Auf der „Insel Lindwerder" vereinen sich die Sehnsucht der Berliner nach Ausflügen, gute Küche von Chef Sören Guse und viel Grün am Wasser trefflich miteinander. Bis Ende Oktober schippert die Fähre Gäste mit Lust auf frisches, regionales Essen und Urlaubsflair über die Havel.
In Berlin gibt’s immer neue Ecken zu entdecken. In diesem Fall ist es die „Insel Lindwerder", die in der Havel herumliegt und nahe dem Grunewaldturm nicht gleich auffällt. Also machen die kulinarische Freundin, der Fotograf und ich uns auf in unbekanntes Terrain im Südwesten. Insel, Parkplatz, Fähre, Restaurant – wir finden alles. Es dauert halt nur mehr als eine gute, ausflugshafte Stunde von Kreuzberg aus. Wir werden für die Anreise mit Sonnengeglitzer, Drama-Wolken, Segelboot-Spotting und sehr erfreulicher Gastronomie belohnt.
Die allerbeste Nachricht: Essen und Trinken sind, trotz 50er-Jahre-Anmutung des Gebäudes, meilenweit von der Qualität so mancher Berliner Ausflugsgaststätte entfernt. Das liegt daran, dass sich Inhaber Wanja S. Oberhof und Geschäftsführer Moritz Hardieck vor beinah drei Jahren daran gemacht haben, Küche, Einrichtung und Atmosphäre des seit 1971 gastronomisch genutzten Hauses gründlich zu entstauben und auf den Stand der Jetztzeit zu bringen.
2020 sollte so richtig durchgestartet werden: Öffnung ab April „mit einem Team, das unter Hochdruck verlässlich funktioniert", wie Moritz Hardieck sagt. Mit frischer, mediterran „und etwas bayrisch" angehauchter regionaler Küche, Schwung und Anziehungskraft. Corona bremste das zunächst aus. Die nach den aktuell geltenden Regeln 154 Plätze umfassende Terrasse erwies sich nach dem Restart am 21. Mai als großer Pluspunkt.
Hygieneauflagen, allgemeine Befindlichkeit sowie die grundsätzlich große Lust der Berliner auf möglichst langes Draußensitzen verbinden sich so auf dem Eiland und in der Gastronomie „Insel Lindwerder" perfekt. Wir werden an einem nicht mehr ganz so warmen Spätsommerabend von Küche, Service und dem Flair der Insel verwöhnt. An den großen Holztischen ist in erster Reihe am Wasser Platz für uns. Wir lesen uns, bereits vom ersten Anblick von Uferszenerie und Speisekarte entspannt, in den Abend ein. Burrata, Ziegenkäse, Fischsuppe und ein gelbes Tomatenschaumsüppchen werden uns zur Einstimmung von der angenehm übersichtlichen Karte empfohlen. Wir sind gespannt, was das Team unter Chef Sören Guse aus der Küche schickt.
„Wollen entspannter Ort für alle sein"
Eine „Gastronomie ohne Hürden" sollte die „Insel Lindwerder" werden, sagt Moritz Hardieck. „Wir wollten einen entspannten Ort für alle schaffen". Für die Ausflügler ebenso wie für diejenigen, die als Gruppe einige Plätze mehr und im Voraus gebucht benötigen. „Wir werden aber nie alles ausreservieren. Man soll immer noch spontan einen Platz finden können." Hinter uns am Tisch bespricht ein Brautpaar das Catering für seine Hochzeitsfeier. Selbst wenn die Gastronomie für den täglichen Betrieb ab Anfang November schließt, sind private oder geschäftliche Feiern oder Events für bis zu 160 Personen weiterhin möglich. Die Weitläufigkeit der Insel und des Hauses machen’s möglich. „Wir haben die Möglichkeit, draußen Zelte aufzustellen", sagt Hardieck. Vielleicht klappt es dieses Jahr sogar mit einem Weihnachtsmarkt im Außenbereich.
Zunächst einmal treffen aber Burrata aus brandenburgischer Büffelmilch und Fischsuppe mit Havelzander auf bayrisches „Augustiner"-Bier. „Das musste sein", sagt Hardieck, der aus München stammt. Wo, wenn nicht in Berlin, verschmelzen die unterschiedlichsten Kulturen, gerade auch kulinarisch, miteinander? Italien macht sich mit San-Marzano-Tomaten unter Pflücksalat-Blättern auf dem Teller breit. Auf dem Burrata-Säckchen thront ein Klecks Pesto. Der weiche Büffelmilchkäse fließt uns cremig und mild entgegen. Diese Burrata möchte bitte mit den Scheiben vom rustikalen Baguette bis zur Neige aufgewischt werden!
Der benachbarte Teller mit einem sanften Ziegenfrischkäse-Crumble und Tomaten-Rucola-Salat erhält Knack und Extra-Drive durch ein eigenes „Linderwerder-Kräuteröl" und Kürbiskerne. Das gelbe Tomatenschaumsüppchen macht seiner Farbe alle Ehre und gewinnt seine Eleganz durch etwas Avocadoöl.
Die Fischsuppe allein ist die Anreise wert
Die „Fischsuppe Lindwerder" wiederum trägt den Ort im Namen völlig zu Recht: Sie wurde über Jahre hinweg von Koch Komi Avogbedo perfektioniert. „Er ist bei uns für alles in der Gewürzabteilung zuständig", verrät Küchenchef Sören Guse. Fischsuppe meint in diesem Fall: Es schwimmt uns eine bemerkenswerte Anzahl Filets von Saibling, Renke, Zander und Kabeljau, die vor Kurzem größtenteils noch in heimischen Gewässern unterwegs waren, entgegen. Wir betrachten mit ebenso großem Wohlwollen die Scampi in der Fischsuppe. Der enorm dichte Sud mit gelben Rüben und vielen Kräutern bezieht seine spezielle Note durch Fenchel. „Mehr geben wir nicht preis, haben die Jungs in der Küche entschieden", sagt Moritz Hardieck. Natürlich nicht – die Prise Geheimnis macht ein Signature Dish erst so richtig köstlich und begehrenswert! So eine vielfischige, herzhafte, fein abgestimmte Fischsuppe dürfte nicht an vielen Orten in der Stadt zu finden sein. Allein deswegen lohnt ein Ausflug auf die Insel. Kleinere Gerichte wie diese bleiben preislich moderat zwischen 9,80 und 15,50 Euro.
Bei den Hauptgerichten entpuppte sich der Havelzander mit Kartoffelstampf und Grillgemüse als Liebling der Gäste. Zwei große, schön gebratene Filetstücke tummeln sich unter einer Haube von breiten grünen Bohnen, Kartoffelstreifen und Tomaten. Mit Frische kicken ein Limonenöl und Kräuter.
So eine kleine Handvoll Petersilie, Dill oder Frühlingszwiebelringe sind auf beinah allen Gerichten als Topping zu finden. Die Alternative zum Zander wäre ein in Kräuterbutter gebratenes Saiblingsfilet mit Rosmarinkartoffeln und geschwenkten Zuckererbsen. Wir ziehen als nächstes ein Dutzend Black Tiger Prawns aus dem nicht ganz so regionalen Wasser. „Für jeden von uns vier", rechnet die Meeresgetier liebende Freundin dem Fotografen und mir mit Glimmen in den Augen zufrieden vor. In der Schale mit Rosmarin gebraten, kringeln die Garnelen sich uns zartrosa entgegen. Wir packen sie liebevoll von Hand aus und tunken sie in die hausgemachte Aioli. Ein Bissen vom in Öl gerösteten Brot dazu, und schon ist die Welt knoblauchatmend schön!
Lecker genießen mit hohem Chill-Faktor
Man kann die Insel aber auch ohne ausgeprägte Fischliebhaberei betreten: Filet vom Rind mit Kartoffelstampf und jungem Spinat, Wiener Schnitzel mit Kartoffel-Gurkensalat oder Edelgulasch mit Brot oder Butterspätzle machen Fleischfreunden Freude. Die Veggie-Variante sind frische Tagliatelle, die mit frischen Kräutern, Rucola und Kirschtomaten gereicht und mit Kabeljau und Garnele oder Rindfiletstreifen gepimpt bestellt werden können. Wir haben einen Scheiterhaufen von rosa gebratenen Lamb Chops mit Knoblauch-Kräuter-Jus, gebratenen Pfifferlingen und Rosmarinkartoffeln auf dem Teller liegen, die nichts zu wünschen übriglassen. Die Spanne der Preise für die Hauptgerichte reicht, je nach Fisch- oder Fleischkomponenten, von 12,50 bis 34,60 Euro. Für Ersteres gibt’s die Veggie-Pasta, für Letzteres das Dutzend Tiger Prawns.
Ein Wunder, dass wir nach so vielen Köstlichkeiten noch Kapazitäten für Desserts haben! Eine gebrannte Vanille-Creme mit Tonkabohne kommt in ihrem irdenen Schälchen vergleichsweise bescheiden herüber, mundet uns dennoch wie eine ganz große. Sie hat es nicht ganz leicht, denn der Kaiserschmarrn mit heißen Waldbeeren ist von wahrhaft ausuferndem Format. Der ewige Liebling der Gäste darf erst am Tag danach wieder offiziell die spätsommerliche Karte betreten. Eine gewaltige Portion vom zerpflückten, fluffigen österreichischen Eierkuchen landet im „Agatha-Christie-Licht", wie der Fotograf es nennt, vor uns. Mit unseren Smartphone-Taschenlampen schaffen wir in der Dunkelheit Zusatzlicht zu den Lichterketten in den Bäumen, um dem Schmarrn heimzuleuchten. In dieser Größe ersetzt er locker eine Hauptmahlzeit. Aber wie wir von Besuchen in österreichischen Lokalen in der Stadt wissen: Ein Kaiserschmarrn geht immer. Ganz gleich, wie voluminös das Essen zuvor war.
Für die Güte des lindwerderschen Exemplares spricht, dass wir es beiläufig und selbst kalt beim länglichen Plaudern gänzlich aufgegessen haben. Ein Wunder, dass die Fähre auf dem Rückweg mit uns nicht sinkt! Definitiv haben wir einen nachgereichten Urlaubsabend auf der „Insel Lindwerder" mit köstlichem, unkompliziertem Essen und hohem Chill-Faktor erlebt. Er ruft dringend nach Wiederholung.