Das Istaf, das älteste Leichtathletik-Meeting der Welt, findet am 13. September trotz Corona statt – sogar mit einigen Zuschauern. Die besten deutschen Athleten treffen im Berliner Olympiastadion auf namhafte internationale Konkurrenz. Eine aber, die im Vorjahr noch Weltrekord lief, wird diesmal fehlen.
Es war ein etwas gewöhnungsbedürftiges Outfit, mit dem sich Christian Taylor vor zwei Jahren auf der Tribüne des Berliner Olympiastadions blicken ließ. Das Bild auf der Stadionleinwand zeigte den mehrfachen Weltmeister und Olympiasieger im Dreisprung, wie er in Lederhosen und Trachtenhemd mit Österreich-Fahne im Publikum saß. Taylor drückte 2018 nur seiner Freundin die Daumen, der österreichischen Hürdenläuferin Beate Schrott – er selbst war als Amerikaner beim kontinentalen Leistungsvergleich nicht startberechtigt. Die Stimmung in Berlin aber begeisterte ihn nachhaltig. Seitdem stand für ihn fest, dass er irgendwann selbst einmal in der altehrwürdigen Arena antreten will. Noch Ende Juli erklärte er im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung", wie gern er in diesem Jahr beim Istaf mitmachen würde, ja er schmeichelte sich regelrecht ein. Danach mussten die Organisatoren keine große Überzeugungsarbeit mehr leisten, um Christian Taylor für das Event am 13. September zu verpflichten.
Bei der diesjährigen Auflage des Internationalen Stadionfests zählt Taylor zu den größten Zugpferden. Viermal wurde der Amerikaner Weltmeister sowie 2012 und 2016 Olympiasieger; bei der WM 2015 in Peking gelang ihm mit 18,21 Meter zudem der zweitweiteste Sprung aller Zeiten. Eigens für ihn hoben die Macher des Istaf den Dreisprung wieder ins Programm, der seit 2016 in Berlin nicht mehr stattgefunden hat. „Als herausragender Dreispringer unserer Zeit wird seine Berlin-Premiere ein Highlight des Istaf 2020 werden. Schon in den Vorjahren hatte er großes Interesse, bei uns dabei zu sein", erklärte Meetingdirektor Martin Seeber. Taylor trifft im Olympiastadion unter anderem auf den Europameister von 2016 und amtierenden Deutschen Meister, den Chemnitzer Max Heß.
In der Diamond League, der höchstdotierten Meetingserie weltweit, sind die Dreispringer seit dieser Saison nicht mehr vertreten. Der Leichtathletik-Weltverband hat das Programm für die Eliteserie gestrafft und neben dem Dreisprung auch den 200-Meter-Lauf, die 3.000 Meter Hindernis sowie das Diskuswerfen von den großen Geldtöpfen verbannt. Beim Istaf sind die Dreispringer ausnahmsweise wieder mittendrin im Kreis der weltbesten Leichtathleten. Aber auch für alle anderen Athleten ist das Meeting eine willkommene Abwechslung in dieser ansonsten so tristen Saison. Zahlreiche Wettkämpfe fielen wegen des Coronavirus gleich ganz aus; die anderen fanden zumeist vor leeren Rängen ohne Zuschauer statt. Auch die nationalen Titelkämpfe in Braunschweig wurden in diesem Jahr als „Geister-Meisterschaften" ausgetragen.
Beim Istaf werden nun dank eines detaillierten Schutz- und Hygienekonzepts zumindest 3.500 Zuschauer live dabei sein können. „Unser Ziel ist es, mit dem Istaf ein Zeichen für den Sport zu setzen und ein Leuchtturm für die Leichtathletik zu sein. Wir wollen gemeinsam mit unseren Partnern zeigen, dass wir auch in schwierigen Zeiten für die Fans und die Athleten da sind. 3.500 statt 45.000 Zuschauer – das Istaf wird sicherlich diesmal anders. Aber es ist vielleicht ein erster kleiner Schritt zurück zur Normalität", sagte Martin Seeber.
„Erster kleiner Schritt zurück zur Normalität"
Als Deutschlands größtes und zudem weltweit ältestes Leichtathletik-Meeting (mit der Premiere bereits im Jahr 1921) ist das Internationale Stadionfest Berlin jedes Jahr ein Höhepunkt im Sportkalender. In diesem Jahr dürfte das Interesse sogar noch etwas größer sein als sonst, auch bei den Anhängern anderer Sportarten. Nach der jüngsten Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder, wegen der anhaltenden Corona-Pandemie Großveranstaltungen vor Publikum bis mindestens Ende Dezember nicht zuzulassen, sofern eine Kontaktverfolgung und die Einhaltung von Hygieneregelungen nicht möglich ist, sind viele in Sportdeutschland alarmiert. Die Sorge ist, dass viele Vereine und Veranstaltungen eine noch längere Auszeit nicht überleben. Die Erfahrungen, die man beim Istaf mit der Umsetzung des Hygienekonzepts sammelt, werden deshalb von vielen Sportfans und Funktionären genau verfolgt. „Wir blicken mit Interesse auf das Leichtathletikmeeting Istaf am 13. September mit 3.500 Zuschauern", sagte Thomas Härtel, der Präsident des Landessportbunds Berlin, dem „Tagesspiegel". Der LSB Berlin sei dafür, dass man solche Ereignisse nutze, um Erfahrungen zu sammeln. „Wir denken, dass es besser ist, sich an Großveranstaltungen heranzutasten, als diese generell abzulehnen", betonte Härtel.
Jetzt zahlt es sich aus, dass die Organisatoren im Frühjahr nach Ausbruch der Pandemie erst einmal abwarteten, während andere Veranstaltungen bereits abgesagt wurden. „Mit Blick auf unsere Fans, Partner und die Athletinnen und Athleten fühlen wir uns verpflichtet, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, sondern alle erdenklichen Szenarien durchzuspielen", erklärte Meetingchef Martin Seeber im April. Die Beharrlichkeit hat sich gelohnt: Weil zahlreiche andere Meetings in aller Welt wegen Corona nicht stattfinden können, kommen einige Topathleten nach Berlin, die ansonsten womöglich woanders gestartet wären. Etwa im Stabhochsprung, auf dem Papier ganz sicher die am stärksten besetzte Disziplin. Von den fünf aktiven Sechs-Meter-Springern geben gleich vier ihre Visitenkarte in der Hauptstadt ab: Weltrekordhalter Armand Duplantis (Schweden/6,18 Meter), Weltmeister Sam Kendricks (USA/6,06 Meter), Olympiasieger Thiago Braz da Silva (Brasilien/6,03 Meter) sowie der letztjährige WM-Dritte Piotr Lisek (Polen/6,02 Meter). Martin Seeber sagte: „Das wird ein Istaf-Wettbewerb der Superlative. Stark, dass auch in diesen schwierigen Zeiten so viele Ausnahme-Athleten nach Berlin kommen wollen." Mit dabei ist auch der Deutsche Meister Bo Kanda Lita Baehre aus Leverkusen, der WM-Vierte von 2019, der seine Bestleistung in diesem Jahr auf immerhin 5,81 Meter verbessern konnte.
„Das wird ein Istaf-Wettbewerb der Superlative"
Auch andere deutsche Athleten sind in Topform. Speerwerfer Johannes Vetter zum Beispiel: Der Weltmeister von 2017 steht mit seinen 91,49 Metern vom Meeting in Turku (Finnland) mit fast vier Metern Vorsprung an der Spitze der Weltjahresbestenliste – kein anderer Athlet hat in diesem Jahr bislang die 90-Meter-Marke übertroffen. Sollte er seine Leistung beim Istaf bestätigen, würde er den 25 Jahre alten Meetingrekord von Weltrekordhalter Jan Zelezny aus Tschechien übernehmen, der den Speer 1995 auf 91,30 Meter beförderte. „Mit dem Meetingrekord liebäugele ich schon", sagte Vetter. „Dass wir Athleten unseren Saisonabschluss auch in diesem Jahr mit dem Highlight Istaf feiern können, ist einfach überragend. Toll, dass alle Beteiligten dies möglich machen. Ich bin mir sicher, dass die Fans ordentlich ,Bambule‘ machen werden."
In den Sprints über 100 Meter sind die Deutschen Meister Lisa Marie Kwayie und Deniz Almas gesetzt. Vor allem „Turbotürke" Almas, wie er sich selbst nennt – der Vater ist Türke, die Mutter Deutsche –, ist die Entdeckung der Saison: Kein anderer Sprinter in Europa war in diesem Jahr schneller als er mit seinen 10,08 Sekunden. Weitsprung-Weltmeisterin Malaika Mihambo, Deutschlands amtierende Sportlerin des Jahres, hat es mit 6,71 Meter dagegen für ihre Verhältnisse bislang eher ruhig angehen lassen. Ihre Bestweite aus dem Vorjahr steht bei 7,30 Meter. Allerdings springt Mihambo in diesem Jahr auch nur aus verkürztem Anlauf. Der Fokus liegt bei ihr nach der Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio ganz klar auf dem kommenden Sommer.
„Mein Körper braucht eine Pause"
Das gilt notgedrungen auch für Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause, die eigentlich ebenfalls beim Istaf starten wollte. An Berlin hat sie gute Erinnerungen: 2018 wurde sie dort Europameisterin über 3.000 Meter Hindernis; 2019 lief sie beim Istaf sogar Weltrekord über die eher selten gelaufene Distanz von 2.000 Meter Hindernis. Nachdem sie in diesem Jahr jedoch bei den Deutschen Meisterschaften aussteigen musste, hat sie ihre Saison wegen Erschöpfung vorzeitig abgebrochen. „Für jetzt bleibt mir nur zu sagen, dass die vergangenen 23 Monate kräftezehrend waren und ich meine Energie aufgebraucht habe", sagte sie. „Ich habe mir zum ersten Mal eingestanden, dass mein Körper eine Pause braucht." Krause will sich nun eine Auszeit gönnen, um sich 2021 in Tokio ihren Traum von einer olympischen Medaille zu erfüllen.