Fridays For Future (FFF) will wieder sichtbar zurück auf die Straße. Am 25. September ist weltweiter Klimastreik angesagt. Der Anlass zum Protest ist geblieben, aber FFF hat sich verändert, nicht nur durch die Corona-Pandemie.
Die Szenen wirkten schon ein wenig surreal. Greta Thunberg und Luisa Neubauer schweben durchs Bundeskanzleramt, selbstverständlich mit Schutzmaske. Beim Gespräch mit der Kanzlerin am großen runden Tisch sitzen alle schön verteilt auf Abstand. Trotz Bemühungen, das ungewöhnliche Treffen entsprechend zu inszenieren, erwecken die Bilder kaum den Eindruck eines Gesprächs auf Augenhöhe.
Dabei sind die beiden führenden Aktivistinnen von Fridays for Future inzwischen durchaus Gespräche mit den Großen der Politik gewohnt. Genau das sorgt in der Bewegung aber immer wieder für Ärger. Auch diesmal. Es ist die klassische Diskussion in Bewegungen, die mit beträchtlichem Erfolg auf der Straße begonnen haben, getragen vom Ziel, den Regierenden Beine zu machen.
Grund genug dafür gibt es. Es ist nun fast ein halbes Jahrhundert her, dass der Club of Rome, ein Netzwerk aus weltweit renommierten Wissenschaftlern, Ökonomen und Diplomaten, für Aufmerksamkeit sorgte. „Die Grenzen des Wachstums" (1972) war ein viel diskutierter Lagebericht zur Situation der Menschheit, voller Warnungen vor einem demografischen, ökologischen und damit auch ökonomischen Kollaps. Es war auch die Zeit, in der der Begriff „Nachhaltigkeit" in der politischen und gesellschaftlichen Debatte Bedeutung bekam. „Jute statt Plastik" wurde zum Symbol- und Kampfbegriff.
Unstrittig ist seither einiges in Bewegung gekommen. Insbesondere in Europa. Die Luft ist sauberer, Bäche und Flüsse gleichen in der Regel nicht mehr stinkenden Kloaken. Umweltauflagen werden immer weiter verschärft. 1997, also 25 Jahre nach den „Grenzen des Wachstums" wurden mit dem Kyoto-Protokoll völkerrechtlich verbindlich Ziele zur Umsetzung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen beschlossen (die USA lehnten eine Ratifizierung ab). 2015 folgte das Paris Klimaschutzabkommen, gefeiert als großer Durchbruch. 196 Staaten und die Europäische Union bekannten sich zum zentralen Ziel, die menschengemachte globale Erderwärmung auf unter zwei Prozent gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Renommierte Wissenschaftler halten aber auch das für nicht ausreichend, um sogenannte Kippeffekte zu verhindern, also eine Entwicklung, die nicht rückgängig zu machen ist und somit unweigerlich in eine Heißzeit mit allen bereits heute absehbaren Folgen führen würde. Die USA unter Trump haben bekanntlich das Abkommen gekündigt, während die EU sich einen Green Deal verordnet hat.
„Keinen Weg unversucht lassen"
Die Mahnungen des Club of Rome haben ihren Anteil am Entstehen einer Umweltbewegung in den 1970er-Jahren, 1980 wurden die Partei Die Grünen gegründet. Die Debatten zwischen Fundis und Realos sind legendär. Und etliche Argumente von damals tauchen auch jetzt bei Fridays for Future wieder auf. Innerhalb der Bewegung wird heftig gestritten, mit uneinheitlichen Linien. Da ist zum einen die Systemfrage, hinter der letztlich die (ebenfalls nicht neue) Frage steht, ob eine nachhaltige Rettung des Klimas überhaupt in einem auf Wachstum angelegten Wirtschaftssystem möglich ist.
Zum anderen haben zwei Zeitläufte die Diskussion verändert. Corona und der Lockdown mit allen Folgen haben den Aufschwung der „Fridays" erheblich gedämpft, nicht nur, weil die klassischen Aktionsformen lange nicht möglich waren und sich auch heute noch nur eingeschränkt entfalten können. Die Pandemie hat andere politische und gesellschaftliche Themen in den Vordergrund gerückt, die im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit den „Fridays" den Rang abgelaufen haben. Das ist eine der Herausforderungen für eine Bewegung, die sich trotz erheblicher Professionalisierung nach wie vor stark auf freies Engagement stützt und auch deshalb neue Aufmerksamkeitsformen finden muss. Schulstreiks, die sich ohnehin bereits etwas abgenutzt hatten, sind in diesen Zeiten erst recht kein Mittel der Wahl, Schulen haben derzeit bekanntlich andere Probleme.
Mit dem aufziehenden Wahlkampf für die Bundestagswahl im kommenden Jahr stellt sich der Bewegung eine weitere Herausforderung. Es ist nicht die Frage, die seinerzeit die Grünen zu klären hatten – und mit der Parteigründung in Karlsruhe beantworteten. Obwohl eine Parteineugründung gegen die etablierten Parteien in einer gewissen Logik stehen würde. Die Linke hat der SPD das Leben schwer gemacht, die AfD fordert die Konservativen. Und die Grünen, die anfänglich Teile der SPD anzogen, wildern inzwischen im bürgerlichen Milieu, wo sonst Konservative und Liberale heimisch waren. Ihnen käme jetzt ganz zupass, wenn sich die „Fridays" wie die Kinder in den Schoß der Mutter begäben.
Nur sind die in doppelter Weise zickig. Einige geben dem Werben der Grünen mit einem Listenplatz für die Bundestagswahl nach und begründen das zum Teil ausgerechnet damit, dass sie den Grünen einen viel zu laschen Kurs in Klimafragen vorwerfen. Die Devise: Druck machen von innen, die Partei wieder zu ihren Wurzeln zurückführen. Eine Reihe von Kandidaturen quer durch die Republik ist bekannt geworden. Und dass sich Luisa Neubauer bei den Grünen engagiert, ist auch kein Geheimnis.
Für besonderes Aufsehen hat Jakob Blasel gesorgt. Er galt lange Zeit als „das männliche Gesicht" der Bewegung. Nun zieht es ihn in den Bundestag, mit einer aus seiner Sicht plausiblen Begründung: „Wir haben nur noch die nächste Wahlperiode, um die nötigen Gesetze auf den Weg zu bringen", sagte er „Zeit Campus online". Das Klimapaket der Bundesregierung hält er für eine Bankrotterklärung angesichts der drängenden Zeit. Und weil sich die Bundesregierung nach seiner Meinung eben nicht vom Protest auf der Straße ausreichend beeindrucken lässt, will er den Protest ins Parlament tragen. „Wir dürfen keinen Weg unversucht lassen".
Nur noch die nächste Wahlperiode Zeit
In der Bewegung gehen die Meinungen über derlei Ambitionen weit auseinander. Erst recht angesichts der Fotos mit der Kanzlerin. Dass die Grünen die Bewegung umgarnen, mag noch angehen, dass die Kanzlerin jetzt quasi Umarmung andeutet, das geht dann doch vielen zu weit. Erst recht, wenn sie sich das Ergebnis dieses Gipfels im Kanzleramt betrachten. Da hilft auch nicht, dass Greta der Kanzlerin harte Kritikworte ins Stammbuch schreibt, genauer: per offenem Brief, der auch an alle EU-Regierungschefs ging, kundtut. „Wir brauchen Führungspersönlichkeiten, die aus der Komfortzone herauskommen", sagt Greta. Das Schreiben hat zwar viel Zustimmung gefunden, viele prominente Namen, Wissenschaftler, Schauspieler und andere Künstler, stehen auf der Unterzeichnerliste, aber nach dem Kanzlerintreffen stellt Neubauer nüchtern fest: „Es ist klar: Wir haben unterschiedliche Perspektiven". Berliner Kollegen vermerken danach: „Fridays for Future, ihr seid zu freundlich."
Vom Kanzleramt und Online-Protestaktionen soll es nun wieder auf die Straße gehen. Der 25. September ist zum weltweiten Klimaprotesttag ausgerufen. Angesichts der Pandemie sei die Entscheidung nicht leicht gefallen, aber „anhaltende klimapolitische Ignoranz" (Neubauer) mache den Schritt auf die Straße nötig. „Die letzten Monaten haben gezeigt, dass wir auf Klimaproteste nicht verzichten können", meint auch Aktivist Nick Heubeck.
„Die Klimakrise macht keine Pause", heißt ein Slogan, wohl als Hinweis gedacht, dass kurzfristig messbare Verbesserungen etwa bei Emissionen nur einem zeitweise rigiden Lockdown zu verdanken waren, aber nicht über die gesamte Entwicklung täuschen können.
Und damit für die zahlreichen geplanten Demos quer durch die Republik zur Unterstützung des globalen Klimastreiks kein Missverständnis aufkommen kann, prangt auf den Ankündigungen im Netz quasi als Siegel: „coronakonform".