Bund und Länder haben einen Pakt geschlossen: Der Öffentliche Gesundheitsdienst soll besser ausgestattet werden. Dessen Mediziner fordern mehr.
Das mit der Digitalisierung klappt erst mal nicht so toll, und einspringen müssen Menschen aus Fleisch und Blut. Um die groß angekündigte, von weiten Teilen der Bevölkerung wie ein Heilsbringer erwartete und mit fast 70 Millionen Euro Steuergeld nicht ganz billige Corona-App ist es etwas still geworden. Dafür werden in den Gesundheitsämtern seit Monaten Überstunden gemacht. Gearbeitet wird oft an sieben Tagen die Woche. Jeden Tag gibt es wieder über Tausend Corona-Neuinfektionen. Die Mitarbeiter müssen entscheiden, wer in welche Quarantäne muss und müssen versuchen, die Kontakte zu rekonstruieren. Sie müssen die betreffenden Personen kontaktieren und entscheiden, ob Betriebe oder Schulen geschlossen werden. Das bedeutet viele Telefongespräche, die oft belastend sind, denn Menschen haben nicht nur Angst um ihre Gesundheit, sondern sie sorgen sich auch über finanzielle und soziale Konsequenzen einer Quarantäne.
Ganz Deutschland schaut seit fast einem halben Jahr auf seine 375 Gesundheitsämter. „Wenn unser Land bisher so verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen ist, wenn das Infektionsgeschehen nicht die Ausmaße erreicht hat, die wir in anderen Ländern beobachten mussten, dann hat das nicht zuletzt mit dem zu tun, was tagtäglich im öffentlichen Gesundheitsdienst geleistet wird", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem aktuellen Video-Podcast. „Das Infektionsgeschehen im Griff zu haben" sei das A und O, damit man nicht in eine unkontrollierte Entwicklung abgleite. Und sie sagte natürlich auch: „Danke an alle, die in den öffentlichen Gesundheitsämtern arbeiten. Sie leisten zurzeit wirklich Wichtiges für uns alle."
5.000 neue Stellen in den Ämtern geplant
Davon können diese sich erst mal nichts kaufen, aber das wird sich bald ändern. Über Wochen wurde an einem „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst" verhandelt, der nun am Wochenende von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) präsentiert wurde. Mit am Tisch saßen die Bundesländer und die Vertreter der Kommunen und Landkreise. Bei denen sind die Gesundheitsämter in den Flächenstaaten angesiedelt. Dass der Bund nun vier Milliarden Euro für die Gesundheitsämter zuschießt, kann man auch als Zugeständnis sehen, dass man diese in den vergangenen Jahren vernachlässigt hat. 800 Millionen Euro sollen in die Digitalisierung gehen, mit den restlichen 3,2 Milliarden aber sollen 5.000 neue Mitarbeiter eingestellt und die Gehälter aufgestockt werden. Pro Gesundheitsamt, rechnete Spahn vor, gebe es zehn bis zwanzig neue Stellen.
Das mit den Gehältern wird noch spannend. So klagt der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) seit Jahren, dass die Gesundheitsämter finanziell vernachlässigt wurden. Zu wenig Personal, zu wenig Geld. Das hat eine lange Vergangenheit, schon in den 1970er-Jahren gab es ähnliche Klagen, schon damals ohne große Reaktion. Zusammen mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund fordert der BVÖGD nun einen eigenen Tarifvertrag für die Ärzte in den Gesundheitsämtern. Diese sind dort bisher nach dem umfassenden TVöD (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst) als Verwaltungskräfte angestellt, nicht speziell als Ärzte. Das bedeutet, dass sie durchschnittlich etwa 1.500 Euro im Monat weniger verdienen als etwa Krankenhausärzte mit vergleichbarer Berufserfahrung. Zwar sind die Arbeitsbedingungen von Krankenhausärzten bekanntermaßen besonders hart, aber dennoch scheint ein solcher Unterschied beim Gehalt schwer zu rechtfertigen. Die Arbeitgeber, also die Kommunen bieten Zuschläge an, aber das reicht den beiden Organisationen nicht. Sie wollen einen eigenen Tarifvertrag. „Mit Zuschlägen kommt man auf Dauer nicht weiter, die Gehaltsunterschiede zu anderen Tätigkeitsbereichen lassen sich dadurch nicht wettmachen. Die jungen Ärzte wollen eine klare Zukunftsperspektive", sagt ein Sprecher des Marburger Bundes.
Forderung nach eigenem Tarifvertrag
Selbst über die Anzahl der Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern besteht Uneinigkeit. Die Zahl von 2.900 Ärzte-Vollzeitstellen sei „Schönfärberei" sagt der Marburger Bund. 2.561 Ärzte habe die Bundesärztekammer ermittelt, wobei da schon die beamteten enthalten sind. Das sind allerdings nur die Ärzte. Insgesamt arbeiten in den Gesundheitsämtern derzeit knapp 14.000 Personen, wobei knapp 6.000 seit Corona dazu gekommen sind, viele davon nicht dauerhaft beschäftigt, sondern Bundeswehrangehörige oder Studenten, die als Containment-Scouts die aufwendige Kontaktverfolgung übernehmen.
Bund, Länder, Landkreise und Kommunen stehen vor einer schwierigen Einigung. Die Landkreise wollen die Sicherheit, dass die Finanzierung auch über die ersten Jahre hinaus gesichert ist, wenn die Corona-Milliarden aufgebraucht sind. Die Ärzte wollen als Ärzte bezahlt werden, was allein schon ein bis zwei Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr bedeuten würde. Zugleich fordern SPD und Grüne eine Grundgesetzänderung, die den Bund bei den Gesundheitsämtern stärker in die Verantwortung zieht. Dass diese bei den Landkreisen und Kommunen liegt, ist eine Nachkriegsentscheidung, um den Gesundheitsdienst nach den furchtbaren Erfahrungen der Nazi-Zeit dem Staat und seinen Politikern zu entziehen. Ob das Argument heute noch zieht, ist umstritten. Nicht aber der Handlungsbedarf. In Berlin-Marzahn droht das Gesundheitsamt bald ohne Leitung dazustehen und in Neukölln droht eine Unterbesetzung um 35 Prozent, warnt der BVÖGD.