Wohin die Reise geht, verfolgten die beteiligten Vereine bei der Auslosung der Europapokale mit doppeltem Interesse. Nicht nur der Gegner verbunden mit dem Reiseziel war diesmal interessant. Sondern auch die Corona-Lage im betreffenden Gebiet.
Als die Lose gezogen waren, lautete die Bilanz: Nur drei der 18 Auswärtsspiele der deutschen Mannschaften finden Stand Mitte Oktober nicht in Risikogebieten statt. Und das, obwohl die ganz exotischen Ziele und Länder größtenteils ausgeblieben waren. Allerdings ist die Zahl der Risikogebiete zuletzt wieder deutlich gestiegen, auch Städte in Deutschland gehören inzwischen ja vermehrt dazu. Es werden also seltsame Reisen werden, die die Vereine auf sich nehmen müssen. Mit besonderen Maßnahmen bei der Anreise, der Unterbringung und den Transfers. Vielleicht mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und an vielen Orten wohl ohne oder nur mit ganz wenigen Zuschauern. Das alles muss man bedenken, wenn man sich über die Chancen der einzelnen Clubs Gedanken macht. Grundsätzlich sind die Favoriten-Rollen aber klar verteilt.
Klar ist: Im vergangenen Europacup-Jahr hat die Bundesliga endlich mal wieder einen Aufschwung erlebt. Der Champions-League-Sieg des FC Bayern war der erste deutsche Europacup-Sieg seit 2013. Zudem stand RB Leipzig im Halbfinale der Königsklasse, Leverkusen erreichte das Viertelfinale der Europa League. Mit 18,714 Durchschnittspunkten für die Fünfjahres-Wertung lag Deutschland endlich mal wieder auf dem Niveau von Spanien (18,928) und England (18,517). Vor zwei Jahren hatten diese beiden Ligen noch rund die doppelte Punktzahl erreicht wie die Bundesliga. Die nun mit dem Makel leben muss, bereits einen der sieben Starter verloren zu haben. Der VfL Wolfsburg verpasste durch eine 1:2-Niederlage bei AEK Athen den Einzug in die Gruppenphase der Europa League. Bei den anderen sechs Vereinen schauen wir auf die Chancen und die Besonderheiten in ihrer Gruppe.
CHAMPIONS LEAGUE
FC Bayern München: Aus Topf eins schien ein Hammerlos nahezu unmöglich, dafür ist die Gruppe aber zumindest kein Selbstläufer. Atlético Madrid scheint nicht mehr die Stärke vergangener Jahre zu haben, als das Team des Trainer-Heißsporns Diego Simeone 2014 und 2016 jeweils das Champions-League-Endspiel erreichte – und jeweils gegen Stadtrivale Real verlor. RB Salzburg zeigte sich in den vergangenen Jahren dagegen stark verbessert und hat auch seinen Quali-Fluch in der Champions League abgelegt. Im Vorjahr boten die Österreicher in einer starken Gruppe Paroli, hatten den FC Liverpool mit Jürgen Klopp beim 3:4 am Rande einer Niederlage und holten in Neapel ein 1:1. Zudem haben die Partien angesichts von nur 140 Kilometer Entfernung Derby-Charakter. Lok Moskau wurde in Russland zumindest Vizemeister.
Borussia Dortmund: Die Gruppe des BVB scheint ausgeglichen, aber absolut lösbar. Aus Topf eins der Granaten zog der BVB mit dem russischen Meister Zenit St. Petersburg sportlich wohl den dankbarsten Gegner. Die Alternativen hätten Real Madrid, Liverpool, Juventus Turin, Paris Saint-Germain, Porto und Sevilla geheißen. Gegen Lazio Rom kommt es zum Wiedersehen mit Ciro Immobile, das den Spielen laut BVB-Boss Hans-Joachim Watzke „eine besondere Würze" gibt. Immobile erlebte 2014/15 ein für beide Seiten ernüchterndes Jahr in Dortmund, in dieser Saison schnappte er mit 36 Toren in 37 Spielen Bayern-Torjäger Robert Lewandowski noch den Goldenen Schuh als bester Torschütze Europas weg. Mit Brügge tat sich der BVB vor zwei Jahren beim 1:0 und 0:0 in der Gruppenphase durchaus schwer.
Borussia Mönchengladbach: Die Borussia hat aus Topf vier erwartungsgemäß das schwerste Los erwischt. Doch dieses ist sportlich sehr reizvoll. Real Madrid mit Toni Kroos ist natürlich der klare Favorit in der Gruppe, Inter Mailand zeigte als italienischer Vize-Meister mit dem Einzug ins Europa-League-Finale, dass das Team auf dem besten Weg zu alter Stärke ist. Und Schachtjor Donezk ist ein höchst undankbarer Außenseiter, der durch seine stetigen Erfolge in Europa auf Rang zwölf der Uefa-Clubtabelle liegt – direkt vor Dortmund. „Das ist ein geiles Los", sagte Gladbach-Manager Max Eberl. „Wir sind in der Champions League dabei, da kann man nicht erwarten, dass man Fallobst bekommt."
RB Leipzig: Da RB erst in die vierte Europacup-Saison geht, lagen die Leipziger trotz des Halbfinal-Einzugs im Vorjahr bei der Auslosung nur in Topf drei und erwischten eine harte Gruppe. Besonders spannend werden die Duelle mit Paris Saint-Germain. Nicht nur, weil die Franzosen mit Thomas Tuchel einen deutschen Trainer und mit Thilo Kehrer und Julian Draxler auch zwei Nationalspieler haben, sondern weil es PSG war, das RB im Halbfinale durch ein 3:0 stoppte. „Mit ihnen haben wir noch eine Rechnung offen", sagte Leipzigs Sportdirektor Markus Krösche. Unter normalen Umständen kommt es um Platz zwei in der Tabelle dann zum Duell mit Manchester United, das längst nicht mehr die Stärke früherer Jahre hat, aber Stars wie Paul Pogba, David de Gea, Bruno Fernandes und den gerade für 40 Millionen von Ajax geholten Donny van de Beek. Den Erdogan-Club Istanbul Basaksehir sollte man ebenfalls nicht unterschätzen, denn er wurde im Vorjahr türkischer Meister. Es war erst das zweite Mal seit 1985, dass keiner der drei Istanbuler Groß-Clubs Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray den Titel holte.
EUROPA LEAGUE
Bayer Leverkusen: Im Vorjahr schien der Weg zum Titel machbar. Doch die Corona-Unterbrechung stoppte einen starken Lauf von Bayer, das dann beim Endturnier vor der Haustür in Nordrhein-Westfalen direkt im Viertelfinale an Inter Mailand scheiterte. Dennoch lag Bayer mit seiner langen Europacup-Historie bei der Auslosung in Topf eins – erwischte dafür aber ein anspruchsvolles Los. Mit dem tschechischen Meister Slavia Prag hatte Dortmund beim 2:0 und 2:1 in der Champions League im Vorjahr viel Mühe, OGC Nizza mit dem Ex-Bayern-Abwehrspieler Dante als Kapitän und dem früheren Weltstar Patrick Vieira als Trainer ist nicht zu unterschätzen. Und Hapoel Beer’Sheva ist zumindest israelischer Pokalsieger.
1899 Hoffenheim: In Europa ist Hoffenheim noch ein Leichtgewicht. Bei zuvor je einer Teilnahme an der Europa- und der Champions League scheiterte 1899 jeweils in der Vorrunde. Deshalb lag die TSG auch nur in Topf drei. Dafür ist die Gruppe okay – aber gefährlich, weil ausgeglichen. „Wir hätten gerne einen ganz großen Gegner dabeigehabt, aber den müssen wir uns nun in der K.o.-Phase holen", sagte Trainer Sebastian Hoeneß. KAA Gent hat viel Europacup-Erfahrung und war beim Saison-Abbruch in Belgien Zweiter hinter Brügge. Roter Stern Belgrad wurde souverän serbischer Meister. Slovan Liberec als Fünfter in Tschechien ist der klare Außenseiter.