Als die Fußballer des FSV Mainz 05 vor einigen Wochen ein Training verweigerten, ließen sie ihren damaligen Trainer Achim Beierlorzer und den gesamten Verein im Regen stehen. Die sportliche Talfahrt ist dabei fast selbsterklärend.
In der Bundesliga war dieser Spielerstreik wohl einmalig, den letzten bekannten und vergleichbaren Vorfall gab es bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika, als Frankreichs Spieler das Training boykottierten. Doch was war in Mainz eigentlich vorgefallen? Adam Szalai wurde zu Beginn der Chaoswoche suspendiert. Wie Trainer Achim Beierlorzer mitteilte aus sportlichen Gründen. Die Spieler konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen. Szalai pendelte zwar immer zwischen Startelf und Ersatzbank, war aber durchaus mit dem ein oder anderen wichtigen Tor in Erscheinung getreten. Die Mannschaft sah eher das üppige Gehalt Szalais als Problem des Vereins und wollte nicht zulassen, dass ihr Mitspieler als Sündenbock herhalten musste. Deshalb der Trainingsstreik. Am Tag danach folgte dann die Aussprache. Die Vorbereitung auf das Spiel gegen den VfB Stuttgart ging planmäßig weiter. „Wir werden selbstverständlich trainieren und am Samstag alles daran setzen, das Spiel zu gewinnen", sagte Sportvorstand Rouven Schröder. Nach einer frühen Führung sah das auch erst einmal gut aus, doch dann brachen alle Dämme, und es klingelte viermal im FSV-Kasten. Diese Niederlage und der Trainingsstreik unter der Woche kosteten dann Beierlorzer den Job. Dabei war der Cheftrainer kurz vor dem Spiel noch guter Dinge, auch was seine Person angeht: „Die Mannschaft hat ein Statement gesetzt, das aber nicht persönlich gegen mich gerichtet war. Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass dies in den Trainingsbereich reinspielte."
War Szalai nur ein Bauernopfer der Vereinspolitik?
Interimstrainer wurde der langjährige Mainzer Co Jan-Moritz Lichte, mit der Aufgabe, nach den Chaostagen die sportliche Talfahrt zu stoppen. Unter ihm setzte es dann ein 0:4 gegen Union Berlin. „Wir sind natürlich brutal enttäuscht, hatten uns in dieser Woche gut vorbereitet und ein gutes Gefühl", sagte Schröder. Ein einfacher Rückstand habe die Mannschaft jedoch eingeschüchtert, „sie ist nicht gefestigt, und wir machen individuell zu viele Fehler", legte Schröder nach. Auch Lichte war sauer. Es werde jetzt jeden Tag „hart gearbeitet", um demnächst „einfach besser dazustehen", meinte er. Schon die Länderspielpause wollte Lichte nutzen: „Das Erste, was passieren muss, ist es, die Selbstkritik hochzuhalten, sodass jeder weiß, dass wir hart arbeiten müssen."
Der Auftritt in Berlin regt aber durchaus zum Nachdenken an. Er war geprägt von Harmlosigkeit und fehlender Leidenschaft. Für die Verantwortlichen liegt der Verdacht nahe, die Mannschaft verstecke sich hinter den Vorkommnissen der Chaostage mit Trainingsstreik und Trainerwechsel. „Es gibt keine Alibis mehr", meinte Schröder: „Wenn man die ersten drei Spiele verliert, hat man mehr falsch als richtig gemacht."
Die Ausgangslage regt nun allerdings zum Nachdenken an. Mit null Punkten und 2:11-Toren ist es ein glatter Fehlstart. Das Torverhältnis zeigt zudem auch: Der FSV ist in der Offensive zu schwach, in der Defensive zu anfällig. „In den entscheidenden Momenten stehen wir neben statt beim Gegner. Wir lassen ihn im Sechzehner frei zum Abschluss kommen", stellte Lichte nach Abpfiff fest. Auch Keeper Robin Zentner kritisierte das Abwehrverhalten, ohne dem Team den Willen abzusprechen. Doch nicht nur in der Abwehr gibt es jede Menge Arbeit für Interimstrainer Lichte. auch offensiv gelang den Mainzern in Berlin kaum etwas. „Wir haben zu wenig Ertrag nach vorne", stellte 05-Kapitän Danny Latza nach dem Spiel fest. Bis zur Halbzeit spielten die Mainzer tatsächlich ganz ordentlich – ohne jedoch wirklich im letzten Drittel präsent zu werden.
Hinzu kommt die riskante Personalpolitik. Der Verkauf von Defensivallrounder Ridle Baku zum VfL Wolfsburg schwächte die Mannschaft enorm, doch die Geldnot durch Corona zwang die sportliche Leitung zum Handeln. Die Abwehr zeigte in Berlin einen katastrophalen Auftritt.
Der Nachfolger von Beierlorzer bekam kurz vor Transferschluss auch nicht mehr die erhofften Verstärkungen. Alle Spieler, die laut Schröder Angebote von anderen Vereinen vorliegen hatten, blieben bei den Mainzern, Platz für neue Verpflichtungen war somit nicht. Lediglich vertragslose Spieler sind noch auf dem Markt, ob diese jedoch als vernünftige Verstärkungen dienen, ist durchaus zu hinterfragen. Lichte hatte zwei Wochen Zeit, um in der Länderspielpause die schmerzhafte Niederlage zu verarbeiten und seinem Team wieder einen Plan mit auf den Weg zu geben. Im Fußball gebe es „wenige einfache Situationen für einen Trainer", sinnierte der langjährige Co-Trainer und meinte: „Ich nehme es an, wie es ist, und wir versuchen, das Beste daraus zu machen."
„Wenige einfache Situationen als Trainer"
Schröder ist jedenfalls von Lichte überzeugt: „Er ist in seiner Art sehr ruhig, sehr strategisch und auch strukturiert" sagte er über den 40-Jährigen. Lichte könne der Mannschaft in kurzen und knackigen Ansprachen aufzeigen, was er sich wünscht. „Er ist genau der Gleiche geblieben, und das zeichnet ihn auch aus", meinte Schröder – allerdings kurz vor dem Anpfiff bei Union Berlin. Und auch Rouven Schröder muss sich hinterfragen. Seine Verpflichtung von Beierlorzer brachte zwar den dringend benötigten Klassenerhalt, sorgte aber nicht für die gewünschte Konstanz auf der Trainerbank. Viele kritische Stimmen wurden schon vorher laut, als der gerade beim 1. FC Köln geschasste Trainer zwei Tage später beim FSV anheuerte. Der Klassenerhalt gab nicht die gewünschte Ruhe, auch weil Schröder nicht in der Lage war, einen schlagkräftigen Kader zusammenzustellen. Ob es dabei nur an den finanziellen Schwierigkeiten des Vereins haperte oder auch ein wenig an Schröder selbst lag, wird die Zukunft zeigen. Ob Lichte nun der richtige Mann ist, muss Schröder ebenfalls verantworten. Liegt er erneut falsch, dürften die Tage von ihm auch gezählt sein. Die Zeiten unter Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel, als Mainz 05 das Bild des sich langsam entwickelnden Vorzeigeclubs prägte, sind jedenfalls längst vorbei. Stattdessen regieren Chaos und die Angst vor dem Absturz.