Weniger Mitglieder, weniger Priester, weniger Geld. Die katholische Kirche in Deutschland sucht mit neuen Formaten und tiefgreifenden Strukturreformen nach Antworten. Rom reagiert mit „Doppelbotschaften" auf die neuen Wege.
Das wird unbequem, sagt Markus Hofmann. „Jede Veränderung ist unbequem", weiß der Kölner Generalvikar. Das größte deutsche Bistum steht vor einer umfassenden Strukturreform. Aus derzeit 500 Pfarreien sollen bis 2030 zwischen 50 und 60 Großpfarreien werden. Bereits jetzt sind die 500 Pfarreien in 180 übergeordneten Einheiten, sogenannten Seelsorgebereichen organisiert. Dass Deutschlands größte Diözese derart einschneidende Schritte plant, ist anhand von einigen Kennziffern nachzuvollziehen.
Derzeit zählt das Erzbistum Köln rund 1,9 Millionen Katholiken, 1990 waren es noch 2,5 Millionen – und Prognosen zufolge könnte die Zahl bis 2060 weiter auf eine Million schrumpfen. Prognosen über so lange Zeiträume sind zwar mit Vorsicht zu genießen, aber die Tendenz der Entwicklung ist eindeutig. Finanziell könnte das bedeuten: Den Kölnern fehlen bis zum Ende des Jahrzehnts geschätzt 100 Millionen Kirchensteuereinnahmen. Dabei sind mögliche Sondereffekte noch gar nicht mit eingerechnet.
Der Druck ist groß. Nicht nur in Köln. Und nicht nur in der katholischen Kirche in Deutschland. Jeweils rund 270.000 Menschen haben im vergangenen Jahr der katholischen und der evangelischen Kirche den Rücken gekehrt. Damit gibt es noch 22,6 Millionen Katholiken und 20,7 Millionen Protestanten.
Im Bistum Trier, dem ältesten deutschen Bistum, zu dem große Teile von Rheinland-Pfalz und dem Saarland gehören, arbeitet man schon lange an Konzepten, um der Entwicklung gerecht zu werden. In einem ziemlich einmaligen Prozess einer Bistumssynode (2013 bis 2016) sind Konzepte entstanden, die nach dem Motto „Schritte in die Zukunft wagen" weitreichende Veränderungen vorsehen, darunter auch eine Strukturreform. Aus über 880 Pfarreien, die bereits in 172 Pfarreiengemeinschaften zusammenarbeiten, sollten 35 Großpfarreien werden, zumeist angelehnt an die bisherigen Dekanate. Saarbrücken wäre dann zur größten Pfarrei Deutschlands (mit knapp unter 100.000 Katholiken) geworden.
„Jede Veränderung ist unangenehm"
Kritiker vor Ort mobilisierten Protest gegen die „XXL-Pfarreien". Befürworter verwiesen darauf, es gehe nicht darum, Kirche vor Ort abzuschaffen, sondern Verwaltungen angesichts knapper werdender Ressourcen zu zentralisieren und effektiver zu organisieren, damit gleichzeitig mehr Freiräume vor Ort möglich werden, beispielsweise für Initiativen wie das Projekt „Frauen(T)raum" (siehe Interview auf S. 44).
Wenige Wochen vor der ersten Phase der Umsetzung platze ein Veto aus dem Vatikan. Alle schon fast abgeschlossenen Vorbereitungen wurden gestoppt, alles blieb zunächst beim Alten. Rom missfiel, dass nach den Plänen der Pfarrer in ein Leitungsteam mit zwei Laien an der Spitze der „Pfarrei der Zukunft" – so der offizielle Name der Großpfarreien – eingebunden sein soll und sah die Leitungsvollmacht des Priesters als eingeschränkt an.
Der Intervention aus Rom, die zunächst den Reformprozess in Trier gestoppt hat, folgte vor wenigen Wochen eine grundsätzlich vatikanische Pfarreien-Instruktion, die in deutschen Bistümern zum Teil Kopfschütteln und Unverständnis auslöste. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann fragte sich, „was von unseren Realitäten und unseren Schwierigkeiten, die wir in Rom vorgetragen haben, verstanden wurde?"
Der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK), dem obersten Laiengremium, Thomas Sternberg, wird deutlicher, nennt die Instruktion „realitätsfremd". „Das Gottesvolk ist längst weiter", wird er auf dem Portal „katholisch.de" zitiert. In Zukunft werde es viel mehr engagierte weibliche und männliche ehrenamtliche Laien brauchen. Man solle angesichts dieser Tatsache die römische Instruktion „nicht allzu ernst nehmen". Die Suche nach neuen Lösungen werde deshalb nicht gestoppt.
Nicht nur Bischof Ackermann entdeckt in den römischen Ausführungen auffallende Diskrepanzen, wenn einerseits eine „durchaus ansprechende Vision" der Pfarrei vor Ort beschrieben werde, andererseits Gestaltungsmöglichkeiten stark eingeengt werden. Die Instruktion befasst sich unter anderem mit der Stellung des Pfarrers und der Beteiligung von Nichtpriestern, widerspricht dabei der Idee, die Leitung von Pfarreien Teams aus Priestern und Laien anzuvertrauen.
Der Kirchenrechtler Thomas Schüller bemerkt knapp: Das „beantwortet Fragen von heute mit Antworten von gestern" und kritisiert die „Doppelbotschaften" aus Rom. Manchen sehen in dem Teil des Schreibens, das den Gemeinden Mut macht, die Handschrift von Papst Franziskus, und im restriktiven Teil die der Kurie. Der Theologe Herbert Haslinger befand jedenfalls, es werde mit einer „befremdlichen und ärgerlichen Kleinlichkeit" betont, was man alles nicht dürfe. Und zu dem Hinweis, Priestermangel allein könne noch kein Grund zur Zusammenlegung von Pfarreien sein, stellt er die Gegenfrage: „Was soll denn ein Generalvikar tun, der kaum noch Priester, aber viele Pfarreien hat?"
Der absehbare Priestermangel war auch in Trier ein Grund für die Reformpläne. Die Entwicklung ist alarmierend. „Auf elf ausscheidende Priester eine Neuweihe", fasst das ZdK die aktuelle Entwicklung in deutschen Bistümern zusammen. In diesem Jahr wird es wohl 57 Priesterweihen geben, der zweitniedrigste Stand. Aber immerhin zwei mehr als ein Jahr zuvor. Im Jahr 2000 gab es noch 154 Weihen, bis 2010 schwankte die Zahl zwischen 81 und 131 im Jahr. Das ZdK hält deshalb in der Perspektive eine Öffnung des Priesteramtes auch für verheiratete Männer („Viri probati") und Frauen für geboten. Theologen argumentieren schon geraume Zeit, dass der Ausschluss von Frauen von sakramentalen Ämtern theologisch nicht begründbar sei.
Die Frage hat durch „Maria 2.0" neuen Schwung bekommen. Die Frauenbewegung hat in einem Brandbrief an die Deutsche Bischofskonferenz eine „nicht nachvollziehbare und mit dem Evangelium nicht in Einklang zu bringende Tradition" angeprangert. Der eigentliche Adressat ist aber die Kleruskongregation in Rom mit ihrer Pfarreien-Instruktion. Das Anliegen von „Maria 2.0" lässt sich an Slogans ihrer Protestplakate ablesen: „Ich kann Priesterin", „Wenn ich groß bin, werde ich Päpstin". Alles unter dem Motto: „Schweigen war gestern, Schwestern".
„Das Gottesvolk ist längst weiter"
Damit begleiten sie Bischofstreffen zum sogenannten „Synodalen Weg". Mit diesem Gesprächsformat versuchen die deutschen Bischöfe, Konsequenzen aus der MHG-Studie zu finden, die zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Auftrag gegeben worden war. Auf Vorschlag des Zentralkomitees wurde zusätzlich das Thema „Rolle der Frau in der Kirche" in die Beratungen mit aufgenommen.
Auch in diesem Fall ließ die Reaktion auf das eigenwillige Vorhaben des „Synodalen Weges" aus Rom nicht lange auf sich warten. Papst Franziskus schrieb „an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland". Vor allem Laienbewegungen zeigten sich erfreut über die Anrede und bemerkten: Dieser Brief geht nicht an die Bischöfe, also die Amtskirche, sondern an die Basis. Aber die musste sich dann gleich auch die Mahnung gefallen lassen, dass es nicht darum gehen dürfe, sich einem Zeitgeist anzupassen. Das klang schon wieder sehr nach der kritisierten „Doppelbotschaft". Konservativere Bischöfe sahen sich in ihrer Kritik an dem ganzen Vorhaben bestätigt, waren aber klar in der Minderheit.
Coronabedingt fand die für Anfang September geplante zweite Vollversammlung in Form von fünf gleichzeitigen Regionalkonferenzen mit begrenzter Teilnehmerzahl statt. Das Motto: „Fünf Orte – ein Weg". Die Vizepräsidentin des „Synodalen Weges", Karin Kortmann, hat dabei „wichtige Impulse" ausgemacht, „über die schon bestehenden kirchenrechtlichen Handlungsspielräume hinaus neue Wege einer geschwisterlichen Kirche zu gehen". Ein Satz, der nahelegt, dass nach Möglichkeiten gesucht wird, notwendige und überfällige Reformen so hinzukriegen, dass Rom nicht gleich mit der nächsten „Intervention" auf den Plan tritt.