Donald Trump weiter im Weißen Haus – dafür würden die Republikaner gerne sorgen. Die Weichen sind gestellt, auch wenn die Partei zu diesem Zweck alle Mittel aufbieten muss, die ihr bleiben. Eine zentrale Figur hierbei: Mehrheitsführer Mitch McConnell.
Er gilt als einer der stärksten Befürworter von Präsident Donald Trumps Agenda – wenn auch nicht immer von dessen Wortwahl: US-Senator Lindsey Graham (South Carolina). Bis zum Tode Senator John McCains 2018 war er einer der engsten Freunde von McCain, der sich wiederum im US-Senat als einer der ärgsten Widersacher des amtierenden Präsidenten entpuppte. Als Präsidentschaftskandidat hatte McCain im Jahr 2008 seinen damaligen Kontrahenten um das Amt, Barack Obama, gegen rassistische Kritik der republikanischen Basis verteidigt. Als Reporter Graham fragten, was nun der Unterschied zwischen Trump und McCain in deren Kritik am jeweiligen politischen Gegner sei, wurde Graham barsch. „Ich kann mich nicht erinnern, dass John McCain diesen Mist jeden Tag durchmachen musste“, antwortete er wütend. „Was ich gelernt habe: Wenn Sie ein republikanischer Präsidentschaftskandidat – oder Präsident – sind, wird man Sie beschuldigen, ein Rassist zu sein“, twitterte Graham später.
Graham, ein moderater Konservativer, sitzt seit 2003 im Senat. Zusammen mit den Demokraten half er, Obamacare und zugehörige Gesetze zu installieren. Er sah den Aufstieg der Tea Party, der erzkonservativen, teils reaktionären Bewegung, der die Konservativen in Washington nicht konservativ genug waren. Er sah, wie die Bewegung ihre eigenen Senatoren platzierte, Ted Cruz oder Rand Paul, und damit den Mainstream der Republikaner umlenkte – weiter nach rechts. Die Bitterkeit, mit der Graham auf die Frage der Reporterin antwortete, mag eine Resonanz dieser innerparteilichen Zerrissenheit zwischen Moderaten und Erzkonservativen in der Partei sein. In seiner Heimat South Carolina schien Graham laut vielen Medienberichten einen Riesenspaß – und vor allem, Erfolg – dabei gehabt zu haben, die Tea Party zu zerstören. Denn wie John McCain ist Graham ein Teil des republikanischen Mainstreams – und musste dann dennoch dabei zusehen, wie die ideologischen Wellen, die die Tea Party einst schlug, an ihm vorbei bis ins Weiße Haus schwappten.
Moderate gegen Erzkonservative
Zwar ist diese fundamentaloppositionelle Bewegung längst nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihre Ideen und ihre Kandidaten aber sind längst führend in der Partei. Dass dem so ist, verdankt die Partei unter anderem der innerparteilichen Moderation von Mitch McConnell. Der Senator von Kentucky und Mehrheitsführer im Senat, selbst ein Teil des Partei-Establishments, hat sich als einflussreichster Strippenzieher der Republikaner längst etabliert und dirigiert die Partei, Moderate wie Erzkonservative, in Washington gleichermaßen wie ein Choreograf: mal Totalblockade, mal konziliante Deals. Ohne ihn wären sie längst Opfer ihrer eigenen Fliehkräfte geworden; ohne ihn gäbe es keine Trump-Agenda. Und angesichts der aktuellen Umfragewerte Donald Trumps wird McConnell alles tun, was in seiner Macht steht, um seine eigene zu erhalten.
Das Magazin „New Yorker“ hat die Karriere McConnells akribisch durchleuchtet, sprach mit Dutzenden Weggefährten und Kontrahenten. Laut der Analyse des Magazins ist der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat im Grunde gefährlicher als Donald Trump: ein Mann ohne Ideologie, ein kaltblütiger Polit-Maschinist, ein Meister der komplexen Senats-Prozeduren. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Gesetze, die er einfach nicht zur Abstimmung bringt, wenn sie ihm nicht passen. Seine Ehefrau, die derzeitige Transportministerin Elaine Chao, gilt als Erfüllungsgehilfin seines Machterhalts, indem sie Infrastruktur-Gelder an Staaten mit republikanischen Gouverneuren oder republikanischen Senatskollegen verteilt – damit McConnell zum geeigneten Zeitpunkt deren Gefallen einfordern kann.
Die aktuelle Mission heißt Machterhalt über die Präsidentschaft hinaus. Denn die Republikaner müssen fürchten, über kurz oder lang keine Mehrheit mehr in den USA zu stellen: Ihre Kernwählerschaft schwindet, hat das unabhängige Pew Research Institute errechnet. Und dass Donald Trumps Präsidentschaft neue Wählerschichten angelockt hat, bezweifeln aktuelle politische Forschungen in den USA.
Nach wie vor sind diejenigen Wählergruppen, die Trump die Treue halten, weiße Wähler ohne College-Abschluss. 2016 machten sie 60 Prozent der Wählerschaft auf Seiten der Republikaner aus, nur 29 Prozent der Wählerschaft der Demokraten. Sie werden auch bei dieser Wahl eher auf Seiten Trumps als in Bidens Lager vermutet. Doch es gibt auch eingewanderte Republikaner-Fans: Kubanischstämmige Amerikaner, eine mächtige Kraft in Florida, einem Schlüssel-„Swing“-Staat im Präsidentschaftswettlauf, waren immer konservativ. Im Jahr 2016 stimmten sie mit 52 Prozent für Trump und halfen ihm so, den Staat zu gewinnen. In diesem Jahr hat Bendixen & Amandi, ein demokratisch orientiertes Meinungsforschungsunternehmen, eine Umfrage mit dem „Miami Herald“ durchgeführt, die in liberalen Kreisen Panik ausgelöst hat: Trump ist Favorit der kubanischen Amerikaner mit einem Vorsprung von 38 Punkten vor Biden. Auch die Venezolaner unterstützen Trump in großer Zahl. Grundsätzlich aber ändert sich die Wählerschaft gerade: Die Zahl der Amerikaner mit College-Abschluss steigt seit Jahren, und unter ihnen wählt man tendenziell mehr demokratisch statt republikanisch. Auch andere Latino- und schwarze Wähler werden laut Prognosen mehrheitlich eher demokratisch wählen.
Im Augenblick (Anm. d. Red.: Redaktionsschluss 12. Oktober 2020) sieht es laut nationaler Umfragen für Joe Biden sehr gut aus. Diese Art Umfragen sind jedoch wenig aussagekräftig. Auf Staatsebene zeigen sich eher die Tendenzen, doch auch hier scheint es für den demokratischen Herausforderer von Donald Trump derzeit kaum Schwierigkeiten zu geben, die erforderlichen 270 Wahlmänner-Stimmen für einen Sieg zusammenzubekommen. Selbst mit hoher Fehlertoleranz errechneten Statistiker aktuell 346 Stimmen pro Biden. Was bleibt also den Republikanern, um ihre Macht im Weißen Haus zu sichern? Die Justiz.
Machtsicherung per Gerichtsbeschluss
Mit dem Tod der liberalen Frauenrechtsikone und Richterin Ruth Bader Ginsburg vor wenigen Wochen wurde ein Traum der Republikaner wahr: eine generationenlange konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof der USA zu etablieren. Mit Trumps neuer nominierten Richterin Amy Cony Barrett wäre der Gerichtshof mit sechs konservativen, aber nur drei liberalen Richtern besetzt. Noch in Barack Obamas Amtszeit verhinderte Mitch McConnell über neun Monate hinweg die Nominierung des liberalen Richters Merrick Garland mit dem Hinweis, man solle dies nicht in einem Wahljahr tun, sondern vielmehr den Wähler entscheiden lassen. Heute, zwei Wochen vor der Wahl, will McConnell das Nominierungsverfahren für Richterin Amy Cony Barrett bis spätestens 3. November durchpeitschen, trotz einiger Covid-19-infizierter Senatoren. Angesichts einer Wahl, in der auf beiden Seiten schon jetzt Hunderte Anwälte bereitstehen, um die jeweils andere Seite zu verklagen, ein kluger Schachzug.
Schon einmal wurde eine Präsidentschaftswahl durch eine parteiische Entscheidung des damals mehrheitlich republikanisch besetzten Supreme Courts entschieden: im Falle George W. Bush gegen Al Gore. Das Gericht verbot im Jahr 2000 eine Neuauszählung der Stimmen, Al Gore zog zurück und verhalf so Bush zum Sieg.
Bush erhielt landesweit weniger Stimmen als Gore – aber damit genügend Stimmen in wichtigen Swing States, um die Wahlmänner für eine Mehrheit im Electoral College auf seine Seite zu ziehen. Das Electoral College, sprich die 539 Wahlleute, die letztlich ihre Stimme für den einen oder anderen Kandidaten abgeben, tun dies in 26 Staaten für den Sieger der „popular vote“, also wer die meisten Stimmen in den Wahlbezirken bekommen hat; 24 Staaten müssen sich jedoch nicht an den Wählerwillen halten; Nebraska und Maine sind die einzigen Staaten, die ihre Wahlmänner zwischen den Kandidaten aufteilen könnten.
Das Verfahren ist kompliziert, zum Teil unfair – und könnte von der Trump-Administration unterlaufen werden. Basierend auf Trumps unbegründeten Behauptungen über weit verbreiteten Wählerbetrug und andere Unregelmäßigkeiten bei Briefwahlen könnte der Präsident „die [republikanischen] Gesetzgeber der Bundesstaaten auffordern, die Volksabstimmung beiseitezulassen und ihre Macht dazu auszuüben, eine eigene Liste von Wahlmännern direkt zu wählen“, schrieb der Journalist Barton Gellman im Magazin „The Atlantic“ und fügte hinzu: „Je länger es Trump gelingt, die Stimmenzahl im Zweifel zu halten, desto mehr Druck werden die Gesetzgeber verspüren.“
Angeblich existiere bereits innerhalb der Trump-Kampagne ein Plan, die Zweifel bis zur Inauguration eines neuen Präsidenten am 20. Januar 2021 zu streuen. Der Plan würde sich auf zentrale Swing-Staaten mit republikanisch geführten Gesetzgebungen konzentrieren, darunter Arizona, Florida, Michigan, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin, um dort republikanische Wahlmänner aufzustellen. Experten sagen jedoch, dass auf diese Weise zusammengestellte Wahlleute nach der Wahl zu ernennen gegen das Bundesrecht verstoßen würde, da der Kongress 1845 ein Gesetz erließ, das die Bundesstaaten verpflichtet, diese am Wahltag in das Wahlkollegium zu berufen. Eine Anfechtung aber könnte auf den Zweifeln an der Briefwahl beruhen. Viele Staaten haben den Zugang zum Briefwahlsystem ausgeweitet, Fristen für die Entgegennahme der Stimmzettel entweder per Gesetz oder, trotz Einspruch der Trump-Kampagne, per Gerichtsbeschluss verlängert. Maßnahmen, die die Zahl der Wähler steigern könnte. Dennoch tauchen immer wieder Meldungen von falsch versendeten Stimmzetteln auf, von Wählerunterdrückung ist die Rede, viel zu wenigen Wahllokalen in Gegenden, wo viele demokratische Wähler vermutet werden; republikanisch regierte Staaten setzen teils hohe Hürden wie beispielsweise notarielle Beglaubigungen der Stimmzettel. Fehlerhafte Stimmzettel aber könnten genau das sein, worauf die bereitstehenden Anwaltsarmeen beider Seiten warten – um die Wahl auf County- oder bundesstaatlicher Ebene anzufechten und womöglich die Legislativen dazu zu bringen, die Wahlergebnisse zu ignorieren.
Briefwahl auf Staatsebene angreifbar
Auf diese Weise könnte Trump das Electoral College per Gerichtsbeschluss zu seinen Gunsten drehen, wenn die Bundesstaaten dabei mitmachen. Dafür sorgen könnte Mitch McConnells weitreichendes republikanisches Netzwerk quer durch die Staaten. Die Moderaten in der Partei werden sich dem Unvermeidlichen fügen – auch Senator Lindsey Graham. Womöglich muss er sich darüber aber keine Sorgen mehr machen. Sein demokratischer Herausforderer Jamie Harrison scheint der erste zu sein, der dem langjährigen Senator von South Carolina gefährlich werden kann. Die Wiederwahl Grahams ist mehr als gefährdet, seiner Kampagne geht das Geld aus, während Harrison geradezu darin schwimmt. Mit Graham würde ein Golf-Kumpel von Trump aus dem Senat verschwinden – aber auch einer der letzten des Partei-Establishments.
Eine gute Nachricht für die stramm rechtskonservative Basis. Dieser rief Donald Trump übrigens im Jahr 2016 schon zu: „Ich möchte allen meinen Wählern und Unterstützern und dem ganzen Volk der Vereinigten Staaten versprechen und zusichern, dass ich die Ergebnisse dieser großen und historischen Präsidentschaftswahl voll und ganz akzeptieren werde“, sagte Trump damals. Und fügte dann hinzu: „Wenn… ich… gewinne!“