In diesem Jahr findet der Europäische Monat der Fotografie (EMOP) bereits zum neunten Mal statt. Jens Pepper, Autor des Buches „Fotoszene Berlin", spricht über die Besonderheiten der diesjährigen Ausgabe, über seine Festival-Highlights und über Fotografie in Berlin.
Herr Pepper, was ist das Besondere am EMOP Berlin, also dem Europäischen Monat der Fotografie in der „Berliner Ausgabe"?
Was Kunst und Fotografie angeht, sind wir in Berlin ja wahrlich nicht unterversorgt. Der Europäische Monat der Fotografie findet seit 2004 alle zwei Jahre statt, in diesem Jahr mit über 100 teilnehmenden Galerien, Museen und Institutionen und nach Angaben der Organisatoren mit rund 500 Fotografen und Fotografinnen. Das ist schon ein echtes Fotofest, das hier im Oktober zelebriert wird. Zu sehen gibt es Fotokunst aus allen Gegenden der Welt, von bekannten und unbekannten Fotografierenden. Viele von ihnen kommen – so unter den Corona-Einschränkungen möglich – zu Veranstaltungen in die Stadt wie zum Beispiel Roger Ballen aus Südafrika.
Welche Bedeutung hat das Festival für Berlin?
Es ist eine tolle Möglichkeit, die Fotografie zu feiern und mit Kreativen und Interessierten zusammenzukommen, um sich auszutauschen, Neues zu entdecken oder bereits Bekanntes wiederzusehen. Berlin gilt ja auch international als Kunststadt, und der EMOP ist einer der vielen Beweise, die jährlich erbracht werden, dass die Stadt das auch immer noch ist, trotz rapide steigender Mieten, Verlusten von Ateliers und dem Schließen einiger Fotogalerien und Projekträumen in den vergangenen Jahren, die – wenn es so weitergeht – irgendwann auch zu einer Abwanderung von Künstlern, Fotografen, Galeristen und sonstigen Aktiven der Szene führen werden.
Welche Programm-Highlights gibt es 2020 und auf was sind Sie besonders gespannt?
Highlights sind ja immer subjektiv, aber ich freue mich auf die zentrale Präsentation in der Akademie der Künste am Pariser Platz, wo die Fotoagentur Ostkreuz die Ausstellung „Kontinent – Auf der Suche nach Europa" zeigen wird. Interessiert bin ich auch an der Ausstellung „Beflügelt – Eine Modestrecke von Esther Haase", in der Modeaufnahmen zu sehen sind, die mit der Imago-Kamera gemacht wurden, einer analogen Kamera, die begehbar ist und mit der man lebensgroße Ganzkörper-Selbstporträts machen kann. Bei diesem Prozess entstehen nur Unikate, Negative gibt es nicht. Zu sehen sind diese Arbeiten bei Imago Camera Berlin. Im Martin-Gropius-Bau gibt es eine Schau mit dem Titel „Masculinities: Liberation through Photography", in der untersucht wird, auf welche Weise Männlichkeit seit den 1960er-Jahren erlebt, performativ hergestellt und sozial konstruiert wird. Da wird es unter anderem Arbeiten von Stars wie Wolfgang Tillmans und Andy Warhol zu sehen geben, aber auch spannende Werke unbekannterer Künstler und Künstlerinnen, wie zum Beispiel die der polnischstämmigen Aneta Bartos.
Wie schlagen sich die Themen wie Corona und der 30. Jahrestag der Deutschen Einheit nieder?
Berlin ist natürlich ein Thema, aber meist wohl ohne unmittelbaren Bezug zum Jahrestag der Wiedervereinigung. Eine Ausstellung, die immerhin die Stadt als Thema hat, ist „Berlin, 1945–2000: A Photographic Subject" in den Reinbeckhallen im Bezirk Oberschöneweide. Zu sehen sind Fotografien von Fotografen und Fotografinnen, die hier leben oder die mal eine Zeit lang hier heimisch waren, wie Sibylle Bergemann, Nan Goldin, Will McBride, Evelyn Richter, Andreas Rost oder Miron Zownir.
Zeitgleich zum EMOP gibt es den Monat der Fotografie-Off. Wieso braucht es diese Nebenveranstaltung?
Ich plädiere nicht erst seit gestern dafür, die Kräfte zu bündeln und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Aber es ist, wie es ist. Zwischen manchen Menschen gibt es Animositäten und die einzelnen Parteien verfolgen daraufhin ihre eigenen Ziele, verwirklichen ihre eigenen Ideen. Und ich muss sagen, dass der Monat Off in diesem Jahr einige tolle Ausstellungen versammelt hat, die mich sehr interessieren – zum Beispiel „Behind Desire" aus der neu konzipierten Reihe „Eros & Photography" bei „Chaussee36 Photography", einem privat betriebenen Ausstellungsraum.
Sie selbst haben mit „Fotoszene Berlin" ein Buch über die Fotoszene der Hauptstadt geschrieben. Wie vital ist sie und was macht sie heute aus?
Das Buch ist eine Kollektion von 25 Interviews mit Fotografen, Galeristen, Kuratoren, die hier wirken. Es spiegelt auch die Vitalität der hiesigen Fotoszene wider, einfach schon dadurch, dass viele meiner jetzt in Berlin lebenden Gesprächspartner ursprünglich aus verschiedenen Ländern stammen: Eylül Aslan kam aus Istanbul nach Berlin, Sonja Hamad wurde in Syrien geboren, Gili Shani in Israel. Alle drei sind famose Fotografinnen beziehungsweise Fotografen. Die Auktionatorin Jennifer Augustyniak ist gebürtige Amerikanerin, ebenso wie die Fotografin Rebecca Sampson. Und so geht es weiter. Berlins Fotoszene ist international, der Begriff Multikulti ist nicht fehl am Platz.
Viele unfertige Ecken sind verschwunden. Hat die Stadt für Fotografen dadurch an Reiz verloren?
Nein, eine Stadt wie Berlin bietet immer Themen und Motive. Und so ganz fertig ist Berlin ja immer noch nicht. Und viele jetzt schicke Ecken werden in 20 Jahren auch wieder patiniert wirken. Die Älteren mögen sich sentimental an die Wende- und Nachwendezeit erinnern und ihr nachtrauern, aber die Jugend findet hier genug Themen, die sie brennend interessieren.