„O" wie Oktober steht vor der Tür. Da wechseln viele Autofahrer von Sommer- auf Winterreifen. Oder sollten sie sich gleich Ganzjahresreifen zulegen, da es den Winter wie früher nicht mehr gibt?
Der Klimawandel holt die Autofahrer nicht nur beim Schadstoffausstoß ein, sondern auch bei der scheinbar banalen Frage nach dem richtigen Reifen. Wenn dem Auspuff möglichst wenig CO2 entströmt, ist das besser für die Luft und die grundsätzlich weniger ungesunde Sache, aber ein falscher Pneu kann je nach Fahrsituation direkt über Leben und Tod entscheiden.
Sinken die Temperaturen kaum noch unter 0 Grad und bleiben Schnee und Eis aus, fragen sich manche Autofahrer, ob sie das Wechselspiel von Winter- und Sommerreifen und umgekehrt noch mitspielen müssen – und sie handeln. Ablesen kann man das an dem Trend zu Ganzjahresreifen.
Seit Jahren verzeichnet ihr Absatz Zuwächse von um die zehn Prozent oder mehr. Das zeigen regelmäßig die Statistiken des Bundesverbands Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) in Bonn. Die Entwicklung werde dadurch begünstigt, dass der Winter in großen Teilen Deutschlands in den vergangenen Jahren weitgehend ausgeblieben sei. Mit Schnee und Eis hat man es auf vielen Straßen in vielen Gegenden der Republik nicht mehr zu tun.
Schaffen sich die Spezialreifen also so langsam ab, und sind die Ganzjahresreifen in Zeiten der milden Winter die neuen Alleskönner? So pauschal gefragt, lautet die Antwort nein. Doch können die 365-Tages-Reifen je nach Einsatzzweck ein guter Kompromiss sein, der im Alltag vieler Halter unter gewissen Bedingungen ausreicht, heißt es beim Tüv Süd. Das bestätigen Tests immer wieder, zuletzt auch die Versuche des ADAC oder des Auto Club Europa (ACE) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ). Die Testergebnisse zeigen aber auch die grundsätzliche Herausforderung für die angeblichen Allrounder.
Denn zeigt ein Ganzjahresreifen auf Nässe gutes Fahr- und Bremsverhalten, leidet unter kälteren Bedingungen nicht selten die Traktion auf Schnee. Andersherum gilt: Sind Grip und Bremsweg auf Schnee gut, ist die Performance auf nasser Straße eingeschränkt, mitunter droht Aquaplaning-Gefahr. Der ADAC hält mit Blick auf seine Tests fest, dass Ganzjahresreifen beim Bremsweg entweder an die Messwerte der Sommer- beziehungsweise Winterreifen sogar heranreichen. Ein Entweder-Oder. Doch sogar den Spagat kurzer Bremswege einerseits auf Eis und Schnee und andererseits auf trockener, warmer Fahrbahn beherrschten einige Modelle am Markt ganz gut. Sommer- und Winterreifen seien aber immer noch die besseren Spezialisten.
Für Winterurlaub sind Alleskönner ungeeignet
Warum dann zu Ganzjahresreifen greifen? Viele Halter lockt, dass der jährliche Reifenwechsel entfällt und man mit einem Satz Reifen einfach durchs ganze Jahr fahren kann. Eine zweite Garnitur Reifen und Felgen ist nicht notwendig. Zudem muss der jeweilige Satz Winter- und Sommerreifen nicht eingelagert werden, was Kosten spart. Auch entfällt – falls man selbst Hand anlegt – die Schlepperei der schweren Räder. Andererseits muss beim Einsatz von Ganzjahresreifen in etwa mit einem doppelt so schnellen Verschleiß gerechnet werden – man fährt übers Jahr ja nur mit einem Rädersatz.
Doch nur die Sparsamkeit ist kein guter Berater. Denn vor allem große Hitze macht den Ganzjahresreifen, die wie Winterpneus auch gegenüber reinen Sommerreifen eine weichere Gummimischung haben, zu schaffen. Sommer-Tests von Automobilclubs und Fachzeitschriften zeigen deutlich längere Bremswege gegenüber Sommerreifen auf, laut BRV sind es durchschnittlich 5,4 Meter, die ein Allrounder später als ein Sommerpneu zum Stehen kommt, wenn man voll in die Eisen geht.
Dies sei ein Unterschied, der im Ernstfall „unglaublich wichtig" sein könne, heißt es beim BRV. Dort sieht man keine Veranlassung, die bisherige Empfehlung zum regelmäßigen Wechsel von Winter- und Sommerreifen zu korrigieren. Wenn überhaupt, könnten Ganzjahresreifen eher für Klein- und Kompaktwagen mit relativ geringer Motorisierung und niedrigen Kilometerlaufleistungen empfohlen werden. Aber als Lobby-Verband des Handels ist der BVR in seiner Beurteilung nicht ganz unbefangen. Aber auch der ADAC sieht in Zweitwagen, die mit wenig Kilometern vor allem innerstädtisch unterwegs sind, einen typischen Anwendungsfall.
So können Ganzjahresreifen je nach Einsatzzweck ohne Sorge auch deshalb gefahren werden, weil viele Autofahrer sie nicht dem ultimativen Stresstest aussetzen, der das Unheil heraufbeschwört. Sie fahren weit moderater als die Testfahrer. Beim Tüv Süd heißt es, wer überwiegend in der Stadt unterwegs sei, komme auch im Winter mit Ganzjahresreifen gut klar. Abzuraten sei von den „Alleskönnern" allerdings, sobald man mit ihnen mehr abverlangt und zum Beispiel in den Skiurlaub fahren wolle.
Für den Autofahrer bedeutet das: Sind die Wetterbedingungen, denen man sich und sein Auto aussetzt, schon mal extremer, ist der Wechsel zwischen Sommer- und Winterreifen die bessere Wahl, die im Zweifel brenzlige Verkehrssituationen entschärfen kann. Wer zum Oktober den Umstieg auf Ganzjahresreifen erwägt, für den heißt es: fleißig Testberichte lesen, die Eigenschaften einzelner Reifen genau studieren und überlegen, welcher Pneu zum eigenen Nutzerprofil passt.