der Debatte um das neue Gesetz und Racial Profiling hätte sich der Chef der Polizei eigentlich vor seine Leute stellen müssen. Nicht so Berlins Innensenator. Im Gegenteil, der 54-jährige SPD-Mann goss, aus Sicht seiner Untergebenen, noch einmal richtig Öl in Feuer.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), aber auch verschiedene Landesinnenminister, drohten Berlin, wegen des Antidiskriminierungsgesetzes zukünftig keine Polizisten mehr zur Amtshilfe in die Hauptstadt zu schicken. Geisel bestimmt daraufhin, dass das umstrittene Gesetz nur für die Berliner Beamten gilt, nicht aber für die Bundes- und andere Landespolizeibedienstete, die in der Bundeshauptstadt leihweise ihren Dienst ausrichten. Zwei-Klassen-Disziplinarrecht bei einem Polizeieinsatz, das ließ das Fass endgültig überlaufen. „Wer mit dem Feingefühl einer Planierraupe über seine eigenen Leute knüppelt, sollte sich über Kommunikationsfehler im Einsatz nicht wundern", so ein erfahrener Beamter gegenüber FORUM.
Wenn der zeitweilig unbewachte Bundestag während einer Großdemonstration eine Retourkutsche gewesen sein sollte, wäre die jedenfalls gelungen. Berlins Innensenator Geisel hat sich bundesweit nicht nur bei seinen Amtskollegen bis auf die Knochen blamiert, sein Chef, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, musste sich schon fragen lassen, warum er an Geisel überhaupt noch festhält. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist dagegen beinahe schon dankbar für den „Treppensturm". Er konnte so noch einmal die Aufklärung eines Vorgangs vom 3. Juli dieses Jahres auf die hausinterne Tagesordnung heben, der tatsächlich ein „veritables Sicherheitsproblem des Hohen Hauses" offenbarte, so ein Bundestagspolizist.
Zwischenfälle gab es schon früher
Es ist der letzte Sitzungstag des Bundestages vor der Sommerpause. Im Plenarsaal herrscht Sicherheitsstufe eins, viele Mitglieder der Bundesregierung sind anwesend, auch die Kanzlerin. Deutschlands Politikelite versammelt sich vor den Ferien zum letzten Mal im Plenarrund. Eine halbe Stunde nach Beginn der Sitzung um 9 Uhr erstürmen dann rund 40 Ökoaktivisten das Dach des Bundestages. Die Kohlegegner sind plötzlich aus dem Nichts auf dem Dach des vorderen Portals des Bundestages. Doch nicht nur das, sie schleppen obendrein auch noch rund 300 Kilogramm Seil, Karabiner und Haken mit und seilen sich dann, inklusive großem Transparent, 25 Meter über der Freitreppe, aus Protest gegen die Kohleverstromung ab. Die Bundestagssitzung geht zwar weiter, aber viele Abgeordnete im Saal fragen sich wie es sein kann, dass sich Öko-Aktivisten mitten durchs angeblich hochgesicherte Haus bis aufs Dach durchschleichen. Noch dazu mit gut 300 Kilogramm Gepäck, das man nicht einfach in der Bauch- oder Handtasche verstauen kann. Im Bundeskriminalamt, Sicherungsstelle in Berlin-Treptow, ist man darüber nicht nur erstaunt, sondern blank entsetzt. Denn anstelle von Bergsteigergeschirr hätte man auf die Weise ja auch Waffen oder Sprengstoff ins Haus schmuggeln können. Bis heute ist nicht wirklich geklärt, wie es den Öko-Aktivisten gelungen ist, mit Sack und Pack dem Parlament im wahrsten Sinne des Wortes aufs Dach zu steigen. Nicht nur Sicherheitsexperten ist klar: Durchgeknallte Weltverschwörer auf der Treppe vor dem Haus an einem sitzungsfreien Tag sind ein Ärgernis. Doch eine ganz andere Qualität der Gefährdungs geht von Demonstranten aus, die – von wem auch immer – quer durch das Gebäude geschleust werden, um daraufhin auf dem Dach des Plenarsaals rumzuturnen, während die Kanzlerin mit ihren Ministern unten im Saal sitzt.
Die jüngsten Ereignisse haben jedenfalls bereits länger existierende Vorschläge für die Sicherung in Erinnerung gerufen. Dazu gehört die Idee eines weitläufigen begrünten Grabens, der sich in die Landschaft einpasst, aber nur schwer zu überwinden wäre. Gegner der Idee, wie etwa Sigmar Gabriel (SPD), warnen vor einem Symbol der Trennung zwischen Politik und Bevölkerung.
Bislang war man in Berlin stolz darauf, eines der offensten Parlamente weltweit zu haben, das mit die meisten Besucher zählt, und vor dem – zumindest zu bestimmten Zeiten und unter Einhaltung gewisser Regeln – sogar demonstriert werden darf.