Das Familienunternehmen proWIN steuerte mit großem Erfolg durch die Corona-Krise. Flankierende Online-Maßnahmen bleiben jedoch genau das: flankierend. Im Vordergrund steht nach wie vor die Produktberatung beim Kunden zu Hause.
Ingolf, Michael und Sascha Winter, das Jubiläumsjahr war bis jetzt, trotz der Corona-Krise, immens erfolgreich für Ihren Direktvertrieb. Wie erklären Sie sich das?
MW: Absolut, es war das erfolgreichste, aber auch das anstrengendste erste Halbjahr in der proWIN-Geschichte. Im März waren wir, wie viele, kurzzeitig in Schockstarre, mit 20 Prozent weniger Umsatz als im Vorjahreszeitraum. Dafür haben wir im April und Juni 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum draufgepackt. Man muss aber sagen, dass wir bereits gut ins Jahr gestartet sind, mit einem guten Januar und Februar. Das Plus war ohnehin unser Ziel im Jahr unseres 25-jährigen Firmenjubiläums. Viele Menschen hatten zu Zeiten der strikten Pandemiemaßnahmen sehr viel Zeit – auch, um zu Hause sauber zu machen.
IW: Den Umsatz haben wir um 30 Millionen Euro im ersten Halbjahr steigern können – so viel, wie wir in den vergangenen beiden Jahren zusammen gesteigert haben. Uns ist zweierlei gelungen: Niemand hat sich bei uns angesteckt. Und dies ist die Basis dafür, arbeiten zu können und damit einem höheren Umsatz zu generieren. Innerhalb von zwei Wochen haben meine Söhne mit einem Krisenstab aus internen Mitarbeitern und ausgewählten Vertriebspartnern Online-Partys organisiert. Wir sind sehr stolz auf das gesamte Team, intern wie im Vertrieb, das es ermöglicht hat, ohne Probleme durch diese Zeit zu kommen, weil jeder hinter dem anderen stand.
SW: Das Konzept gab es vorher bei uns nicht, wir haben es innerhalb von kürzester Zeit aus dem Boden gestampft. Wir wussten, wir müssen rasch ein System entwickeln, um unseren Vertriebspartnern das Weiterarbeiten zu ermöglichen – vor allem jenen, die erst zum Jahresanfang bei uns begonnen haben. Gleichzeitig haben wir die Hälfte unserer Festangestellten ins Homeoffice geschickt. Die Überlegungen dazu gab es schon, aber das Coronavirus hat uns die Überlegung dann abgenommen.
MW: Die Erfahrung hat uns alle noch mal enger zusammengeschweißt, innerbetrieblich wie vertrieblich, durch ständige wöchentliche Video-Meetings. Es gab diesen Mehraufwand, aber auch das gegenseitige Verständnis, diesen gemeinsam zu stemmen.
Das heißt, Sie haben den Direktvertrieb kurzzeitig digitalisiert?
IW: Wir wollten unser Jubiläum ohnehin zu einem besonderen Jahr machen, darüber haben wir uns vergangenes Jahr viele Gedanken gemacht. Es gab bereits einen genialen Herbst, ein sehr gutes Weihnachtsgeschäft, das ins neue Jahr übergeschwappt ist. Diese Aufbruchstimmung haben wir mitgenommen. Unsere Partner sind es ja gewohnt, Impulse, die von uns kommen, begeisterungsfähig aufzugreifen. Sie sehen Chancen, keine Probleme, auch in dieser neuen Form des Vertriebs. Das hat mich fasziniert. Außerdem sind meine beiden Söhne in den vergangenen Monaten noch sehr viel deutlicher sichtbar geworden, ihre Akzeptanz im Unternehmen ist enorm gewachsen, da ich in diese coronabedingten Veränderungen nur am Rande operativ involviert war.
MW: Vor allem die Akzeptanz, den Job, der auf persönliche Nähe angewiesen ist, in eine digitale Welt zu verlagern. Unsere Vertriebspartner sind normalerweise vor Ort und unsere Aufgabe war, dem Partner die Angst davor zu nehmen, dass der persönliche Kontakt zum Kunden verloren geht. Wir wollen kein Onlinehandel sein, sondern das Persönliche und das Miteinander stärken. Wir setzen auf den persönlichen Kontakt – heute wie damals. Dieser ist unser Mehrwert, er bleibt es auch, wenn wir wieder zurück in die Normalität kommen.
Wie sieht denn Direktvertrieb online derzeit aus?
MW: Unsere Verkaufspartys finden nach wie vor statt, nur in einem digitalen Raum. Vom Ablauf her blieb alles sehr ähnlich. Wir haben nur beim Transport der Produkte unterstützt. Außerdem haben wir unsere Partner gebeten, uns einminütige Videos mit Produktvorstellungen zu schicken. Diese Videos haben wir auf einer Plattform zur Verfügung gestellt, sodass sie dem gesamten Vertrieb zugutekommen. Eine Zoom-Party ist immer noch persönlich, eine Party via Chat-App ebenfalls mit Streams und Videoeinspielungen.
SW: Es wird aber weiter keinen reinen Onlinehandel geben, um unseren Vertriebspartnern nicht die Existenzgrundlage zu entziehen. Die Grundlage des Geschäftsbetriebs bleibt Vertrauen und Ehrlichkeit.
IW: Zentral bleibt das persönliche Vorführen der Produkte im Haushalt, hier bekommt der Kunde auch alle Tipps und Tricks zum Einsatz des Produktes mit. Solange unser Vertriebspartner mit uns arbeiten möchte, so lange kann er an diesem Prinzip teilhaben. Es gibt genügend Direktvertriebe, die auf der Basis persönlichen Vertrauens einen Kundenstamm aufbauen und dann ihre Vertriebspartner im Regen stehen lassen, weil sie komplett auf Onlinehandel oder Werksverkauf setzen. Das wird es bei uns nicht geben.
MW: Wir bezeichnen es als Zeige-wie-Geschäft. Im Supermarkt lesen die Kunden nur die Beschreibung eines Produktes. Niemand erklärt es ihnen. Bei uns erhalten die Menschen eine persönliche Einweisung ins Produkt – zu Hause.
Sehen Sie denn ein verstärktes ökologisches Bewusstsein im Kreis der Kunden?
SW: Aber ja, und das ist gut so. Der gesellschaftliche Wandel spielt uns in die Hände. Wir müssen nicht überlegen, wie wir unser Image jetzt grün aufpolieren, sondern wir sind seit 25 Jahren ökologisch unterwegs. Das gehört bei uns zur Firmen-DNA. Vor 20 Jahren aber interessierte es noch nicht so viele, heute wissen die Menschen um das Thema Mikroplastik, um den Einsatz von Chemikalien, um Tierversuche in der Kosmetik. Wir profitieren von unserem Vorsprung und unserer Erfahrung und sind dabei glaubhaft.
IW: Unsere Vertriebspartner sind also auch zum Teil Umweltberater: Wenn der Fleck mit Wasser und unseren Mikrofaser-Tüchern und -schwämmen nicht weggeht, dann nehmen sie unsere ökozertifizierten Reinigungsflüssigkeiten, allesamt Konzentrate, für hartnäckigen Schmutz Spezialprodukte. Das Konzept, das dahinter steht, ist, dass unser Reinigungskonzentrat von 100 bis zu 500 Flaschen normales Reinigungsmittel ersetzt. Dadurch sparen wir Kunststoff ein. In den letzten 20 Jahren so viel, dass wir mit dem Kunststoff das Münchner Olympiastadion bis zur oberen Kante 200 Mal füllen könnten.
MW: Wir produzieren auch immer mehr Produkte unter dem Gedanken der Wiederverwendbarkeit, zum Beispiel aus 98 Prozent Recyclat, also wiederverwendetem Kunststoff, das heißt das Einsparpotenzial an Kunststoff verdoppelt sich.
IW: Egal, welche fragwürdigen Stoffe in der aktuellen Diskussion auftauchen, diese werden Sie in unseren Kosmetika nicht finden. Wenn es auch nur aufgrund aktueller Forschung den Verdacht gibt, einer der Inhaltsstoffe ist schädlich, suchen wir bereits nach Ersatz. Wir beschäftigen Biologen und Chemiker, die ständig damit beschäftigt sind, noch bessere, ökologischere Inhaltsstoffe zu finden. Unser zentrales Geschäft bleibt die Sauberkeit – deshalb haben wir im Übrigen auch keine Desinfektionsmittel ins Sortiment aufgenommen und verkauft.
Gab es denn Anfragen?
SW: In den ersten Tagen der Corona-Krise fast täglich von Produzenten, die mit uns ins Geschäft kommen wollten, um Desinfektionsmittel herzustellen. Es gab dazu auch interne Diskussionen, ob wir das machen sollen. Wir haben uns dagegen entschieden. Das hätte sich mit unserer Philosophie nicht gedeckt.
Sie sagen, der „grüne Gedanke" gehört zur Firmen-DNA. Wo findet sich denn dieser Gedanke intern, in den Strukturen, der Infrastruktur Ihres Unternehmens?
SW: Wir versuchen es überall umzusetzen, wo es rational und möglich ist. Zum Beispiel in unseren Gebäuden: Baumaterial, Dämmung, Heizung, Fotovoltaik. Wenn gebaut wird, dann mit lokalen Unternehmen, um die Wege kurz zu halten und die lokalen Unternehmen zu unterstützen. Wir versuchen unsere Mitarbeiter zu sensibilisieren, was das Thema Stromverbrauch angeht. Wir können es nicht überall zu 100 Prozent beachten, sondern es muss passen. Die Produktivität darf nicht darunter leiden, auch nicht das Arbeitsklima. In unserem Fuhrpark haben wir beispielsweise viele Hybrid-Autos, ein paar Elektro-Autos, aber wir haben bis dato nicht die Möglichkeit, genügend Ladestationen zu bauen.
IW: Ganz weit vorne in dieser Hinsicht ist auch unser Logistiker, die Firma Lux in Bexbach: Wo andere Pellets verwenden, um Verpackungen aufzupolstern, bläst Lux sie mit Luft auf; sie verwenden Nassklebeband statt Folie. Plastiktüten gab es bei uns noch nie. Selbst unsere Kugelschreiber sind aus recyceltem Plastik, das Papier unserer Blöcke ist recycelt.
MW: Den Einsatz von Papier versuchen wir ohnehin mehr und mehr zu verringern. Die Rechnungen beispielsweise sind schon vor Jahren auf Pdf umgestellt worden. Wir benutzen keine PET-Flaschen für Getränke. Es sind eben die Kleinigkeiten, die zusammen den Unterschied ausmachen.
SW: Dafür sind wir bereits zweimal für unseren ganzheitlichen ökologischen Gedanken ausgezeichnet worden. Einmal der Blue Economy-Preis der Humboldt-Universität Berlin, vergangenes Jahr der Green-Brand-Award. Dabei geht es nicht nur um die Produkte, sondern um den gesamten Unternehmensansatz. Das Unternehmen ökologisch aufzustellen ist aber kein endlicher Prozess, damit werden wir nie fertig sein.
IW: Wir haben ein erfolgreiches Vertriebsmodell, das anziehend ist für unsere Vertriebspartner, und gute Produkte. Deshalb sagen wir: Wir machen erfolgreich sauber – und sauber erfolgreich.
MW: Außerdem sehen wir, dass unser Vertrieb im Schnitt jünger wird. Dort herrscht ein völlig anderes Verständnis für Umweltbewusstsein. Diesen Prozess gehen wir gemeinsam.
Weiterbildungsseminare und Incentives für erfolgreiche Vertriebler gehören zum Kern des Direktvertriebs. Wie viel investieren Sie pro Kopf in eine
Vertriebspartnerin?
MW: Pro Kopf kann ich es Ihnen nicht sagen, aber vergangenes Jahr haben wir insgesamt neun Millionen Euro investiert, 12.000 neue Vertriebspartner eingestellt und 40.000 Seminareinheiten abgehalten. Dieses Jahr wird es situationsbedingt etwas weniger, kommendes Jahr wieder mehr. Da aber auch Incentives dazugehören, die wir nun mal nicht wie manches Seminar digitalisieren können und wollen, werden wir diesen Teil kommendes Jahr nachholen.
Es wird gebaut, proWIN erweitert, das Unternehmen wächst. Gibt es einen Ausblick, was in den kommenden fünf, vielleicht sogar zehn Jahren geschehen wird?
SW: Das wissen wir nicht (lacht). Wir haben schon zweimal gebaut und gesagt, das reicht für die kommenden fünf Jahre. Zwei Jahre nach dem Bau haben wir wieder angefangen. Es kommt darauf an, wie sich das Thema Homeoffice entwickelt. Wir werden in fünf oder zehn Jahren nicht zwingend jeden Mitarbeiter jeden Tag hier am Standort im Büro sitzen haben. Heißt, wir brauchen den Platz nicht jeden Tag für alle Mitarbeiter. Wir werden auch nicht weggehen, wir bleiben dem Saarland treu. Hier, auf dem Land, ist unserer Firma über die Jahre gewachsen, wir wohnen nur wenige Minuten weg, hier bleiben wir. Die Zentrale wird erweitert, bis Anfang 2021 werden wir vier Millionen Euro in einen Neubau des Reklamationslagers investiert haben.
IW: Die gleiche Summe investiert unser Logistiker in neue Lager und Systeme und hat damit eines der modernsten Logistikzentren im südwestdeutschen Raum. Auch, weil sich die Regularien, was Brandschutz angeht, extrem verschärft haben. Dort stehen derzeit 5000 Europaletten voll Ware, unsere komplette Lagerhaltung. Tendenz steigend: Das neue Zentrallager bietet Platz für 11.000 Palettenplätze, auf einer Fläche von 4500 m².
MW: Unsere Akademie wird ebenfalls weiter ausgebaut. Wir haben ein Grundstück nebenan kaufen können und werden dort weitere 30 bis 35 Arbeitsplätze schaffen. Außerdem werden wir dann die Möglichkeit haben, von dort aus Seminare zu streamen. Denn die Erfahrung der letzten Monate hat gezeigt, dass wir viele Inhalte, viele Seminare auch online anbieten können. Spatenstich ist hoffentlich in diesem Jahr. Hier planen wir ebenfalls mit Investitionskosten von vier Millionen Euro.