Auch im längsten Transfer-Fenster kauften viele Vereine erst auf den allerletzten Drücker neue Spieler. Bei manchen wirkt es wie Panik-Aktionen. Manche Last-Minute-Transfers sind aber durchaus vielversprechend.
Es ist wohl so ein bisschen wie beim Weihnachtsgeschenke-Kaufen. Egal, wie viel Zeit sie haben, egal, wie das Wetter ist, egal, wie viel sie sonst online bestellen, manche besorgen ihre Geschenke immer auf den letzten Drücker. Das Transferfenster im Fußball, also jener Zeitraum, in dem Spieler mit gültigem Vertrag zu einem anderen Verein wechseln dürfen, war diesmal wegen der besonderen Corona-Situation so lange offen wie noch nie, seit es grundsätzlich eingeschränkt ist. Ganze 82 Tage. Im Vorjahr waren es nur 63. Dennoch brach am „Deadline Day", dem letzten Tag vor Schließung des Fensters, pure Hektik aus. Und, unglaublich aber wahr, der ein oder andere Wechsel scheiterte am Ende an zu wenig Zeit.
Wie der von Milot Rashica, der wohl kuriosesten Personalie dieses Sommers. Und das, obwohl der Stürmer gar nicht gewechselt ist und weiterhin für Werder Bremen spielt. Das wollte der Kosovare aber nicht mehr tun. Er fühlt sich zu Höherem berufen, und in der vergangenen Hinrunde hatte er auch eindrucksvoll angedeutet, dass er dazu taugen kann, ehe er in ein böses Leistungsloch fiel. RB Leipzig war zunächst Rashicas Wunschziel, doch die Bremer verlangten rund 25 Millionen Euro für ihn. Eine Summe, die wohl noch auf den Leistungen der Hinrunde basierte. Leipzig winkte ab, also wollte Rashica nach England. Auch dort fanden er und die interessierten Vereine zunächst nicht zusammen. Und als Werder direkt vor Schließung des Transferfensters signalisierte, Rashica möglicherweise sogar verleihen zu wollen, stieg Bayer Leverkusen in den Poker ein. Am „Deadline Day" saß der Stürmer also in Köln in einem Hotel, während die Vereine darüber diskutierten, welche Kaufoption der Vertrag enthalten sollte. Schließlich war es 18 Uhr, die Frist war abgelaufen. Und Leverkusens Sportchef Rudi Völler stellte fest: „Am Ende hat dann die Zeit nicht mehr für eine Einigung gereicht." Verlierer waren alle. Leverkusen bekam den Stürmer nicht. Bremen entging das Geld, und Trainer Florian Kohfeldt sprach von einer „hochdramatischen finanziellen Lage". Und Rashica schließlich war offenbar so frustriert, dass sein Verein ihm einige Tage freigab, um „auf andere Gedanken zu kommen".
Stress am letzten Tag der Transferperiode
Die Liste der kurios geplatzten Transfers ist also um eine Anekdote reicher. Freilich immer noch angeführt von der um Eric Maxim Choupo-Moting, dessen Wechsel 2011 vom Hamburger SV zum 1. FC Köln platzte, weil die ausgefüllten Anträge wegen eines defekten Fax-Geräts einige Minuten zu spät eintrafen. Choupo-Moting hat den Kölnern, wenn man es ganz zugespitzt sieht, in diesem Sommer übrigens noch einen Wechsel verdorben. Der FC fragte nämlich beim FC Bayern an, um Joshua Zirkzee auszuleihen. Die Münchner erklärten jedoch, sie bräuchten den Niederländer, der im Vorjahr für Furore sorgte, als er bei seinen ersten beiden Bundesliga-Spielen jeweils mit dem ersten Ballkontakt traf, als Back-up für Torjäger Robert Lewandowski. Gegen Ende der Transferphase kamen die Münchner zur Auffassung, dass der 19-Jährige dafür offenbar noch zu grün ist und holten – genau – den 31 Jahre alten Choupo-Moting, der nach Auslauf seines Vertrages beim Champions-League-Finalisten Paris Saint-Germain vereinslos war. Als Zirkzee hätte gehen können, hatten die Kölner sich aber schon verstärkt und ihr Geld ausgegeben.
Doch damit kommen wir zu den Transfers, die auf den letzten Drücker geklappt haben. Und damit ist man direkt beim FC Bayern. Der Branchen-Primus hatte nach dem Triple im Vorjahr keine Not, sich teuer und schlagkräftig zu verstärken. Der eine spektakuläre Transfer von Leroy Sané für 50 Millionen Euro stand zudem schon fest. Also suchten die Münchner in der Breite, und da wollte es irgendwie nicht so recht klappen. Bei Chelsea Callum Hudson-Odoi kamen sie zum wiederholten Male nicht zum Abschluss, der umworbene Sergino Dest von Ajax Amsterdam entschied sich für den FC Barcelona. Am Ende holten die Bayern in den letzten 24 Transfer-Stunden gleich vier neue Spieler: Choupo-Moting, den spanischen U21-Europameister Marc Roca (23), den Franzosen Bouna Sarr (28) und Douglas Costa (30). Die Rückkehr des Brasilianers, den die Münchner nach drei Jahren bei Juventus Turin zurückliehen, ist besonders kurios. Von 2015 bis 2017 war Costa in 77 Pflichtspielen für die Bayern immerhin an 41 Toren beteiligt. Doch als er ging, hatte Ehrenpräsident Uli Hoeneß gesagt: „Costa hat nicht funktioniert, weil er ein ziemlicher Söldner war, der uns charakterlich nicht gefallen hat." Er habe „nach kürzester Zeit, obwohl die Leistungen gar nicht so gut waren, mehr Geld haben wollen", woraufhin der frühere Bayern-Kapitän Stefan Effenberg in seiner „T-online"-Kolumne polterte: „Hoeneß verliert damit an Glaubwürdigkeit und Gewicht – und der Fußball insgesamt gleich mit. Das ist wirklich eine fatale Entwicklung." Seine Frage war nachvollziehbar: „Ist er nun plötzlich kein charakterlich schwieriger Söldner mehr? Oder ist das Bayern egal?"
Bayern bekam nicht jeden seiner Wunschspieler
Auch der Rest des Münchner Sommerschlussverkaufs wirkte eher wie hektischer Aktionismus, wie Notlösungen, um überhaupt auf eine ordentliche Kaderstärke zu kommen. „Das waren nicht alles nachhaltige 1a-Lösungen", sagte auch der langjährige Bundesliga-Trainer und Manager Ralf Rangnick vorsichtig. Vor allem Sarr, 28 und noch ohne Länderspiel, wirkt im Endeffekt kaum als Update zu Alvaro Odriozola, den die Münchner im vergangenen Winter als Rechtsverteidiger-Backup holten und der ganze dreimal in der Bundesliga zum Einsatz kam. Da wirkt Ryan Sessegnon schon verheißungsvoller. Den 20 Jahre alten Linksverteidiger lieh die TSG Hoffenheim von Tottenham Hotspur aus. Die gaben im Vorjahr 27 Millionen Euro für ihn aus und glauben grundsätzlich auch an seinen großen Durchbruch. Nach nur zwölf Pflichtspiel-Einsätzen im Vorjahr wollten sie ihm aber Spielpraxis verschaffen.
Auch die Hertha holte am letzten Transfertag zwei Spieler, die für ihre Bedürfnisse echte Verstärkungen werden könnten: den paraguayanischen Nationalspieler Omar Alderete (23) vom FC Basel und den französischen U21-Auswahlakteur Mattéo Guendouzi (21) vom FC Arsenal. Vor allem Guendouzi gilt als Riesentalent. Er gilt allerdings auch als extrem schwierig, weswegen ihn die Berliner überhaupt leihen konnten. Mit 19 war er zum FC Arsenal gewechselt und hatte sich sofort einen Stammplatz erobert. Wegen so mancher disziplinarischer Verfehlung wurde er aber mehrfach aus dem Kader verbannt. „Ich bin ein Spieler, der immer gewinnen will. Dafür gebe ich alles", sagt er selbst über sich. In Berlin soll der zentrale Mittelfeldspieler mit der markanten Lockenpracht genau das tun, wenn auch in geordneten Bahnen. Aber grundsätzlich suchte die Hertha ja sowieso einen Spieler, der mal dazwischenhaut. Oder wie Sportdirektor Arne Friedrich es in Fußballer-Deutsch formuliert: „Uns fehlt eine Drecksau."
Fertige Spieler sind dann nicht mehr auf dem Markt
Einen Spieler mit großem Namen holte schließlich am letzten Tag noch RB Leipzig in die Liga. Allerdings verdankt Justin Kluivert den Klang dieses Namens seinem Vater. Patrick Kluivert galt in seiner Zeit bei Ajax Amsterdam oder dem FC Barcelona als einer der besten Stürmer der Welt, heute leitet er in Barcelona das Nachwuchsleistungszentrum. Sein Sohn Justin, heute 21, gilt seit Jahren als großes Talent. Den ganz großen Durchbruch schaffte er aber weder bei Ajax noch bei der AS Rom, die vor zwei Jahren immerhin 17 Millionen für ihn ausgab. Nun verliehen die Römer ihn nach Leipzig, das sich auch eine Kaufoption sicherte.
Trainer Julian Nagelsmann sieht bei ihm Parallelen zu dem heutigen Bayern- und Nationalmannschafts-Star Serge Gnabry, den er einst in Hoffenheim trainierte. „Von der Grundart, Fußball zu spielen, gibt es durchaus Parallelen zwischen den beiden", sagte Nagelsmann: „Serge ist ein außergewöhnlicher Spieler, und ich würde mich natürlich freuen, wenn Justin das Niveau irgendwann erreichen könnte." Weil er zuletzt kaum gespielt habe, müsse er aber „erst wieder seinen Rhythmus finden". Doch fertige Spieler, die bei ihren Vereinen unantastbar sind, kriegt man am Deadline Day in der Regel nicht.