Am 16. Oktober erscheint das mittlerweile achte Studio-Album von Sängerin Katie Melua – mit dem schlichten Namen „Album No.8". In Deutschland konnten sich alle sieben bisher veröffentlichten Alben in den Top Ten platzieren. Im Interview spricht die 36-Jährige über ihre Musik, die Corona-Zeit und ihre Beziehung zu Deutschland.
Ms. Melua, Ihr letztes Album liegt vier Jahre zurück. Seit Ihrem ersten Album 2003 gab es keine so lange Zeitspanne zwischen zwei Platten. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?
Ich wollte mich für dieses Album auf einen Aspekt meiner Arbeit konzentrieren, den ich schon immer als besondere Herausforderung empfunden habe – und zwar das Texteschreiben. Für mich sind Worte das, was ein Lied zu einem großartigen Song macht. Ich habe viel Zeit damit verbracht, alles zu diesem Thema zu lesen und aufzusaugen, Lyrik-Kurse zu belegen und mich persönlich weiterzubilden. Und dann musste ich natürlich auch noch den richtigen Produzenten finden, der meine Ambitionen versteht und mit dem richtigen Maß an Sensibilität rangeht.
Wie haben Sie den richtigen gefunden?
Produzenten sind mysteriöse Wesen in unserer Industrie. Mit diesem Album wollte ich große Musik und die Arbeit als Musikerin zelebrieren. Leo Abraham wurde mir von einem Freund empfohlen und ich bin sehr dankbar dafür.
Sie haben diesmal alle Songs selbst geschrieben. Was war das für eine Erfahrung?
Wie ich schon sagte sind die Texte für mich essenziell – das Herzstück eines jeden Songs. Zum ersten Mal hatte ich die volle Kontrolle über die Texte, konnte ganz tief eintauchen – vom theoretischen Aspekt bis hin zum fertigen Song. Für mich besteht großartige Kunst darin, die Wahrheit aufzuzeigen. Also habe ich mir mein Leben angeschaut und wie ich die Welt sehe und versucht, das textlich wiederzugeben. Meine Erfahrungen und mein Blick auf die Welt haben dieses Album geformt.
Und wie ist Ihr Blick auf die Welt?
Es passiert aktuell sehr viel um uns herum. Ich habe einmal etwas gelesen von einem britischen Maler, was mich nachdenklich gemacht hat. Und zwar meinte er, dass das Thema Liebe in den Medien und der Öffentlichkeit auf eine ganz bestimmte Weise dargestellt wird, die aber nicht immer mit der Realität übereinstimmt. Ich glaube aber nicht, dass die Realität eine geringere Version von großer Kunst ist, sondern – ganz im Gegenteil – die schönste Version von Kunst sein sollte. Ich wollte die Komplexität von echtem Leben und echter Liebe festhalten und sie auf die schönst mögliche Art und Weise auf diesem Album verewigen. In dem Song „Airtime" geht es zum Beispiel darum, wie es ist, wenn man sich verliebt und irgendwann wieder entliebt. Und eigentlich geht es einem gut, aber um einen herum ist so viel „Liebes-Propaganda", die einem weismachen will, dass man unendlich traurig über das Ende der Beziehung sein sollte. Das habe ich selbst erlebt.
Was wollen Sie mit Ihrer Musik erreichen? Was ist Ihnen besonders wichtig?
Das Zuhören als Erfahrung an sich ist mir sehr wichtig. Ich habe die Platte für Menschen gemacht, die sich gern Zeit nehmen, um genau zuzuhören und den Moment intensiv zu erleben. Ich glaube fest daran, dass Kunst uns verändern kann. Mein größter Traum ist es, dass Menschen meine Songs hören und innerlich eine Art emotionaler Veränderung spüren. Alle wirklich großen Songs und Platten haben diese Fähigkeit, die Atmosphäre zu verändern. Das ist es, was ich mir auch für meine Songs wünsche.
Das Album wird von einem Orchester aus Tiflis begleitet, wo Ihre Wurzeln liegen.
Genau! Ich habe bereits in der Vergangenheit mit diesem Orchester gearbeitet und auch meinen Manager schon einmal nach Georgien mitgenommen. Er wusste also, was für ein fantastisches Orchester es ist. Die georgische Kunst entwickelt sich gerade sehr stark und erfährt eine Wiederbelebung. Es ist toll, ein Teil davon zu sein und mit lokalen Künstlern zusammenarbeiten zu können.
Haben Sie ein Lieblingslied auf dem Album?
Eigentlich nicht. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich „Remind Me To Forget" nehmen. Auf den Song bin ich sehr stolz und den werde ich, glaube ich, noch lange singen.
Warum gerade dieses Lied?
Das Lied betrauert das Ende einer Beziehung und die damit verbundene Achterbahnfahrt der Gefühle, aber es ist im Grunde ein sehr optimistisches Lied. Es geht darum, wie man mit dem Liebes-Aus umgeht. Ich wurde zum Beispiel durch die Begegnung mit der Natur geheilt.
Bei zwei Liedern haben Sie mit Ihrem Bruder zusammengearbeitet. Wie war das?
Mit meinem Bruder zu arbeiten war etwas ganz Besonderes. Als Geschwister haben wir natürlich von Natur aus eine spezielle emotionale Verbindung. Da er wesentlich jünger ist, habe ich als Kind öfter auf ihn aufgepasst und am Anfang war die Vorstellung, mit ihm zusammenzuarbeiten, etwas nervenaufreibend (lacht). Aber er ist einfach ein solch phänomenaler Mensch und professioneller Musiker geworden und inzwischen ist es fast so, dass er derjenige ist, der mich vorantreibt, um immer besser zu werden.
W
arum arbeiten Sie gern mit unterschiedlichen Partnern zusammen? Liegt darin der Schlüssel, die Songs einzigartig zu machen?
Das Musik-Business ist von einem starken Wettbewerb geprägt, deswegen muss man sehr genau schauen, mit wem man zusammenarbeitet. Mich begeistert, wie die unterschiedlichen Leute ihre unterschiedlichen Perspektiven und kulturellen Stile mit in die Arbeit einbringen. Mit meinem Bruder war es eher persönlich und emotional, mit anderen großen Künstlern ist es dann wieder ganz anders. Es geht viel um Stil, Individualität und Sensibilität.
Das Lied „Leaving the Mountain" wurde von einem Ausflug mit Ihrem Vater inspiriert. Können Sie uns mehr von Ihrer Beziehung zu Ihrem Vater erzählen?
Im Musik-Geschäft muss man sehr hart arbeiten, und ich verbringe viel Zeit damit, Songs zu schreiben, sie zu promoten und auf Tour zu sein. Das führt aber auch dazu, dass ich wenig Zeit für die Familie habe. Wenn man älter wird, fängt man an, die Dinge neu zu bewerten. Mein Vater hat in den letzten Jahren angefangen, intensiv Ski zu fahren und hat mich öfter mitgenommen. Das ist so ziemlich die einzige Zeit im Jahr, wo wir richtig intensive „Qualitäts-Zeit" miteinander verbringen. In dem Lied geht es um einen besonderen Ort, den wir anschauen wollten, aber am Ende doch leider keine Zeit mehr dafür hatten.
2020 ist stark vom Corona-Virus geprägt. Wie hat diese Zeit Sie persönlich betroffen? Wo waren Sie während des Lockdowns?
Ich war zu der Zeit in London. Wir hatten im Januar die Aufnahmen in Georgien und im Februar meine Gesangsaufnahmen abgeschlossen. Im März hatten wir mit dem Mixen angefangen und waren gerade in den letzten Zügen, als die Pandemie ausbrach und es zum Lockdown kam. Also haben wir etwas gemacht, was ich noch nie zuvor getan hatte: Wir haben das Mixen virtuell beendet. Ich wusste gar nicht, dass es dafür überhaupt eine entsprechende Technik gibt. Ich konnte von zu Hause aus in Echtzeit der Arbeit im Studio zuhören. Das war schon ziemlich beeindruckend.
Hat Corona Ihre Sicht auf die Welt in irgendeiner Art verändert?
Um ehrlich zu sein, war ich sehr beschäftigt und hatte kaum Zeit, um groß anzuhalten und nachzudenken. Dafür bin ich im Nachhinein sehr dankbar. Mein Vater ist Arzt und hatte dadurch viel Patientenkontakt. Das war besonders in der Anfangszeit sehr beängstigend, weil London eine sehr internationale Stadt ist und er seine Praxis mitten im Zentrum hat. Da ich so beschäftigt mit dem Fertigstellen des Albums war, konnte ich mich gut von diesen negativen Gedanken ablenken. Aber ich glaube, dass Corona doch auch etwas erreicht hat.
Und zwar?
Wir vergessen oft, wie gut es uns in der westlichen Welt geht. Die meisten Menschen haben nur Friedenszeiten miterlebt. Ab und zu ist es vielleicht gar nicht schlecht, dass etwas Unvorhergesehenes passiert und man innehalten und noch mal aus einer anderen Perspektive auf sein Leben blicken muss.
Das größte Problem für uns Musiker ist, nach den gesundheitlichen Fragen sicherzugehen, dass es allen gut geht, dass unsere Live-Industrie komplett zum Stillstand gekommen ist. Viele meiner Kollegen, die die ganze Zeit auf Tour sind, mussten alles absagen. Das war und ist sehr beängstigend.
Alle Ihre sieben bisherigen Alben waren in Deutschland Top Ten, viele Ihrer Hits landeten auf Platz eins der Charts. Gibt es da einen gewissen Druck, das wieder zu erreichen?
Natürlich – ein gewisser Druck ist immer da. Für mich ist es aber eher ein Druck, gut für das Team abzuliefern. Ich habe ein tolles Team, das sehr hart arbeitet und voller Begeisterung bei der Sache ist. Also will ich natürlich auch, dass das Ergebnis entsprechend gut wird. Aber unsere Priorität darf es nicht sein, eine gewisse Chart-Position oder bestimmte Verkaufszahlen zu erreichen. Das darf nicht über dem Ziel stehen, gute Kunst zu machen und gute Qualität abzuliefern.
Sie waren sehr jung, als Sie Ihr erstes Album aufgenommen haben und mit Hits wie „Nine Million Bicycles" große Erfolge gefeiert haben. Was hat sich seitdem verändert? Wie haben Sie sich verändert?
Ich glaube sehr stark daran, dass man sich stetig weiterentwickelt und besser und besser wird – als Person, aber auch als Künstler. Als ich mit nicht mal 20 Jahren angefangen habe, war ich ein absoluter Neuling im Geschäft. Ich bin sehr zufrieden, wie sich alles seitdem entwickelt hat. Ich glaube daran, dass man immer besser werden kann, wenn man hart arbeitet. Ich möchte mich immer weiterentwickeln.
Kommen Sie gern nach Deutschland? Was für eine Beziehung haben Sie zu Ihren Fans hier?
Ich muss sagen: Ich liebe Deutschland und trete sehr gerne hier auf. Vor ein paar Jahren habe ich mit Peter Maffay zusammengearbeitet – das hat viel Spaß gemacht. Ich habe auch schon mal ein Lied auf Deutsch gesungen („Ich wollte nie erwachsen sein", Anm. d. Red.). Ich habe das Glück, dass ich seit vielen, vielen Jahren sehr interessierte Fans in Deutschland habe, die mir treu sind. Und ich habe das Gefühl, dass die Deutschen sehr warmherzig und offen sind. Ich bin dankbar, dass ich immer wieder herkommen darf.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich habe keine konkreten Pläne gemacht, aber ich würde gerne immer weiter Musik machen. Ich möchte, dass diese tolle Abenteuer-Reise noch lange weitergeht.