Lange galten Drogen wie LSD, MDMA und Psilocybin als verpönt. Nun aber schöpfen Forscher neue Hoffnung, dass sie bei der Behandlung seelischer Erkrankungen eingesetzt werden können.
Können psychedelische Drogen dabei helfen, seelische Erkrankungen wie Ängste, Depressionen oder Traumata zu heilen? Das beschäftigt die Forschung in den letzten Jahren wieder intensiver. Schon einmal war man kurz davor, sich die Wirkung von Psychedelika – also psychoaktive Substanzen, die in der Lage sind, einen Drogenrausch mit bewusstseinsverändernder Wirkung hervorzurufen – medizinisch nutzbar zu machen. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Forscher in Europa und den USA, sich mit der psychedelischen Wirkung von LSD und ähnlichen Drogen wie Psilocybin, dem Wirkstoff von Magic Mushrooms, zu beschäftigen. „Phantastika" wurden die Psychedelika damals genannt. Eingesetzt wurden sie in der Behandlung diverser Krankheiten. Norwegische Forscher etwa haben sechs Studien zwischen 1966 und 1970 mit rund 500 alkoholkranken Teilnehmern untersucht und dabei festgestellt, dass die Einmal-Gabe von LSD ein halbes Jahr effektiv gegen die Sucht half.
Dann aber kam die Hippie-Bewegung, LSD wurde zu ihrer Leitdroge, wurde massenhaft konsumiert und geriet somit auch schnell in Verruf. Der damalige US-Präsident Richard Nixon reagierte und rief den „War on Drugs" aus. 1966 wurde die Substanz zunächst in den Vereinigten Staaten komplett verboten, 1971 folgte Deutschland, und kurz darauf war die Einnahme weltweit untersagt. Psilocybin, MDMA und weitere psychoaktive Drogen folgten. Das hieß auch: Die Forschung an psychedelischen Substanzen kam für Jahrzehnte zum Erliegen.
Seit einigen Jahren aber ermöglichen Sondergenehmigungen neue Studien. In den vergangenen Jahren haben unterschiedliche Länder die Regulierungen gelockert. Neben den USA und Großbritannien ist die Schweiz heute einer der führenden Standorte für die Erforschung von Psychedelika. Dort wurde bereits 1938 erstmals von Albert Hoffman LSD hergestellt, der mit dem ersten LSD-Trip aller Zeiten in die Geschichte einging. Die ersten Studienergebnisse bestätigen frühere Erfolge in der Behandlung von Depression, Angst, Trauma, Zwang und Sucht. Auch therapieresistenten und sterbenskranken Patienten konnten die Substanzen helfen. Tierversuche und erste Studien wiesen zudem bereits Mitte der 1990er-Jahre darauf hin, dass Psychedelika in medizinisch wirksamen Dosen ungiftig sind und in der Regel nicht abhängig machen. Manche Experten betrachten sie deshalb als weniger schädlich als beispielsweise Alkohol oder Zigaretten.
Depression, Angst, Trauma
MDMA, das vor allem als Inhaltsstoff der Partydroge Ecstasy bekannt ist, scheint etwa bei der Therapie von Posttraumatischen Belastungsstörungen hilfreich zu sein. Eine solche kann zum Beispiel als Folge von Krieg, Folter, Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt, schweren Unfällen oder Naturkatastrophen entstehen. Die Betroffenen werden von der ständigen oder wiederkehrenden Erinnerung an das Erlebte gequält, sei es durch Flashbacks oder Albträume, und meiden gezielt Situationen, die damit in Verbindung stehen. MDMA wirkt so, dass es die Aktivierung des Angstzentrums unterdrückt und die Ausschüttung des Neurotransmitters Serotonin, der die Stimmung hebt und Furcht dämpft, anregt. Ziel einer MDMA-assistierten Psychotherapie ist, dass sich Betroffene ohne Panik an das Erlebte erinnern können, es aus einer neuen Perspektive bewerten und lernen, damit abzuschließen.
Der kalifornische Forschungsförderverband Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (Maps) hat unter anderem sechs Studien in den USA, Schweiz, Kanada und Israel durchführen lassen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der 90 Probanden, die MDMA in den ersten Sitzungen einer mehrmonatigen Psychotherapie bis zu dreimal einnahmen, waren anschließend als geheilt zu betrachten. Nach der Behandlung und auch noch Jahre darauf waren sie völlig symptomfrei.
In einer aktuellen Studie haben Wissenschaftler des Universitätsspitals Basel die Effekte von LSD, MDMA sowie von D-Amphetaminen untersucht. Dazu erhielten je 14 psychisch nicht erkrankte Männer und Frauen in zufälliger Reihenfolge die drei Substanzen und ein Placebo, immer im Abstand von zehn Tagen. Die Forscher erfragten die subjektiven Erfahrungen und erfassten physiologische Werte wie Blutdruck, Puls, Hormonkonzentration. Dabei erzielte LSD den stärksten Effekt, wenn es darum ging, positive Stimmung zu erzeugen, hatte allerdings im Vergleich auch den stärksten Effekt bei unerwünschten Wirkungen wie Angst. Bei D-Amphetaminen verbesserte sich die Stimmung nur wenig. MDMA veränderte den Bewusstseinszustand nur schwach, verursachte aber fast so starke Glücksgefühle wie LSD bei weniger unerwünschten Effekten. Daneben konnte MDMA das Bindungshormon Oxytocin im Blutspiegel erhöhen. Dies könnte das Gefühl von Liebe und Verbundenheit erklären, über das Konsumenten oft berichten. Für einen therapeutischen Einsatz könnte MDMA also womöglich eine Spur besser geeignet sein als LSD.
Mittel haben auch Nebenwirkungen
Chancen sehen Forscher aber auch für psilocybinassistierte Psychotherapien. Im Rahmen zweier Studien um Forscher der Universität Baltimore beispielsweise wurde die Substanz an Krebspatienten mit schlechten Aussichten auf Heilung getestet. Viele Krebspatienten leiden aufgrund der unsicheren Lebensperspektive unter Depressionen oder Ängsten. Die Forscher verabreichten einer Vergleichsgruppe entweder eine sehr niedrige Dosis des Halluzinogens oder aber ein Mittel zur Absenkung der Blutfettwerte. Wenige Wochen später änderten sie den Modus: Nun erhielten die Kontrollteilnehmer die Droge, während die anderen das Scheinmedikament einnahmen. Dabei entdeckten die Wissenschaftler, dass bereits die einmalige Einnahme von Psilocybin die Ängste und Depressionen der Probanden zu lindern vermochte. Die Schmerzen verloren an Bedeutung, die Menschen vertieften ihre Beziehung zu Familienmitgliedern und Freunden und lebten ihr verbleibendes Leben sehr viel intensiver als zuvor. Noch Monate nach der Behandlung fürchteten sich mehr als zwei Drittel der insgesamt 80 Versuchsteilnehmer deutlich weniger vor dem eigenen Tod. Die Forscher führen diese Auswirkung weniger auf die Droge selbst als auf die Erinnerung an die Erfahrung zurück. Nimmt man Psilocybin ein, verändert es ähnlich wie LSD die neuronale Aktivität im Gehirn. Hirnregionen, die mit Kontrollfunktionen assoziiert sind, gehen zurück. Dafür kommen Kontakte zwischen Regionen zustande, die im Normalfall nicht miteinander kommunizieren. Ob die Substanzen das Bewusstsein tatsächlich „erweitern", ist unklar. Sicher ist aber, dass die Rauschmittel nicht nur Wirkungen, sondern auch Nebenwirkungen haben. 15 Prozent der Teilnehmer reagierten auf die Einnahme von Psilocybin mit Übelkeit und Erbrechen. Ein Drittel klagte über Unwohlsein, Angst, Paranoia oder Bluthochdruck.
Die Redakteurin der Schweizer Zeitschrift „Das Magazin", Anuschka Roshani, hat für eine bislang unveröffentlichte Studie des Pharmakologen Matthias Liechti von der Universität Basel fünf LSD-Trips in unterschiedlichen Dosierungen erlebt und ihre Erfahrungen aufgeschrieben. LSD führt bei Einnahme zu Veränderungen im Thalamus. Der Thalamus bildet den größten Teil des Zwischenhirns. Dort kommen Sinnesreize aus der Umwelt an, werden aussortiert oder an das Großhirn weitergeleitet. Durch die Gabe von LSD erreichten Roshanis Bewusstsein Dinge, die sie normalerweise nicht wahrnehmen konnte. So beschreibt sie in ihren Texten etwa, dass sie zum allerersten Mal in ihrem Leben Töne dreidimensional und bildlich wahrnahm, Musik erschien ihr wie Schleiervorhänge aus spitzenzarten Schichten, vor dem Fenster bewegten sich Baumstämme als würden sie atmen. Sie sei entspannt wie nie zuvor gewesen. Der präfrontale Kortex, das Kontrollzentrum des Gehirns, unterdrückt Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Impulse, die nicht im Einklang mit sozialen Normen oder Roshanis Selbstbild sind. LSD aber dockt auch an Rezeptoren des präfrontalen Kortex an. Festgefahrene Denkmuster lösten sich auf, unterdrückte Gedanken und Gefühle sprudelten aus den Tiefen von Roshanis Gehirn in ihr Bewusstsein. Auf dem Gipfel ihres Trips verlor Roshani die Kontrolle über ihre Gedanken. Sie erinnerte sich an Vergessenes aus der Kindheit, sah aber auch blutige Augen und Totenschädel.
Auch an der Amygdala, dem Emotionszentrum, ruft LSD Veränderungen hervor. Die Amygdala reagiert nun weniger stark auf Reize von außen, die normalerweise negative Emotionen hervorrufen würden wie etwa Bilder von Totenschädeln. Dafür kommuniziert sie umso stärker mit anderen Gehirnregionen und befeuerte Roshanis Erleben mit Emotionen. Dabei wurde ihr klar, dass sie die Trauer über die Trennung ihrer Eltern vor 47 Jahren nie zugelassen hatte, und Tränen strömten über ihr Gesicht. Sie dachte aber auch an ihre Mutter und Tochter und wurde von purer Dankbarkeit erfasst. Dabei schien sie alles aus einer Distanz zu erleben, so als hätte sie das Innenleben einer anderen Person betrachtet. Rückblickend sagt Roshani, die Dankbarkeit, die sie empfunden habe, spüre sie nun auch im wachen Bewusstsein. Sie sei seither gelassener und empathischer geworden und lasse sich weniger von Kleinigkeiten aus der Bahn werfen. Ihre Erlebnisse legen nahe, dass psychedelische Drogen Grenzen auflösen und Verborgenes freisetzen können. Experten glauben, dies könne helfen, Muster zu durchbrechen. Zudem könne die Distanz zum Erlebten hilfreich bei der Auseinandersetzung damit sein und dabei helfen, Vergangenes zu verarbeiten.
Diese plötzliche Aufdeckung von Verdrängtem kann allerdings auch überfordern, mahnen Psychologen. Ein solcher Trip müssse daher auf alle Fälle therapeutisch vorbereitet, begleitet und die Erfahrung anschließend integriert werden. Ein weiteres Problem: Nach einem Trip können ungewollte Wahrnehmungsveränderungen bleiben.
Über dieses als HPPD oder Flashback bekannte Phänomen weiß man bisher wenig, es ist nicht richtig behandelbar. Zudem kann ein Trip auch eine temporäre oder gar chronische Psychose bis hin zur Schizophrenie auslösen. Etwa ein Prozent aller Menschen sind genetisch dafür veranlagt, das Risiko kann nur mittels biografischer Anamnese abgeschätzt werden. Hinzu kommt, dass die Gabe von Substanzen das ohnehin schon bestehende Machtgefälle in der Psychotherapie verstärkt. Zum Schutz des Patienten sind deshalb bei professionell betreuten Trips meistens ein Mann und eine Frau anwesend. Die guten Studienergebnisse sind außerdem nicht makellos. So ist es schwierig, echte Placebogruppen zu schaffen, da Psychedelika gewöhnlich eine deutliche Wirkung hervorrufen. Probanden wissen also zumeist, ob sie eine Droge oder ein Placebo einnehmen. Auch die niedrigen Teilnehmerzahlen schränken die Aussagekraft der Studien ein. Ob psychedelische Medizin tatsächlich zugelassen wird, bleibt abzuwarten. Sicher scheint, dass die Substanzen trotz ihrer Effekte keine Wundermittel sind, die Krankheiten einfach so beseitigen und nur im therapeutisch kontrollierten Rahmen eingenommen werden sollten und nur in Ausnahmefällen dürfen.