Wenn Fantastereien und Hass über durchaus berechtigte Sorgen hinausgehen
Die Corona-Krise ist für Menschen weltweit eine Herausforderung, und wir tun uns nicht immer leicht damit. Manche sind direkt betroffen. Andere, die persönlich nicht betroffen waren, erleben eine ständige Diskussion um sich herum, sehen sich mit Zahlen bombardiert, mit Warnungen und mit Konflikten, die sich auf Monate hin ausdehnen und allen die Kraft rauben. Nicht mit einem Mal, sondern in kleinen Schritten.
Der Corona-Stress, das haben viele Psychologen konstatiert, greift allgemein die geistige Gesundheit an und führt dazu, dass alle leiden, die über ein gewisses Maß an Empathie verfügen und nicht blind durch die Welt laufen. Das erzeugt nicht nur Erschöpfung, sondern bei einigen auch Unmut, manchmal Unverständnis, und aus Angst gebiert dann auch oft Konflikt und Protest. All dies ist verständlich, weil allzu menschlich. Auch der Verfasser dieser Zeilen ist davor nicht gefeit.
Etwas ganz anderes ist aber das, was in Berlin und in anderen Städten passiert ist, wenn die sogenannten Querdenker auf die Straße gehen – bis hin zu den Stufen des Reichstags. Was dort zusammengekommen ist, geht über berechtigte wirtschaftliche Sorgen und Kritik an der Begrenzung individueller Freiheiten deutlich hinaus. Rechtsextremisten, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker haben das gesellschaftliche Unwohlsein in der pandemischen Situation aufgegriffen und für sich instrumentalisiert. Es mit ihrem irrationalen, haltlosen und streckenweise unsagbar dummen Geschwätz vermischt, bis man eins nicht mehr vom anderen unterscheiden konnte.
Es waren und sind diese Menschen, die die Kommunikation dieses „Querdenkens" übernommen und ihre eigene, an den Haaren herbeigezogene Botschaft übergestülpt haben. Und es muss jedem klar werden, dass man in dem Moment, da man dort mitläuft – auch, wenn man nicht von der Weltverschwörung des Bill Gates und den nahenden Chip-Implantaten ausgeht – sich mit diesen Haltungen, diesen Gerüchten und Fantastereien, diesem Hass und diesem blindwütigen Schlagen in alle Richtungen gemein macht. Es gibt ein sehr altes Sprichwort: Wie man sich bettet, so liegt man. Man kann nicht sagen, man sei für ein berechtigtes Anliegen auf die Straße gegangen, wenn man billigend und entschuldigend mit ansieht, wie andere dieses Anliegen für ihre kruden Aussagen und absurden Beschuldigungen, für die Förderung eines extremistischen Weltbildes und verschwörungstheoretischen Blödsinn missbrauchen.
Eine Mehrheit der Bevölkerung steht hinter den Restriktionen, die derzeit noch nötig sind. Als die Pandemie begann, wurden gewiss auch Fehler gemacht – und wir haben derzeit noch Politiker wie etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die in der Lage sind, solche Fehler im Nachhinein auch zuzugeben und ihr eigenes Handeln zu reflektieren. Wenn wir die Pandemie dereinst – alle glücklich geimpft und mit einem Schrecken davongekommen –
systematisch analysieren, wird man gewiss das eine oder andere finden, dass man hätte besser machen können – oder anders. Im Rückblick sind wir alle schlauer.
Doch die allzu menschliche Gewissheit, dass politisches Handeln auch fehlbar ist und dass wissenschaftliche Erkenntnis stufenweise aufeinander aufbaut, ehe sie zur belastbaren Gewissheit wird, sollte niemandem die Augen davor verschließen, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können, wäre nicht gehandelt worden.
Die Freiheit, für die eigenen Ansichten und Überzeugungen auf die Straße zu gehen, ist ein Grundrecht unserer Demokratie und muss entsprechend geschützt werden. Wer seine Meinung frei äußert, muss aber auch ertragen, dass diese infrage gestellt wird, dass die Art der Kommunikation kritisiert werden können. Und man muss ertragen, dass man auch dann mit jenen, die lautstark vor der russischen Botschaft einen „Friedensvertrag" fordern oder davon ausgehen, dass das Maskengebot der erste Schritt zur Versklavung Deutschlands sei, in einen Topf geworfen wird. Da kann man nicht mehr relativieren. Denn wie man sich bettet, so liegt man.