Die finanziellen Einbußen durch Corona können viele Menschen kaum verkraften. Gerhard Schick, Ex-Politiker und Chef der Bürgerbewegung Finanzwende, kritisiert das öffentliche Desinteresse an diesen Schicksalen und fordert Hilfen gegen Geschäfte mit den Ärmsten.
Herr Schick, droht Deutschland eine Überschuldungswelle?
Da entwickelt sich fast unbemerkt eine Katastrophe. Schon jetzt sind 6,9 Millionen Menschen von Überschuldung betroffen. Das ist eine Wahnsinnsgrößenordnung.
Doch das Thema ist mit Tabus belegt. Es gibt nicht einmal eine amtliche Statistik dazu. Corona verschärft das Problem. Kurzarbeiter oder Selbstständige können die finanziellen Einbußen ein paar Wochen oder Monate oft noch abfedern. Eine Umfrage der Auskunftei Creditreform ergab, dass mehr als jeder vierte Haushalt bald Zahlungsschwierigkeiten befürchtet. Überschuldung entsteht in der Regel nicht aus bösem Willen oder Dummheit. Die Hauptgründe sind Arbeitslosigkeit, schwere Krankheiten, Scheidungen und momentan auch Kurzarbeit.
Wie lässt sich Überschuldung wirksamer verhindern?
So unterschiedlich die Ursachen sind, so unterschiedlich sind die Ansatzpunkte, diese zu verhindern. Eine zu oft negative Rolle spielt bei dem Thema die Finanzbranche. Nehmen Sie die oftmals überhöhten Zinsen bei Dispokrediten. Wenn in einer Niedrigzinsphase, wie wir sie jetzt haben, noch über 13 Prozent für den Dispo verlangt werden, erhöht es die Wahrscheinlichkeit von Zahlungsschwierigkeiten. Ein zweiter Punkt ist der Umgang mit Konsumentenkrediten. Das ist ein Riesenärgernis. Bei den Verkaufsgesprächen wird oft zu wenig geprüft, ob sich die Kunden den Kredit leisten können. Mit zusätzlich vertriebenen Restschuldversicherungen liegen die Zinsen bisweilen effektiv über 20 Prozent. Das verkraftet nicht jeder, der finanziell schon an der Kante steht. Die Bundesregierung hat es bisher noch nicht einmal geschafft, einen Provisionsdeckel bei Restschuldversicherungen zu setzen. Wir schauen sehenden Auges zu, wie Menschen durch das Agieren der Banken in die Überschuldung hineingetrieben werden können.
Brauchen wir einen gesetzlichen Deckel beim Dispozins?
Das müsste der Gesetzgeber machen. Wir als Finanzwende greifen die Banken an, die zu hohe Zinsen verlangen. Denn nicht alle Banken kassieren da ab, manche sind im niedrigen einstelligen Bereich. Wir knöpfen uns die Institute vor, die sehr hohe Zinsen verlangen. Einfach zu einer günstigeren Bank zu wechseln, wenn Sie im Minus sind, funktioniert nicht. An dieser Stelle versagt der Markt.
Auch die Inkassogebühren rufen die Kritik von Verbraucherschützern hervor. Sollten die Kosten stärker begrenzt werden?
Das ist ein weiterer Punkt. Es ist ja in Ordnung, dass Schuldner gewisse Kosten für Gebühren und Mahnungen tragen müssen, aber Inkasso darf kein so auf Rendite getrimmtes Geschäftsmodell sein, wie es jetzt vielfach der Fall ist. Ein Beispiel ist der Handelskonzern Otto mit seiner Inkasso-Tochter EOS. Wir haben uns dieses Beispiel genauer angeschaut. EOS steuert den Großteil zum Konzerngewinn bei. Die Marge im Handel ist gering, die Marge beim Forderungsmanagement dagegen sehr hoch. Wir müssen uns also nicht wundern, wenn die Gesellschaft ein Überschuldungsproblem hat: Die Gesellschaft lässt es zu, dass Finanzdienstleister im Geschäft mit den Ärmsten oft am meisten verdienen. Das gilt auch für das Basiskonto bei den Banken, die dafür oft zu hohe Gebühren verlangen. Die Tatenlosigkeit der Politik ist empörend.
Reichen die Beratungskapazitäten der Schuldnerberatung aus?
Nein. Und es gibt weder eine einheitliche Struktur der Beratung noch einen Rechtsanspruch darauf, sieht man von Sozialhilfeempfängern ab. Zum Teil gibt es zu lange Wartezeiten. Viele Menschen werden in den kommenden Wochen und Monaten durch Corona unverschuldet in finanzielle Not kommen oder sind es schon. Da erwarte ich, dass es endlich mal eine bundesweite Strategie gibt, wie wir damit umgehen wollen. Denn wenn es nun oft zu Recht Milliarden für die Wirtschaft gibt, dann müssten wir doch zumindest daran arbeiten, für Überschuldete bessere Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Sonst entsteht da ein gefährliches Bild.
Immerhin wird doch die Entschuldungsfrist jetzt von sechs auf drei Jahre verkürzt. Ist das kein Fortschritt?
Die vorgesehene Verkürzung der Entschuldungsfrist rückwirkend zum 1. Oktober ist erst einmal richtig. Doch die weitere Unterscheidung zwischen Selbstständigen und anderen Schuldnern ist nicht mehr zeitgemäß. Der Übergang zwischen Kleinselbstständigen und Verbrauchern ist fließend. Dahinter steckt das Bild von Schuldnern, die die Entschuldung reihenweise missbrauchen. Natürlich muss Missbrauch verhindert werden. Es geht aber vor allem um eine soziale Hilfe. Wenn ich mir anschaue, wie vielen Leuten der Strom abgeschaltet wird, 300.000 Haushalten. Und wenn man sich die Schicksale in den Beratungsstellen anhört, merkt man, dass hier Hilfe gebraucht wird.
Was raten Sie Betroffenen?
Vorsicht bei gewerblichen Schuldnerberatern. Sie sollten, wenn möglich, zu einer öffentlichen Schuldnerberatung gehen. Einen für alle gültigen Tipp gibt es nicht. Jeder Fall liegt anders und bedarf einer individuellen Beratung. Die einzige Empfehlung ist, möglichst schnell eine Beratung in Anspruch zu nehmen.