Ende November 2020 werden zwei betagte Box-Legenden ihr Comeback im Ring geben. Wobei Zweifel am sportlichen Wert des ohne Punktrichter ausgetragenen Schaukampfs zwischen Tyson und Jones erhoben wurden.
Eine gefühlte Ewigkeit von knapp 15 Jahren war seit Mike Tysons in einer blamablen Niederlage gegen den irischen Kämpfer Kevin McBride geendeten Karriere als Profiboxer vergangen. Doch seit Anfang 2020 hatten sich die Gerüchte verdichtet, dass der einstige Champion, dem der rasante Aufstieg vom Straßenschläger zum jüngsten Schwergewichtsmeister aller Zeiten gelungen war, ernsthaft an einem Comeback im Ring arbeitete. „Iron Mike", der dank seiner gefürchteten Schlagkraft 44 seiner insgesamt 58 Fights durch Knock-out gewonnen und für das schnelle Ende in 22 Kämpfen gerade mal eine Runde gebraucht hatte, hatte selbst die Spekulationen um seine Rückkehr durch diverse Instagram-Posts genährt, in denen Videosequenzen von schweißtreibenden Trainingseinheiten zu sehen waren. Zwar konnte der damals 53-Jährige sein Alter vor allem dank seines ergrauten Barts nicht gänzlich kaschieren, aber seine früher viel bewunderte Rumpf-Beweglichkeit, dank der er vielen Punches seiner Gegner ausweichen konnte, und seine einstmals hohen, schnellen und wuchtigen Schlagfrequenzen schien er noch nicht gänzlich verloren zu haben.
Dass Tyson, der seinen langjährigen Nimbus der Unbesiegbarkeit anno 1990 sensationell gegen James „Buster" Douglas verloren hatte, an einem Comeback bastelte, brauchte er gar nicht selbst auszusprechen. Diesen Job überließ er clevererweise den Medien, die denn auch ab vergangenen Mai wilde Diskussionen um mögliche Gegner angezettelt hatten. Es kursierten Namen wie Evander Holyfield, Tyson Fury oder Shannon Briggs. Wobei Holyfield als klarer Favorit gehandelt wurde, schließlich hatte Tyson mit dem früheren Schwergewichts-Champion nach zwei Niederlagen noch eine Rechnung offen, obwohl er seinem Rivalen im legendären Skandalkampf anno 1997 bereits einen bleibenden körperlichen Schaden in Gestalt eines abgebissenen Ohrläppchenstücks zugefügt hatte.
Tyson ließ die Journalistenmeute amüsiert zappeln, konnte sich aber einen Kommentar nicht verkneifen: „Wir haben so viele Jungs, die es mit mir aufnehmen wollen. Ihr werdet die Namen nicht fassen können, wenn sie herauskommen." Seine Kampfbörse werde er für seine „obdachlosen und drogensüchtigen Brüder" spenden, weil er schließlich „selbst obdachlos und süchtig" gewesen sei. Der 57-jährige Holyfield, der sich etwa zeitgleich mit Tyson in Trainingseinheiten mit Wladimir Klitschko die nötige Fitness für ein etwaiges Comeback anzueignen versucht hatte, gab sich optimistisch in Sachen Tyson-Fight: „Ich würde Mike nicht fragen, ob er gegen mich boxt. Wenn man jemanden zweimal geschlagen hat, dann hat man das nicht nötig. Mike muss mich um einen Kampf bitten, nicht umgekehrt."
Tyson siegte 44 Mal vorzeitig
Dass ausgerechnet Badboy Tyson mit seinem Killer-Image und der markanten Zahnlücke, der in seinem Privatleben schon häufig auf die schiefe Bahn geraten war samt Gefängnisaufenthalt wegen Vergewaltigung oder Verurteilung wegen Drogenkonsums, jemand anderen um etwas bitten würde, wäre mal eine echte Sensation gewesen. Eine solche war auf jeden Fall die offizielle Bekanntgabe des Namens seines Gegners. Denn mit dem inzwischen 51-jährigen Roy Jones jr. hatte wohl niemand gerechnet. Auch wenn dieser Boxer von vielen Experten dank seiner Geschwindigkeit und Dynamik im Ring, seinen unfassbaren Reflexen sowie seiner ausgefeilten Technik zu den größten Schwergewichts-Weltmeistern aller Zeiten gezählt und von manchen sogar mit Muhammad Ali verglichen wurde. Die geringe Größe von gerade mal 1,80 Meter konnte er in seinen Glanzzeiten, in denen er den WM-Titel in gleich fünf verschiedenen Gewichtsklassen erobern konnte und in den Jahren zwischen 1989 und 2003 als nahezu unbesiegbar galt, durch eine selten gesehene Athletik ausgleichen. In 75 Kämpfen verließ er den Ring 66-mal als Sieger, wobei er einen Knock-out-Rekord von 47 aufstellen konnte. In der Kategorie „Pound for Pound", in der die Kampfstärke in Relation zum Körpergewicht bewertet wird, wird er heute noch offiziell als bester Boxer der Welt geführt.
Roy Jones jr. kann daher als ein mehr als würdiger Kontrahent des inzwischen 54-jährigen Tyson angesehen werden. Jones’ Vorteil gegenüber dem gleich großen Tyson: „Captain Hook", so der Spitzname von Jones, hatte die Handschuhe erst im Februar 2018 endgültig an den Nagel gehangen. Auch wenn seine glorreiche Karriere eigentlich mit der Niederlage im Halbschwergewicht gegen Antonio Tarver anno 2004 beendet war und er danach nur noch weiterboxend die Zerstörung seines eigenen Mythos betrieb. Viele Boxing-Insider sind der Meinung, dass der anstehende Kampf mit Tyson um 17 Jahre zu spät kommt. Denn im Jahr 2003, als Jones nach dem Wechsel vom Halbschwergewicht ins Schwergewicht WBA-Champion geworden war, hatte man ihm mit einer Börse von stolzen 40 Millionen Dollar einen Schlagabtausch mit dem damals nach der Niederlage gegen Lennox Lewis leicht schwächelnden Mike Tyson schmackhaft machen wollen. Das Duell sollte nicht zustande kommen, womöglich hielt Jones seinen Kollegen noch immer für zu gefährlich und wählte daher einen bequemeren sportlichen Ausweg.
Auch Holyfield hat noch mal Lust
Ursprünglich war der 12. September als Termin für den Tyson-Jones-Kampf vertraglich vereinbart worden. Als Veranstaltungsort hatte man für das Aufeinandertreffen der beiden Box-Opas den „Dignity Health Sports Park" im kalifornischen Carson auserkoren. Doch Anfang August wurde die Verschiebung des Fights auf den 28. November an gleicher Stelle und ohne Zuschauer-beteiligung verkündet. Als Begründung führte Tyson an, dass der neue Termin rund um Thanksgiving wesentlich höhere TV-Einschaltquoten bescheren könnte. Schließlich wird das Event exklusiv nur im Pay-TV übertragen, die Social-Video-Plattform Triller erhofft sich offenbar große Kasse, wozu auch noch eine zehnteilige Dokumentation beitragen soll. Die Kampfbörse wurde auf 50 Millionen taxiert, wovon sich Jones laut eigenen Angaben zehn Millionen für sein eigenes Konto verspricht. Ob Mike Tyson tatsächlich seine vollmundigen Ankündigungen wahrmachen und seine eigene Gage wohltätigen Zwecken zur Verfügung stellen wird, bleibt abzuwarten. „Das Geld wird für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen sein", so Tyson, „Niemand muss sich jemals Sorgen machen, dass ich reich dabei werde. Ich bekomme nichts." Mit Geld konnte der Ex-Champion nie gut umgehen, nach eigenem Bekunden hat er bereits 500 Millionen Dollar sinnlos verprasst, wovon 300 Millionen Dollar aus Box-Honoraren gestammt hatten. Viel spricht daher dafür, dass sein Comeback auch mit dem Klammsein auf dem eigenen Konto zu tun haben könnte. Zur Terminverschiebung könnte auch die angespannte Corona-Situation beigetragen haben, weil für die nötigen hygienischen Arbeiten mehr Vorlaufzeit benötigt wird und weil man zudem die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass der Kampf bei einer deutlichen Verbesserung der Corona-Lage womöglich sogar vor Zuschauern ausgetragen werden könnte. Tyson hat schon mal verlauten lassen, dass er im Falle eines Erfolgs des Events weitere Fights im Rahmen seiner eigens gegründeten Firma „Legends Only League" durchführen möchte.
Der sportliche Wert des Fights dürfte nahe null liegen. Denn die California State Athletic Commission (CSAC) hat Auflagen erlassen, die einen regelgetreuen Profibox-Wettkampf unmöglich machen. Mehr als ein auf acht Runden à drei Minuten angesetzter Schaukampf mit Sparring-Charakter ist nicht erlaubt. Auf einen angedachten Kopfschutz wurde zwar verzichtet, doch müssen die Boxer stärker gepolsterte und daher schwere Handschuhe tragen (zwölf Unzen statt zehn, 340 statt 280 Gramm), um das Gesundheitsrisiko bei Kopftreffern, die bei Boxern für Spätfolgen wie Alzheimer oder Parkinson verantwortlich gemacht werden, zu reduzieren. Knock-outs sind ausdrücklich verboten, bei Verletzungen wie Cuts muss der Ringrichter den Kampf sofort abbrechen. Da es keine Punktrichter geben wird, kann auch keine Wertung erfolgen. Was internationale Wettbüros seltsamerweise aber nicht davon abhält, Einsätze auf die beiden Kontrahenten entgegenzunehmen, wobei Tyson als klarer Favorit gehandelt wird.
Tyson will seine Gage spenden
„Wir können nicht so tun, als ob Mike Tyson gegen Roy Jones jr. ein echter Kampf sei", sagt CSAC-Direktor Andy Forster: „Es ist nicht so, dass die beiden da rausgehen und versuchen werden, sich gegenseitig den Kopf von den Schultern zu schlagen. Sie werden in den Ring steigen, sich im Ring bewegen, etwas Geld verdienen und den Fans die Möglichkeit bieten, diese Legenden zu sehen. Ich möchte nicht, dass sich jemand verletzt. Sie können hart sparren, aber sie sollen keinen Knock-out anstreben. Ich habe ihnen gesagt: Verletzt sich jemand dabei, ist das Ganze vorbei." Tyson, der sich im Vorfeld der Show gewohnt überheblich als „größten Kämpfer seit Gottes Schöpfung" bezeichnet hatte, gab sich anfangs einsichtig: „Wir sind erfahrene Kämpfer. Wir wissen, wie wir auf uns aufpassen. Uns wird’s gut gehen. Vertraut mir." Um wenig später jedoch nachzuschieben, dass er eine etwaige Chance für einen Knock-out nicht ungenutzt lassen werde. Was Jones nicht weiter überraschen konnte: „Ich verstehe Mike, denn er sieht nicht nur wie ein Killer aus, er ist einer. Wenn er mich nicht schnell umlegt, kämpft er gegen einen der cleversten Typen, die das je gemacht haben. Wenn er mich nicht schnell umlegt, kriegt er Probleme." Generell scheinen beide Herren zu beweisen, dass das alte Motto der entthronten Champs „They never come back", nicht mehr gilt. Manchmal kommen sie doch wieder.