Im Vorjahr gelang Tiger Woods beim Masters in Augusta ein sensationeller Comeback-Triumph. Doch bei seiner Titelverteidigung hat er mit Form-Problemen zu kämpfen – und einem neu aufgekochten Skandal.
Für Rachel Uchitel ist es auch eine Frage der Gleichberechtigung. „Es ist schwieriger für Frauen, aus einem solchen Skandal herauszukommen. Ich verdiene meinen eigenen Jubel-Moment“, sagte die Nachtclub-Besitzerin über ihre Beweggründe, ausgerechnet jetzt ihr Schweigen zu brechen. „Tiger gewinnt Preise und Turniere und kommt aus einer solchen Misere wieder raus.“ Tiger – damit ist Tiger Woods gemeint. Der berühmteste Golf-Profi der Gegenwart und die Hostess Rachel Uchitel hatten vor elf Jahren eine Affäre, die sich zu einem riesengroßen Skandal entwickelte.
Allein die Ereignisse in der Nacht, in der Ehefrau Elin Nordegren das Techtelmechtel von Woods mit Uchitel herausfand, sind drehbuchreif: Eine SMS verrät den schlafenden Woods, der dann in Panik über die hysterische Ehefrau und unter dem Einfluss von Schlafmitteln versucht, im Cadillac zu fliehen. Er überfährt einen Hydranten und kollidiert mit einem Baum auf dem Nachbargrundstück. Nordegren zertrümmert mit einem Golfschläger die Heckscheibe des Wagens, die geschockten Nachbarn rufen Polizei und Krankenwagen herbei.
Soll seine Gemahlin mit 121 Frauen betrogen haben
Danach war nichts mehr wie zuvor im Leben von Tiger Woods. Der bis dahin unantastbare Fan-Liebling, der als erster Sportler mehr als eine Milliarde Euro verdient hatte, stürzte gewaltig ab. Die New York Post brachte das „Tigergate“ 20 Tage in Folge auf der Titelseite – weil immer mehr peinliche Details zu Tage kamen. Am Ende soll Woods seine Frau mit 121 Frauen betrogen haben, er begab sich freiwillig in eine Therapie gegen Sex-Sucht. Die Scheidung kostete ihn geschätzte 100 Millionen Euro, doch viel schlimmer war sein ruinierter Ruf in der Öffentlichkeit. „Ich habe viel zu büßen“, sagte Woods einmal.
Doch das Gute an einem Sportler ist: Er hat immer die Chance auf ein Comeback. Und diese nutzte Woods wie vielleicht kein Zweiter vor ihm. Mit seinem furiosen Sieg beim Masters in Augusta 2019 hatte er nicht nur eine elfjährige Durststrecke bei Major-Turnieren beendet, sondern auch die Öffentlichkeit versöhnt. Als er das berühmte grüne Jackett für den Sieger überstreifte, schien es, als ob zeitgleich all der Dreck der Schmuddel-Geschichten von ihm abfiel.
Nun kehrt Woods zurück ins Golf-Mekka, wo vom 12. bis 15. November das prestigeträchtigste Major-Turnier abgehalten wird. Dass in der Szene wieder über den Sex-Skandal von damals getuschelt wird, liegt an einer Dokumentation des Pay-TV-Senders HBO. Der widmet Woods ähnlich wie Basketball-Ikone Michael Jordan eine eigene Mini-Serie (zwei Folgen), in der der Aufstieg, der tiefe Fall und das epische Comeback des Golf-Stars geschildert wird. Das Pikante daran: in den beiden Episoden, die am 13. und 20. Dezember, also kurz vor Woods 45. Geburtstag (30. Dezember), ausgestrahlt werden, äußert sich seine damalige Geliebte Rachel Uchitel erstmals konkret zur Affäre. Woods selbst spricht in der Doku nicht – wohl nicht grundlos. Es dürfte heikel werden. Die Vergangenheit holt Woods ausgerechnet kurz vor dem Masters wieder ein.
Woods hatte sich eigentlich Uchitels Schweigen erkauft. Der Preis: Sie sei „für immer gebrandmarkt, und das ist eine wirklich schwierige Art, sein Leben zu leben“, sagte die heute 45-Jährige im Podcast „Juicy Scoop“. Sie breche ihr Schweigen, um „eine Stimme zu bekommen, um zu erklären, wie es für mich gewesen ist. Ich glaube die Leute verstehen das sonst nicht.“ Uchitel, die beim Terror-Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 ihren Verlobten verloren hatte, will, dass die Leute auch ihr vorurteilsfrei begegnen – so wie bei Tiger Woods: „Er macht Fehler, rauft sich wieder zusammen, und die Leute feuern ihn immer noch an.“
Masters in Augusta vom 12. bis 15. November
Ob Woods die zu erwartenden neuen Enthüllungen nervös machen – reine Spekulation. Auf jeden Fall verlief sein Start nach der langen Corona-Pause nicht wie gewünscht. Bei den U.S. Open scheiterte der 15-malige Major-Gewinner nach einer 77er-Runde mit zwei Double Bogeys und vier Bogeys am Cut. Am Ende stand für ihn lediglich Platz 89 zu Buche. Eine Enttäuschung ausgerechnet in seinem 80. Major-Turnier. Woods zog seine Konsequenzen und nahm sich „eine kleine Golfpause“, um sich körperlich und vor allem mental voll auf das Masters in Augusta vorzubereiten. „Wir haben noch ein paar große, große Dinge vor uns“, sagte er. Aber ist Woods selbst noch zu großen Dingen fähig? Und braucht er dafür nicht noch mehr Spielpraxis?
Woods wartete erstaunlich lange, ehe er nach der Corona-Pause wieder den Schläger schwang. „Ich habe mich besser gefühlt, zu Hause zu bleiben und sicher zu sein“, begründete er. Erst sechs Wochen nach dem Re-Start der Profi-Tour PGA stieg auch der Amerikaner ein – mit sehr mäßigem Erfolg. Woods größte Sorge: Er hat Probleme, den Ball vom Fairway lang und vor allem genau abzuschlagen, das Spiel mit dem Eisen liegt deutlich unter seinen Möglichkeiten. „Es ist zwingend, dass man auf diesem Platz die Fairways trifft, und ich habe das nicht getan“, sagte Woods nach seinem frühen Aus bei den U.S. Open.
Im Winged Foot Golf Club nördlich von New York wurde Woods zudem von einer neuen schlagkräftigen Golf-Generation vorgeführt. Der 27-Jährige Bryson DeChambeau gewann bei der 120. Auflage nicht nur sein erstes Major-Turnier, der US-Amerikaner bewies auch, dass sein revolutionärer Ansatz Erfolge bringt. Das Kraftpaket (109 Kilogramm auf 1,85 Meter verteilt) drischt mit so großer Wucht auf den Golfball ein, dass er oft nicht mal die Hälfte der Fairways trifft. Aber das ist kein Problem, denn wenn er einmal trifft, dann geht es weit. „360, 370 Meter, vielleicht sogar weiter“ wolle er schlagen, sagte DeChambeau. „Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll“, kommentierte Rory McIlroy, der frühere Weltranglistenerste aus Nordirland, über den Shootingstar und dessen unkonventionellen Stil. „Er hat das komplette Gegenteil dessen gezeigt, was ein U.S.-Open-Champion eigentlich tun muss.“ Der Turnier-Fünfte Ander Schauffele (USA) meinte anerkennend: „Er sorgt für einen neuen Trend im Golf.“
DeChambeau ist studierter Physiker, er kombiniert seine ungeheure Schlagkraft mit der Wissenschaft. Seine Schläger entwickelt er selbst, sie sind alle gleich lang. „Ich habe mich schon so oft auf die Wissenschaft verlassen“, sagte er nach dem Triumph, „und es hat jedes Mal funktioniert.“ Woods ist eher das, was man einen Instinkt-Golfer nennt. Er verlässt sich mehr auf sein Gefühl, auf seine Erfahrung. Für den neuen Trend der extrem weiten und riskanten Abschläge fehlt ihm die Power, auch wegen diverser Verletzungen aus der Vergangenheit. Und so muss er weiter darauf warten, alleiniger Rekordgewinner auf der US-Tour zu werden. Bislang teilt er sich die Bestmarke mit Sam Snead, nachdem er im Oktober vor einem Jahr in Japan seinen 82. Triumph gefeiert hatte.
In Augusta geht Woods keinesfalls als Favorit an den Start. Doch die Erinnerungen an seinen Sieg im Vorjahr, der als einer der spektakulärsten der Geschichte dieses Sports noch immer nachhallt, könnten ihm Auftrieb verleihen. Auf die Unterstützung der Fans muss Woods aber diesmal verzichten. Das Masters, das vom traditionellen Termin im April auf November verschoben wurde, wird wegen der anhaltenden Corona-Pandemie ohne Zuschauer ausgetragen. Fred Ridley, Vorsitzender des Augusta National Golf Club, sprach von einer notwendigen Maßnahme, die jedoch auch „eine große Enttäuschung“ sei.
Kombination aus Schlagkraft und Wissenschaft
Das Masters ist das wichtigste der vier Major-Turniere im Golfsport. Der Sieger erhält eine lebenslange Mitgliedschaft im Augusta National Golf Club und ein grünes Jacket, das von ihm ein Jahr lang getragen werden darf, ehe er es zurück zum Golf Club bringen muss, wo es anschließend aufbewahrt wird. Zudem hat der Gewinner ein lebenslanges Startrecht, deshalb wird wohl auch Bernhard Langer in diesem Jahr antreten. Deutschlands Altstar hatte das Turnier 1985 und 1993 für sich entschieden.
Ähnlich wie Langer hat auch Woods – anders als die junge Konkurrenz – mit körperlichen Gebrechen zu kämpfen. Bei Wettkämpfen sind mitunter schwarze Kinesio-Tapes an Woods’ Nacken zu sehen, die elastischen Spezial-Pflaster sollen die Muskel stabilisieren, die Beweglichkeit aber nicht einschränken. Doch das Alter kann auch Woods nicht überlisten. Wenn es kalt ist, „schmerzt alles“, hat er vor einem Jahr gesagt. Doch auch bei wärmerem Wetter leidet sein bald 45 Jahre alter Körper nach vier Knie- und vier Rücken-Operationen: „Irgendwie müssen die Kräfte absorbiert werden, mal geht es in den Lendenwirbelbereich, mal in den Nacken oder gar in die Knie. Ich spüre jeden Schlag. Aber das wird wohl immer so bleiben.“
Auch der Sex-Skandal wird Woods ein Leben lang begleiten, nun wieder etwas mehr. Dass er erneut mit einem Geniestreich davon ablenken kann, erscheint höchst fraglich.