Deutscher Medien-Sumpf: Mütter-Porno für Kinder ab zwölf Jahre
Wir hatten immer gedacht, es könne nicht noch schlimmer kommen, wurden aber belehrt. Die „Bild"-Zeitung hatte kürzlich einen jungen Reporter namens Peter Wilke vor das Brandenburger Tor geschickt, der über eine Demonstration berichten sollte. Schon die Frage der Dame im Studio war selten dämlich: „Wird eigentlich noch demonstriert oder wird eigentlich eher gefeiert?"
Für den Boulevard sind Demos wohl Festtage. Reporter Wilke: „Die Menschen singen Harry Krischner, Harry Krischner. Persönlich kenne ich ihn nicht. Meine Kollegen haben mir aber gerade von ihm berichtet. Er soll eine Persönlichkeit vor meiner Zeit sein." Als wir das Video sahen, summten wir leise „Hare Krishna, hare Krishna" mit und erinnerten uns an die wunderbare Zeit Ende der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, als wir in Deutschland „mehr Demokratie wagen" wollten.
Nein, wir werden hier nicht die politische Relevanz aufarbeiten, sondern uns mit dem beschäftigen, was sich in der Medienlandschaft abspielt. Es kommt uns keineswegs in den Sinn über „Lügenpresse" zu pöbeln und damit das eigene Nest zu beschmutzen. Lieber zitieren wir den Kabarettisten Dieter Hildebrandt: „Der Grad der flächendeckenden Entklugung schreitet in atemberaubendem Tempo voran."
Um sich der Entklugung nicht auszusetzen, schauen wir im TV nur spezielle Sendungen. Ansonsten zappen wir immer ganz schnell weg, wenn uns jemand politisch daherkommt. Monatelang hat uns Karl Lauterbach bei „Lanz" zu Bett gebracht und Stunden später im „Morgenmagazin" geweckt. So landeten wir bei Sat1, was wir sonst wirklich nie gucken. Neuerdings wird oft Werbung für ein Mittel gegen Reizdarm gemacht – das kommt davon, wenn man zu viele politische Sendungen guckt.
Nein, das wird hier wirklich keine politische Kolumne. Weshalb wir uns jetzt „Promi Big Brother" widmen, weil dort ein sehr geschätzter Kollege mitmachte. Der Sport-Reporter Werner Hansch (82, Foto) bekannte, dass er spielsüchtig sei und ein Vermögen verzockt habe. Werner ist in der Branche sehr beliebt, und viele von uns waren entsetzt, wie er sich vorführen lassen musste, um an 100.000 Euro zu kommen. Er gewann, aber unvergesslich bleibt das Bild bei der Siegerehrung: Da jubelte der Spaß-Mob einem kranken, verzweifelten Mann zu.
Überhaupt traten etliche skurrile Gestalten auf. Ein Micha aus Mannheim behauptete, er sei dumm. Das hätte er gar nicht betonen müssen. Entsetzlich geschminkte Frauen warfen sich die allerschlimmsten Wörter an den Kopf. Die gute Kinderstube verbietet es, hier Zitate zu bringen. Ikke Hüftgold wurde Vierter. Wir befürchten, dass Ikke künftig für „Bild" Auslandsreporter vom Ballermann auf Mallorca werden könnte – sobald Peter Wilke den jetzigen Chefredakteur Julian Reichelt abgelöst hat.
Auch Cathy Hummels, die Frau eines Balltreters, hat eine eigene Sendung – mit fast nackten Menschen. Bevor wir etwas gegen Reizdarm nehmen mussten, schalteten wir um und gerieten in eine sogenannte Dokumentation. „Fünf Mütter drehen einen Porno". So etwas ist normalerweise nicht unser Ding, aber aus Neugierde und als Materialsuche für die Kolumne klickten wir rein. Fünf mittelhässliche Frauen begutachteten mittelhässliche Männer. Das reichte eigentlich – wenn nicht auch noch Jugendliche befragt worden wären. Die sollten ihre Urteile über die Dreharbeiten abgeben. Freigegeben hatte die FSK diese „Doku" übrigens ab zwölf Jahre.
Natürlich muss sich das kein halbwegs vernünftiger Mensch antun. Aber die Quoten-Analyse ergab, dass sich diesen Dreh der Mütter mehr als eine Million Menschen angesehen haben. Erschreckend: Der Marktanteil der jungen Zuschauer war besonders hoch. Wer einen Werteverfall bestreitet, braucht nur solche Sendungen einzuschalten.
Da jede Predigt und Kolumne mit etwas Positivem enden soll, jetzt das: Spät in der Nacht, nach einer „Tatort"-Wiederholung, entdeckten wir mit „Freibadclique" einen großartigen Film, der die Geschichte von fünf Jungs erzählt, die 1945 in den Krieg ziehen mussten. Inhaltlich und schauspielerisch ein Glanzstück. Es ging hier auch um Nacktheit. Und zwar um das nackte Überleben.