Nach dem Dreierpack in Belgien sowie den beiden Ferrari-Heimrennen in Monza und Mugello mit dem glanzlosen 1000. Grand Prix der Roten gastiert die Formel 1 an diesem Sonntag zum siebten Mal in Russland. Gewinnt Lewis Hamilton, hat er mit dem Allzeitrekord von Legende Michael Schumacher gleichgezogen.
Es war angerichtet. Und egal, was beim 1000. Grand Prix von Ferrari passierte, zumindest die Dramaturgie der Corona-Notsaison meinte es gut mit dem Uralt-Jubilar: Erstmals wurde ein Formel-1-Rennen auf der hauseigenen Strecke, seit 1988 im Besitz von Ferrari, in Mugello ausgefahren – als „Großer Preis der Toskana Ferrari 1000". Die Location war sozusagen ein Vorabgeschenk zum Jubiläum. Die Vorbereitungen zu diesem Ereignis zelebrierte der Traditionsrennstall aus Maranello mit viel Brimborium.
Die Rennwagen von Sebastian Vettel und Charles Leclerc bekamen ein neues (Farb-)Kleid verpasst. Die Boliden wurden in einem dunkleren Rot lackiert. „Burgunder" nennt der Rennstall seine Farbe zum Jubiläum. Ein Dunkelrot wie der französische Wein. In diese Weinfarbe wurden auch die Fahrer in ihre Rennanzüge gesteckt, auf deren Brust die Zahl 1.000 in kräftigem Gelb prangte. Auch die Schuhe wurden dem Jubiläums-Look angepasst. Hintergrund für diese Aktivitäten: Der „Burgunder"-Farbton sollte an die legendären Ferraris aus den 50er-Jahren erinnern. Wie wichtig Ferrari dieses Jubiläum ist, macht schon der Name des 2020er Renners deutlich. Der Dienstwagen von Vettel und Leclerc wurde vor der Saison auf die Bezeichnung „SF1000" getauft. Als eine Geste von Respekt und Anerkennung für die Historie des ältesten und erfolgreichsten Rennstalls hat Mercedes das silberne Safety - Car in ein Rot umlackiert. Die Vorbereitungen für Ferraris Ehrentag waren noch in vollem Gange, als vier Tage vor dem „Formula 1 Gran Premio della Toscana Ferrari 1000", so der offizielle Name des Mugello-Grand-Prix, eine Pressemeldung für Furore sorgte. Ferraris zum Saisonende ausgemusterter Chefpilot Sebastian Vettel spuckte seinem Noch-Team ausgerechnet vor dem Heim-GP kräftig in die Suppe. Absichtlich zu diesem Zeitpunkt? „Sebastian Vettel wird in der nächsten Saison für das britische Werksteam Aston Martin, Nachfolge-Rennstall von Racing Point, starten. Der viermalige Weltmeister unterschrieb einen Vertrag über das Jahr 2021 hinaus", teilte Racing Point donnerstags um 9 Uhr mit. „Es ist ein neues Abenteuer für mich mit einem wahrhaft legendären Autobauer", wurde Vettel zitiert. Der Deutsche ersetzt den Mexikaner Sergio Perez, der trotz eines Zweijahresvertrages über die Klinge springen muss.
Safety-Car in Rot umlackiert
In Mugello erlebte die Formel 1 bei ihrer Premiere auf der 72. GP-Strecke ein „Klingespringen" der anderen Art. Das Ferrari-Jubiläum wurde zu einem toskanisches Schrott-Festival, bei dem es turbulent, chaotisch und sehr unterhaltsam zuging. Zwei Massenkarambolagen, drei Safety-Car-Phasen, zwei Rote Flaggen, Rennabbrüche, Zwangspausen, vier Startprozeduren, ein Highspeed-Abflug von Lance Stroll (Racing Point) bei Tempo 280 – ein Drama pur, aber ohne Verletzte. Bei all dem Chaos kamen nur zwölf von 20 Fahrern ins Ziel. Als Erster sah wie schon fünfmal zuvor in dieser Saison Lewis Hamilton im Mercedes die schwarz-weiß karierte Flagge. „Es war alles ein bisschen verwirrend und fühlte sich an wie drei Rennen an einem Tag", schnaufte der ausgelaugte 90-fache Triumphator. Teamkollege Valtteri Bottas als Zweiter machte den dritten Saison-Doppelsieg der „Schwarzpfeile" perfekt. Dritter und erstmals auf dem Treppchen stand nach 30 Grand Prix Red Bull-Pilot Alex Albon. Für den Thailänder ein wahrer Befreiungsschlag nach den letzten Kritiken. Chefpilot Max Verstappen zählte gleich nach dem Start zu den Crash-Opfern und musste aufgeben. Genauso erwischte es Monza-Sensationssieger Pierre Gasly im Alpha Tauri.
Für Ferrari war das Jubiläum im eigenen „Wohnzimmer" ein Trauerspiel, ein Fiasko, ein Debakel. Und für Leclerc als Achter (vier WM-Punkte) und Vettel als Zehnter (ein WM-Punkt) eine Demütigung. „Das war keine Glanzleistung von uns, wenn nur zwölf Autos ins Ziel kommen. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass wir da ein bisschen mehr abstauben, aber mehr war nicht drin, uns fehlt es an Power", stellte Vettel resigniert fest. Kein Saisonsieg, kein Podestplatz und nur 13. in der Fahrerwertung (17 Punkte). Der Ex-Champion taumelt derzeit im Niemandsland. Leclerc hat fast dreimal so viele Zähler (49) und ist WM-Achter. Insgesamt mickrige fünf WM-Zähler von zwei Top-Piloten als Geschenk zu solch einem stolzen, außergewöhnlichem Jubiläum – zum Vergessen. „Für Ferrari ist die Party vorbei. Eine weitere Riesenblamage beim Grand Prix des Wilden Westens", urteilt die Turiner Tageszeitung „La Stampa". Nebenbei: Bei einem normalen Rennverlauf wäre das Fünf-Punkte-Geschenk hinfällig geworden, dann wäre Ferrari wieder leer ausgegangen – wie in Monza.
„Das war keine Glanzleistung"
Dort im Königlichen Park hat es den „Rennstall der Herzen" schon erwischt wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr. Bereits bei der Zeitenjagd für die Startaufstellung hatten Leclerc und Vettel vorzeitig Feierabend. Der Monegasse auf Rang 13 und der Deutsche nur auf Platz 17. Die Top Ten im Rennen schienen ziemlich aussichtslos. Noch schlimmer: Keiner der beiden Roten kam ins Ziel. Vettel schied bereits in Runde sechs nach Bremsproblemen aus. „Man denkt: Schlimmer geht’s nicht mehr. Aber schlimmer geht immer, dieses Jahr, der Drops ist gelutscht", so die Erkenntnis des Frustrierten. Vettels Teamkollege musste nach einem Fahrfehler und dem folgenden furchterregenden Unfall mit Abflug in den Reifenstapel – glücklicherweise unverletzt – in Runde 23 aufgeben. Erstmals seit 1995 war beim Heim-Grand-Prix im Tempo-Tempel Monza kein Ferrari ins Ziel gekommen.
Hamilton startete von Platz eins gefolgt von Teamkollege Bottas. Doch keiner dieser Favoriten stand nach Rennende auf dem Podium. Hamilton wurde ein „Sehfehler" zum Verhängnis. Er übersah die Lichter mit Hinweis auf die Boxengasse, dass diese geschlossen ist. Da er aber die Box angesteuert hatte, kassierte er eine Zehn-Sekunden-Strafe und wurde nur Siebter. Bottas hatte Schwierigkeiten mit seinem bockigen Mercedes, belegte Rang fünf. Verstappen hatte ebenfalls technische Probleme und musste aufgeben. In einem völlig verrückten und höchst turbulenten Monza-GP mit Favoritensterben gelang der Sieg völlig überraschend dem Franzosen Pierre Gasly im Alpha Tauri. Das Podium komplettierten Carlos Sainz (Spanien/McLaren) und Lance Stroll (Kanada/Raicing Point). So verrückt wie das Rennen, so kurios war das Siegerpodest noch nie besetzt.
Um den Dreierpack abzurunden, blicken wir noch im Renntempo auf den Grand Prix von Belgien zurück. Doch das Wichtigste vorweg: Im Fahrerlager von Spa-Francorchamps ist trotz Corona und Pandemie etwas von der alten Normalität eingekehrt. Die Teams sind wieder mit ihren Motorhomes angereist. Die Selbstversorgung in dem eigenen „Tempel" ist preisgünstiger als gemietete Container und das Catering.
Teams reisen wieder in Motorhomes an
Das Rennen in den Ardennen ist schnell erzählt. Nach seiner 93. Pole Position flog Lewis Hamilton im schwarz lackierten Mercedespfeil von Startplatz eins wie in Trance um die sieben Kilometer-Achterbahn. Mit seiner Startnummer 44 führte er die 44 Runden auf der letzten freien Wildbahn in Spa-Francorchamps unangefochten an. Nach seiner Sonntags-Spazierfahrt über die Ziellinie war sein 89. Triumph perfekt, der vierte in Belgien. Der Finne Bottas belegte Platz zwei. Es war ein „goldenes" Jubiläum, der 50. Zweifach-Triumph für das Stern-Team seit der Rückkehr der Silberpfeile 2010.
In dem ereignisarmen und langweiligen Rennen fuhr Red Bull-Star Max Verstappen bei seinem Heim-Grand Prix auf Podiumsplatz drei. Das Auto des 22-jährigen Niederländers war auf dem Powerkurs chancenlos gegen die übermächtigen „Schwarzpfeile".
Diese Übermacht bekamen auch die Ferrari-Piloten in ihren Schnecken zu spüren. Der Deutsche kroch auf Platz 13, der Monegasse, der 2019 auf der Berg- und Talbahn noch seinen ersten GP-Sieg feierte, fuhr auf Rang 14. Vettel: „Ich werde von hinten aufgefressen. Wir verlieren überall. Besonders auf den langen Geraden." Jetzt wird offensichtlich, dass Ferrari im letzten Jahr beim Motor geschummelt hatte, heute fehlen dem Antrieb laut Expertenschätzungen Leistung bis zu 70 PS. „Für Ferrari war das Ardennen-Rennen ein entblößender Tiefpunkt, ein niederschmetternder Auftritt. Sie sind an der Spitze des Schwanzes im Feld versunken", erkannte RTL-Experte Christian Danner. Er stellte der „tragisch-taumelnden Scuderia nur noch eine schnöde Anwesenheitsbescheinigung in der Königsklasse" aus. RTL-Moderator Florian König war etwas charmanter und sagte voraus: „Ferrari wird in den nächsten Rennen wohl nicht vergnügungssteuerpflichtig sein." König sollte Recht behalten. Beim Heimspiel in Monza kam der nächste Gau. „Der Weg dorthin gleicht einem Kreuzweg", prophezeite die „Gazzetta dello Sport" – und sollte Recht behalten.
Blicken wir kurz voraus auf den Russland-Grand Prix. Sechs wurden seit 2014 in Sotschi ausgefahren. Sechsmal hieß der Sieger Mercedes. Viermal triumphierte Lewis Hamilton, je einmal Rosberg und Bottas. Die Frage nach dem Sieger 2020 – zumindest aber nach den Favoriten – dürfte sich nach dem Mercedes-Doppelsieg in Mugello erübrigt haben. Gewinnt Lewis Hamilton in Sotschi, hat er mit dem Allzeitrekord von 91 Siegen mit Legende Michael Schumacher gleichgezogen.