Ab mit dem Döner Kebab in die Bowls: Im „ø 27" pimpt Küchenchef Philipp Kossack Huhn und Kalb vom Drehgrill zu grenzüberschreitenden Kreationen à la „Döbimbap" oder „Son of a chick".
Erst eine „Döbimbap"-Bowl mit einem Glas französischen Rosé, dann eine Käsekuchen-Creme und zum Dessert nach dem Dessert eine „Ayran Colada". So sähe mein Lieblingsmenü nach Maß aus. Wie sich ahnen lässt, spielt der Döner Kebab im „ø 27" in der Kantstraße eine maßgebliche kulinarische Rolle. Das kryptische „ø 27"-Zeichen weist auf den Durchmesser für die verwendeten Schüsseln hin. Die drei Betreiber Behnam Mashoufi, Babak Tajbakhsh und Göksel Bas füllen den Döner Kebab vorrangig dort hinein.
Der Kebab dreht sich mit Fleisch vom Kalb oder vom Huhn auf den Grillspießen. Doch im Drumherum wird der Berliner Imbiss-Klassiker grenzüberschreitend variiert. In einer „Döbimbap"-Bowl treffen Hühner- Kebab mit eingelegtem Rettich auf Pirinç-Reis, Spiegelei, koreanische Hot Sauce und Sesam. Schärfe, Säure und Ei sind in koreanischer, Reis und Hühnerfleisch in türkischer Handschrift ausgeführt. Tomate, Gurke, Eisbergsalat und Rotkohl gesellen sich als klassische Döner-Beigaben hinzu. Das sitzt, macht Spaß und balanciert die Geschmacksnuancen prima aus. „Wir haben diese Bowl mit koreanischem Touch, weil die Frau von Babak Koreanerin ist", erzählt Göksel Bas, der als Döner-Kenner den Blick aufs Geschehen vor Ort behält.
Geschmack ist prima nuanciert
Das „ø 27" an der Kantstraße ist gerade einmal zweieinhalb Monate jung. „Als Berliner Jungs aus dem Westen sind wir seit jeher die größten Döner-Fans. ‚Ø 27‘ ist unsere Hommage an das Kult-Gericht", so Babak Tajbakhsh. Man verstehe die Kreationen, die Küchenchef Philipp Kossack entwickelte und verfeinerte, weder als Luxus-Döner noch als fancy Schnickschnack. „Es geht um ein würdevolles Update des Klassikers." Das heißt: Zurück zu den Wurzeln, insbesondere beim Fleisch. „Wir haben Produzenten gefunden, die unseren Qualitätsansprüchen genügen", sagt Göksel Bas.
Sowohl Kalbs- als auch Hühner-Döner-Spieße werden aus Fleisch-Scheiben geschichtet. Kein Hack, keine obskuren Mischungen, kein Billigheim. „Alles wird täglich frisch geliefert. Unsere Lieferanten kommen morgens um sechs und machen die Spieße an den Grill." Dreht sich der Spieß abends seinem Ende entgegen, werden schon die Saucen für den kommenden Tag vorbereitet, damit sie über Nacht gut durchziehen können. Eine Kräuter-Sauce auf Quark-, eine Knoblauchsauce auf Joghurtbasis und eine scharfe Sauce mit Ajvar, Jalapeños und Gewürzgurke stehen zur Auswahl.
Selbst wenn die Döner-Kebab-Welt in der Bowl gerade neu und dinierbar erfunden wird, gibt’s auch die klassischen Pide-Dreiecke oder Dürüm-Rollen. Wir probieren uns durch die Schalen hindurch und streifen das Fladenbrot nur einmal in getoasteter Form – als „Bread Sticks" mit Knoblauch-Öl. Eine Segel-Parade aus krossen Pide-Streifen steckt in der Kräutersauce und lässt sich herrlich knoblauchlastig wegstippen. Die Sticks können ebenso wie Kartoffel-Rotkohl-„Käulchen" einfach zu einem Drink geknabbert werden, wenn’s etwas Kleineres zum Drink sein darf oder der Hunger nicht so groß ist. „Wir pürieren Kartoffeln zusammen mit Rotkohl. In kleinen Formen wird die Masse tiefgefroren und schließlich frittiert." Die herzhaften länglichen Klopse werden mit Knoblauchsauce, Jalapeño-Salsa und Rotkohl im Schälchen serviert.
Beim nächsten Mal Pide oder Dürüm
Der Rotkohl verdient ohnehin seinen eigenen Lobgesang: Er ist mit einer Marmelade aus roten Johannisbeeren eingelegt. Das Resultat: Ein süß-saurer Knaller in Violett. Mild und ein bisschen mürbe schmeckt er nicht nur überragend, sondern ist auch gut bekömmlich. Ebenso wie die in Apfelessig eingekochten roten Zwiebeln, die sich zum sanften Gaumenschmeichler entwickeln, ohne Zwiebel-Atem als Souvenir zu hinterlassen.
Ein weiteres Produkt aus der Qualitäts-Oberliga à la Basmati ist der türkische Pirinç-Reis. Er bildet die solide Kohlehydrat-Grundlage der Bowls. „Wir nehmen nur diesen", sagt Göksel Bas und bringt eine Tüte Osmancik-Reis an unseren Tisch. Die Rundkornreis-Sorte mit „Geburtsdatum" 1997 erfreut sich seither größter Beliebtheit. Ein bisschen feucht, aber körnig, bietet er Saucen, Fleisch und Gemüse einen guten Halt auf der Gabel. Der ist nötig, denn eine Schwäche haben die Bowls: Es klebt und klitscht, im Gegensatz zum Döner im Brot, nichts zusammen. Alles zusammen wiederum passt auch nicht auf eine Gabel. Ein Problem. Also noch ein Löffelchen Sauce aus dem Extra-Schälchen drauf. Beim nächsten Besuch müssen wir deshalb, wie vor allem die Gäste am späteren Abend, unbedingt ein Kebab im Pide oder eine Dürüm-Rolle essen.
Wir haben dieses Mal die dramaturgische Abfolge à la Restaurant gewählt. Zu Beginn kosten wir uns durch eine „The Classic Beef"- und eine „Crispy Polenta"-Bowl hindurch. Mit gehobeltem Kalb, Reis, Salaten, Rotkohl und Salsa ist die „Classic Beef" der Archetyp. Die Hühnerfleisch-Variante ist ein „Son of a chick". Beide sind für neun Euro ein ordentliches Mahl in der Schüssel. „Crispy Polenta" und „Holi Cauli" sind die beiden Veggie-Schwestern. Die „Polenta Cubes" sind ordentlich gewürzt und erinnern nur noch entfernt an italienisches Beilagen-Püree. „Wir bereiten den Maisgries selbst zu. Er wird gefroren in Cubes geschnitten", erklärt Göksel Bas. So werden die „Klötzchen" beim Frittieren außen schön braun und kross, bleiben innen weich und fallen nicht auseinander.
Mir würden die „Polenta Cubes" mit Feta-Creme und eingelegtem Gemüse der „Sides"-Abteilung aber schon als Snack völlig reichen. Sie sind aromatisch, bissig und können gut für sich selbst stehen. Zweite Veggie-Alternative ist der „Holi Cauli". Ein halber gedünsteter Blumenkohl wird mit gerösteten Bröseln, Feta-Creme und Rote-Bete-Tatar, Fenchel, Salat, Reis und Sauce serviert. Auch schön, insbesondere in der Kombi von zartem Kohl mit geschmackbringendem Beten-Tatar und Feta. Aber in einem Döner-Lokal möchte ich persönlich, wenn schon, denn schon, doch lieber Fleisch essen. Auch die ordnungsgemäß gebrandeten „ø 27 Fries" machen mit veganer Mayo oder Ketchup Spaß und den Geldbeutel nicht übermäßig leer. Die „Sides" kosten zwischen zwei und vier Euro und lassen sich als Ergänzung oder pure, unkomplizierte Kleinigkeit etwa zu einem Drink von der Bar essen.
Das süße Beste kommt zum Schluss
Weil es sich im straighten schwarz-weißen Ambiente mit Neon-Akzenten, das die Berliner Architektin Laura Rave gestaltete, auch länger angenehm sitzt, kommen Brad und Angelina zu uns an den Tisch. Na gut, es ist lediglich eine Flasche „Miraval"-Rosé vom französischen Weingut des Schauspieler-Ex-Paares. Aber den nehmen wir gern als würdige Vertretung. „Ich würde ihn nicht einfach so trinken, aber er passt hervorragend als Essensbegleitung", sagt die Freundin. Gut, dass Brad und Angelina nicht in echt vor Ort sind, denn sonst wäre der Menschenauflauf bei derzeit 20 Plätzen im Innenraum wohl rasch zu groß. Es gibt deutlich mehr Plätze auf der Terrasse auf dem Bürgersteig, und viele Gäste holen sich ihr Essen zum Mitnehmen. An den Freitag- und Samstagabenden, an denen DJs auflegen, stünden die Gäste bislang gern mit Drink und Zigarette draußen, beobachte Göksel Bas. Bald wird ein Lieferservice mit am Start sein – eine nicht unwesentliche Geschäftsfeld-Erweiterung für einen kühlen Corona-Herbst und -Winter.
Wie es sich gehört, kommt das süße Beste zum Schluss. Wir konditern berlinerisch mit Käsekuchen, aber in aufgemixter Form: „Omas gebackener Käsekuchen" wird cremig ins Glas gefüllt, von roten Johannisbeeren getoppt sowie mit Butterkeks-Crunch und Meersalz bebröselt. Ist schon klar, weshalb das „Finger Lickin‘ Good" heißt! Als Buddy im Tumbler wählen wir eine „Ayran Colada".
Donnerstags bis samstags ist abends die Bar geöffnet. Keeper Omar mixt, was Flaschen und Kräutertöpfe hergeben. Zum Beispiel einen „Gin Basil", der der Favorit vieler Gäste ist. Wir wollen aber die Spielart „Türkei meets Puerto Rico" – die Kombi vom türkischen Joghurt-Nationalgetränk mit Kokos und Tropenfrüchten. Die „Turko Colada" auf Wodka-Basis ist ein Treffer: Kokossirup, Lychee-Saft, Limettensaft, Passionsfrucht und Minze bringen tropische Noten mit, der Ayran frisch-cremige Leichtigkeit, obenauf gestreuseltes Chilipulver animiert die Geschmacksknospen zum Tanzen. So können wir beschwingt nach Hause gehen – mit den Plänen fürs nächste Döner-Kebab-Dinner schon im Kopf.