Der Sommerurlaub im Süden war wegen der Pandemie abgesagt, daher freuten sich die Deutschen auf Herbstferien im eigenen Land. Doch daraus wurde nichts. Der Kurzurlaub zwischen Ostsee und Alpen wird zum Corona-Spießrutenlauf, an Skiurlaub ist gar nicht zu denken.
Es ist das monatliche Ereignis des deutschen Föderalismus: die Bundesratssitzung. In der Länderkammer nahe dem Potsdamer Platz in Berlin-Mitte sitzen die Ministerpräsidenten zusammen und bestätigen die Gesetze, die der Bundestag verabschiedet hat – oder auch nicht. Oder sie starten eigene Initiativen. Bei der Oktobersitzung hätten die Ministerpräsidenten besonders viel zu besprechen gehabt: Die neuesten Corona-Maßnahmen, unter anderem das Beherbergungsverbot, sorgen für chaotische innerdeutsche Zustände. Doch die Ministerpräsidentinnen und Präsidenten hatten sich bei dieser Bundesratssitzung, mehr oder weniger ungewollt, selber ausgeladen. Lediglich Volker Bouffier aus Hessen tauchte für ganze 20 Minuten auf und verschwand dann wieder. So dauerte die Sitzung keine zwei Stunden, wo es doch eigentlich so viel Dringendes zu besprechen gibt und ein persönliches Gespräch immer besser ist, als eine Zoom-Schalte, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im FORUM-Gespräch anmerkte. Das föderative Bund-Länder-System kam an seine Grenzen, nachdem unter anderem auch der Bezirk Berlin-Mitte zum Hochrisiko-Gebiet erklärt wurde. Zwölf Ministerpräsidenten verfügten daraufhin, dass Menschen aus diesem Hochrisikogebiet in ihren Bundesländern nicht mehr einreisen durften. Wer von einer Dienstreise kommt, muss in Quarantäne, bis auch der zweite negative Corona-Test vorgelegt wird. Sowohl der Sitz des Bundestages und eben auch des Bundesrates liegt in – Berlin Mitte. Wären die Länderchefs anwesend gewesen, hätten auch sie zumindest für fünf Tage in Quarantäne gemusst, darum sind sie lieber gar nicht erst gekommen. Das gleiche Schicksal drohte auch den Bundestagsabgeordneten. Da griff Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beherzt ein und erklärte das neueste Corona-Verfahren der Bundesländer für die Bundestagsabgeordneten für Null und Nichtig. Die Begründung ist recht simpel, die Bundestagsabgeordneten genießen immerhin „parlamentarische Immunität“, und damit unterliegen sie auch nicht irgendwelchen Quarantänebestimmungen, nur, weil sie in Berlin-Mitte arbeiten.
Ministerpräsidenten tricksen sich aus
Der Normalbürger hat unterdessen endgültig den Überblick verloren, wohin er darf und wohin er vor allem nicht darf. Berlin ist mittlerweile als komplette Stadt zum Hochrisikogebiet erklärt worden, und seine Bewohner sollten sich auf Herbst- und Weihnachtsferien in den eigenen vier Wänden einstellen. Weder Schleswig-Holstein, noch Mecklenburg-Vorpommern, schon gar nicht Bayern und auch nicht Rheinland-Pfalz wollen Urlauber aus Hochrisikogebieten haben. Dort gilt ein striktes Übernachtungsverbot. Waren die Berliner Anfang Oktober noch die einzigen Ferien-Ausgesperrten, hat sich unterdessen bundesweit ein wahrer Hochrisiko-Flickenteppich aufgetan. Denn auch aus den anderen Bundesländern wurden reihenweise Städte und Kreise mit mehr als 50 Neuinfektion pro 100.000 Bewohner innerhalb von sieben Tagen gemeldet.
Inzwischen wächst die Kritik an den Beschlüssen. Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Andreas Gassen kritisierte: „Diese Regelungswut ist eher kontraproduktiv.“ Er sieht in innerdeutschen Reisen eine „Pseudogefahr“. Die Risiken für eine Corona-Ausbreitung stammten von Großhochzeiten und Fleischbetrieben, nicht von Reisenden.
Während seit März die offizielle Aufforderung galt, die Bundesbürger machten dieses Jahr mal Urlaub im eigenen Land, ist diese nun völlig auf den Kopf gestellt worden. Diejenigen, die sich auf Jens Spahns Hinweis auf die Schönheit Deutschlands verlassen hatten, fühlen sich allein gelassen.
Verwirrend sind innerhalb Deutschlands auch die unterschiedlichen Einzelmaßnahmen der Bundesländer. Das fängt schon bei der Maskenpflicht an, in der Münchner und Stuttgarter Innenstadt gilt diese, in Berlin nicht. In Berlin hält man die Maskenpflicht für Mund und Nase im Freien (noch) für unsinnig und setzt auf Abstand. Diesbezüglich ist unter den neuen Taktgebern des öffentlichen Zusammenlebens ein erbitterter Streit entbrannt. Einige Virologen sind dafür, andere halten sie für überzogen und sinnlos. Sie setzen auf Abstandsregelungen und sehen die Gefahr, dass sich die Maskenträger in einer trügerischen Sicherheit wähnen. „Es macht überhaupt keinen Sinn, sich irgendwelche Lappen vors Gesicht zu hängen“, so Frank Montgomery, Präsident des Weltärztebundes und wohl prominentester Arzt in Deutschland. „Die Politik weiß seit drei Monaten, dass wir dieses Problem haben und hat es nicht geschafft, FFP2-Masken in Deutschland produzieren zu lassen oder zu importieren“, so Montgomery.
Kontraproduktive Regelungswut
Trotzdem hat die Stadt Berlin in allen Büros, egal ob Behörde oder Privatwirtschaft, die Maskenpflicht eingeführt. Nur direkt am Schreibtisch darf die Maske abgesetzt werden. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder setzt auf Masken als Allheilmittel und fordert nun bundesweit eine einheitliche Strafe für Maskenmuffel von 250, im Wiederholungsfall von 500 Euro. Diese gilt bereits in ganz Bayern und soll nun restriktiv von den Alpen bis zur Küste eingeführt werden. Während Markus Söder als Law-and-Order-Mann den Takt angibt, glänzt die Bundeshauptstadt derzeit ebenfalls durch Übereifer. Restaurants, Tankstellen, Spätis und Bars dürfen von 23 bis 6 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen. Diese Regelung gilt zunächst bis zum 1. November. Köln hat sich diesem Verfahren jetzt angeschlossen, weitere deutsche Großstädte werden wohl folgen. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), Veranstalter, aber auch die Kassenärztliche Vereinigung haben erhebliche Zweifel, ob dieses Verbot die Infektionszahlen sinken lassen wird. Doch jetzt ist politische Aktion gefragt. Nur die Bundestagsabgeordneten bleiben von all dem unberührt, sie sind durch die „parlamentarische Immunität“ geschützt.