Auf der Agenda der Verkehrsminister aus Bund und Ländern stehen Verkehrswende und Pandemiebewältigung. Angesichts dieser Herausforderungen wirkt der Streit um einen neuen Bußgeldkatalog eher befremdlich.
Videokonferenzen können ihre eigene Dynamik entwickeln. Was eigentlich als Abschluss-Veranstaltung zur Konferenz der Verkehrsminister von Bund und Ländern geplant war, wirkte zeitweilig wie eine Fortsetzung der Diskussionen auf der Konferenz selbst.
Beim sensiblen, emotional aufgeladenen und politisch brisanten Streit um einen neuen Bußgeldkatalog machte die turnusgemäß amtierende Vorsitzende der Konferenz, Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD), aus ihrem Herzen keine Mördergrube. „Wir haben ein paar Annäherungen erreichen können, aber keine fertige Lösung erzielt".
Dabei wurde zumindest ein Teil der Ministerkollegen nicht müde, der Vorsitzenden zu bescheinigen, auf dem Verhandlungsweg und mit Kompromissvorschlägen alles daran gesetzt zu haben, das leidige Thema zum Abschluss zu bringen. Sichtlich entnervt fielen Sätze wie: „Wir sollten weder unsere eigenen Nerven noch die der anderen überstrapazieren", oder das Thema sei „nicht geeignet, um es in den Bundestagswahlkampf zu schleppen". Mal ganz abgesehen davon, dass in diesen pandemiegeprägten Zeiten Herausforderungen ganz anderer Dimension auf der Tagesordnung standen und stehen.
Eingebrockt hatte das Dilemma um den Bußgeldkatalog das Bundesverkehrsministerium. Die Absicht, gegen Raser mit deutlich härteren Sanktionen zu Felde zu ziehen, ist nicht nur löblich, sondern aufgrund von Fakten geboten. Überhöhte Geschwindigkeit gehört immer noch zu den häufigsten Unfallursachen. Nur sollte man die gute Absicht nicht durch Formfehler selbst aushebeln. Und damit gleich auch noch eine Reihe anderer sinnvoller Maßnahmen wie einen besseren Schutz von Fahrradfahrern verzögern.
Eigentlich sollte die neue Straßenverkehrsordnung (StVO) im April in Kraft treten, war aber wegen Formfehlern von den Ländern ausgesetzt worden. Unklar und strittig blieb zunächst, ob damit die ganze Novellierung der STVO neu verhandelt werden muss oder eben nur der strittige Bußgeldteil.
Corona stellt Verkehrswende vor neue Aufgaben
Über den Streit gerieten bei der Verkehrsministerkonferenz Herausforderungen von ganz anderen Dimensionen fast schon in den Hintergrund. Stichworte von Rehlinger zu den Pandemiefolgen:
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV): „ein krasser Rückschlag", Fahrrad: „ein Konjunkturprogramm" und Auto: ein „Rückzugsort", wobei gleichzeitig die Industrie in einem enormen Transformationsprozess steht.
Im ÖPNV waren die Fahrgastzahlen zeitweise um 70 bis 90 Prozent eingebrochen, der Einnahmeverlust war auf etwa fünf Milliarden Euro geschätzt worden. Bislang liegen die Verluste zwar noch darunter, aber niemand wagt eine Prognose über die weitere Entwicklung bis zum Jahresende. Für das laufende Jahr hat der Bund 2,5 Milliarden Euro bereitgestellt, in den Ländern gibt es Beschlüsse zu ergänzenden Hilfen, auch wenn der ein oder andere Finanzminister etwas störrisch war. Rehlinger hält im Namen der Verkehrsminister dagegen: „Wir sind strategische Partner in der Daseinsvorsorge", folglich seien die Verluste zu hundert Prozent auszugleichen, und: „Wir lassen sie auch 2021 nicht im Stich."
Stand die Stärkung des ÖPNV vor Corona mit im Mittelpunkt der Diskussionen um eine Verkehrswende, haben sich in der Krise auch die Risiken gezeigt. Rehlinger verweist ungeachtet dessen auf die bleibende Herausforderung, „nach der Krise eine Verkehrswende zu organisieren".
Dazu gehört auch die Schiene. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer unterstreicht, erstmals in der Geschichte werde mehr in die Schiene als in die Straße investiert. 8,6 Milliarden Euro gegenüber 8,55 Milliarden ist zwar nur ein bescheidener Vorsprung, aber immerhin ein Signal, umfasst das Investitionspaket für die Bahn doch insgesamt 86 Milliarden Euro bis 2030.
Die neue Investitionsvereinbarung sieht vor allem Sanierungen vor, die Rede war beispielsweise von etwa 2000 Brückenbauwerken, die längst in die Jahre gekommen sind und deren Sanierung entsprechend überfällig ist. Bis 2030 – so das ursprüngliche Ziel – sollte die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene verdoppelt werden. Der Plan war Teil der Vorlagen für das Klimakabinett. Das Investitionsprogramm sieht auch die Reaktivierung stillgelegter Strecken vor. Die Länder ihrerseits unterstützten bei der Konferenz zwar das Investitionsprogramm, wiesen aber zugleich darauf hin, dass es nicht reiche, alte Gleise zu ertüchtigen und gegebenenfalls neue zu bauen, wenn nicht gleichzeitig Geld für Züge bereitgestellt werde, die darauf fahren sollen. Von weiteren Milliarden für den Kauf von Zugmaterial war die Rede. Zudem ging es um die sogenannten Regionalisierungsmittel, Geld, das den Ländern zur Verfügung gestellt wird, um den regionalen Schienen zu organisieren.
Bislang standen für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums 8,65 Milliarden zur Verfügung, die für das laufenden Jahr zunächst auf 8,8 Milliarden erhöht worden waren und in einem zweiten Schritt um weitere 150 Millionen aufgestockt wurden. Für Andreas Scheuer sind die Zahlen Beleg für ein „Jahrzehnt der Schiene", Länderchefs sind allerdings zurückhaltender in der Einschätzung, ob damit die Ziele bis 2030 erreichbar sind, fordern ihrerseits eine Verstetigung dieser Mittel.
Unfreiwillig die Potenziale von Radfahren entdeckt
Für ein anderes Verkehrsmittel haben die Entwicklungen diesen Jahres wie ein Konjunkturprogramm gewirkt. Die Mobilitätsstudie „Fahrrad-Monitor" (Sinus, im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums), veröffentlicht im September, bestätigt, was in den Monaten zuvor zu beobachten war: Fahrradhändler erlebten einen ungeahnten Ansturm. Die Studie zeigt zwar das Potenzial für geändertes Mobilitätsverhalten, aber auch die Differenzierungen. Fahrradfahren in der Freizeit (Ausflüge und Sport) hat unter Coronaverhältnissen (Reisebedingungen) deutlich zugenommen, dagegen blieb das Umsteigen aufs Rad für die Fahrt zur Arbeit etwa auf dem gleichen Niveau wie zuvor. Insgesamt wird aber auch wegen der technologischen Entwicklungen (Pedelec) mit einer weiteren Zunahme des Radverkehrs gerechnet, erst recht, wenn mehr Menschen, zunächst eher ungewollt, Geschmack am Radfahren gefunden haben. Im touristischen Bereich ist das bereits in diesem Sommer messbar. 17 Prozent der Befragten hatten einen Sommerurlaub mit Fahrrad geplant, knapp 40 Prozent davon hatten das ursprünglich nicht vor, sich aber aufgrund der Pandemie für diese Alternative entschlossen. Knapp ein Fünftel hat dann offenbar Gefallen bekommen und erwägt auch in den nächsten Jahren einen Fahrradurlaub.
Gleichzeitig hat das Auto in dieser Zeit als „Rückzugsort" eine deutlich größere Rolle gespielt. Statt Infektionsrisiko im öffentlichen Raum auf sich zu nehmen, zogen Menschen lieber das alleine genutzte Fahrzeug vor. Was aus Pandemiesicht vernünftig ist, verträgt sich nicht unbedingt mit Klimaschutzerwägungen. In Zeiten des Lockdowns war das eher marginal, zeigt aber zugleich auch die neue Herausforderung, will man am Ziel einer Steigerung im ÖPNV festhalten, der neben den längst bekannten Herausforderungen jetzt auch zusätzliche unter Gesundheitsschutzkriterien zu bewältigen hat.
Wie in vielen anderen Bereichen hat sich die Pandemiezeit auch in Sachen Verkehr als ungeahnter Beschleuniger einiger Entwicklungen erwiesen, alte Versäumnisse noch schärfer zu Tage treten lassen und neue Herausforderungen auf die Agenda gesetzt. Allesamt Aufgaben, gegenüber denen eine Einigung über einen neuen Bußgeldkatalog eine eigentlich bewältigbare Sache sein sollte.
Bis zur nächsten Sitzung des Bundesrates, der Länderkammer, könnte das leidige Thema noch abgeräumt werden.