Ein zweiter Lockdown soll zwar verhindert werden, aber trotz allem wird in den kommenden Wochen das wirtschaftliche Leben in Stadt und Land wohl eingeschränkt werden. Das dürfte vor allem wieder die Solo-Selbstständigen und die Unterhaltungsbranche treffen.
Ein kalter Westwind fegt über den Berliner Alexanderplatz in diesem Oktober, dazu rieselt seit Stunden ein leichter Landregen aufs Pflaster. Yamikako bricht ihre Freestyle-Interpretation ab, zwar hat sie sich einen Platz unter dem Vordach eines großen Kaufhauses gepachtet, doch bei diesem Wetter bleibt kein Mensch stehen, an einen oder zwei Euro in ihrer Künstlerkiste ist da schon gar nicht zu denken. „Im Sommer hat das tatsächlich funktioniert, auch wenn der Tagesumsatz teilweise gerade mal an die 100 Euro ran gereicht hat, aber jetzt macht das einfach keinen Sinn mehr." An ein reguläres Engagement an einer der vielen Berliner Bühnen denkt die 27-Jährige derzeit gar nicht erst. „Völlig utopisch, die festen Ensemble-Mitglieder sind ja beinah noch alle in Kurzarbeit, da holen die keine von außen dazu." Yamikako ist wenig optimistisch was ihre berufliche Zukunft angeht. Das Wetter wird in den kommenden Monaten ihre künstlerische Straßenperformance eher unmöglich machen, einen Job als Kellnerin kann sie sich, im wahrsten Sinne des Wortes, abschminken.
Kein Gastwirt in der Bundeshauptstadt weiß, was auf ihn zukommt, denn das Getränke-Geschäft lief in den letzten Monaten vor allem über die Terrasse draußen und eher nicht über den Gastraum. Doch welcher Durstige setzt sich bei drei Grad im Nieselregen in den kleinen Biergarten „Bei Norbert". Das einzige, was helfen könnte, wären Gas-Heizpilze, doch die sind von Bezirk zu Bezirk umstritten. Ein Gastro-Gipfel hat noch keine Klarheit gebracht. „Wenn dann nur noch der Elektrostrahler bleibt, müsste ich draußen für den Humpen zehn Euro nehmen, so viel Strom verbraucht der. Das zahlt doch keiner", bringt es ein Gastwirt aus Berlin-Wilmersdorf auf den Punkt.
Also bleibt nur noch die Hoffnung, dass der Winter nicht ganz so streng wird und die Gastwirte im Außenbereich mit Glühwein und dicken Decken durchkommen, denn die Unterbringungskapazitäten in ihrem Schankraum sind coronabedingt mehr als begrenzt. Steigen die Infektionszahlen weiter, werden die Gäste wohl eher noch weniger als mehr. Obendrein droht ein Teil-Lockdown, Bars und Kneipen könnten wieder ganz dicht gemacht, Restaurants nur noch von 10 bis 18 Uhr geöffnet werden, schlechte Aussichten also für Aushilfskellner. Das trifft aber nicht nur freischaffende Künstler, die ausbleibende Arrangements über die Gastronomie abfedern wollen, sondern auch Studierende. Das Studentenwerk hat abermals Alarm geschlagen, dass vor allem Studierende mit weniger betuchten Eltern finanziell unter die Räder kommen könnten, denn nur von Bafög allein kann man nicht leben, schon gar nicht in den Universitätsstädten.
„Die Zeichen stehen gegen uns"
Nicht nur die Aushilfsjobs in der Gastronomie werden weniger. Der ganze Minijob-Bereich ist im schweren Fahrwasser. „Bei mir wird Bafög allein schon von der Miete aufgefressen, ohne meinen Nebenjob lieg ich meiner Mutter wieder auf der Tasche", erzählt Vanessa. Die angehende Soziologin hat derzeit noch einen Aushilfsjob in einer Filiale einer großen Modekette im Berliner Gesundbrunnencenter. „Ich bin echt froh über jeden, der reinkommt und unsere Ordnung durcheinanderbringt und ich ihm dann den Krempel wieder hinterherräumen darf" erzählt die 23-Jährige. Doch die schwedische Modekette hat bereits angekündigt, zahlreiche Stores in Deutschlands Innenstädten zu schließen. Schlechte Aussichten für Vanessa, aber sie hofft, dass es nicht ihren Store trifft.
In einer anderen Branche hat man dagegen jegliche Hoffnung aufgegeben, denn auch das Weihnachtsgeschäft wird wohl ausfallen. „Bis jetzt haben unsere Mitglieder irgendwie ihre Unternehmen über Wasser halten können, doch alle finanziellen Puffer sind nach über einem drei viertel Jahr jetzt aufgebraucht", bringt es Thomas Meyer auf den recht betrüblichen Punkt. Er ist Vorstandsmitglied im deutschen Schaustellerverband und hat alle Hoffnung begraben, dass zumindest die Weihnachtsmärkte und der Weihnachtszirkus noch ein bisschen Umsatz zum Jahresende bringen könnten. „Die Zeichen stehen ganz klar gegen uns, denn die Infektionszahlen werden auch im November hoch bleiben, und dann ist nur noch wenig Zeit für die Vorbereitung von Weihnachtsmärkten."
Dabei bieten die Schausteller ein selbst für Gesundheitsbehörden schlüssiges Hygiene- und Gesundheitskonzept. Zwischendurch wurden denn auch bundesweit mehrere Volksbelustigungen auf den Märkten und Plätzen genehmigt. Doch dem Aufatmen der Betreiber von Autoscooter und Kettenkarussell folgte bald Ernüchterung. Ähnlich wie bei den Gastwirten, zählt auch im Zirkus oder beim Rummel die Masse von Besuchern, sonst lohnt der ganze Aufwand nicht. Vor allem die Zirkusfamilien mit Tieren trifft es hart, der Mensch kann gern mal verzichten und mal eine Schaffenspause machen. Doch die Tiere brauchen nicht nur ihr Fressen, sondern müssen in der Manege trainiert werden, sonst verlernen sie ihre Kunststücke. Dazu kommt, dass die Äffchen, Lamas oder Flex, das Ferkel, sich vom Publikum „entwöhnen". Sie werden schreckhaft und nervös. Für die Dompteure bedeutet das, sollte es im kommenden Frühjahr wieder losgehen, viel Arbeit mit den Tieren.
„Alle Puffer sind aufgebraucht"
Andere Sorgen treibt „Fleur" um. Die 24-Jährige betreibt eine Escort-Agentur, doch wer braucht in diesen Zeiten eine junge, schmucke Begleitung in die Oper, wenn das Opernhaus nicht mal ein Drittel seiner Plätze belegen darf? Das gilt übrigens auch fürs Theater, ganz abgesehen davon, dass Empfänge, Vernissagen und sonstige gesellschaftliche Ereignisse praktisch nicht mehr stattfinden. „Wir gehören zum Unterhaltungsbereich, aber von den staatlichen Hilfen haben meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nichts gesehen, denn wir finden praktisch nicht mehr statt". „Fleur" und ihre Kolleginnen befinden sich mit ihrer Arbeit in einer Art sozialen Graubereich, der schwer für die Behörden, die über Fördermittel entscheiden, zu erfassen ist.
Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur den Bereich des schillernden Parkett-Glamours, sondern auch „Hakan" in seinem Späti am Innsbrucker Platz in Berlin-Schöneberg. Dort macht er seinen Hauptumsatz nachts und zwar mit alkoholischen Getränken und nicht mit Schokolade oder Bonbons. Doch der Verkauf von Alkohol ist derzeit zwischen 23 und 6 Uhr verboten. Das trifft die Existenzgrundlage der Spätkaufs und damit vor allem die Familien, denn die meisten sind Familienbetriebe. Doch das scheint die Politik auch bei den Maßnahmen gegen die Auswirkungen der zweiten Corona-Welle zu vergessen. Die großen Unternehmen bekommen weiter Zusagen in Milliardenhöhe, die Kleinstunternehmer und Soloselbstständigen dürfen sich erneut vertrauensvoll ans Jobcenter wenden.