Wohin rollt der Fußball?
Man muss kein Prophet sein. Die gerade begonnene Sportsaison wird eine der schwierigsten sein. Viele Sportarten sind betroffen, insbesondere solche, die von Zwängen des Systems diktiert werden. So wird Handball in einer Endlosschleife gespielt. Bereits seit Jahren beklagen die Spieler den engen Terminkalender. Bedingt durch Corona wurde die Handball-Bundesliga auf 20 Vereine aufgestockt.
Im Profifußball jagt ein Spiel das andere, fast durchweg drohen englische Wochen. Neben dem täglichen Brot Bundesliga müssen Champions League und weitere Clubwettbewerbe sowie Länderspiele der Nationalmannschaften, speziell Nations League und Qualifikationsspiele für die Weltmeisterschaft 2022, absolviert werden. Enden wird die Saison mit der Europameisterschaft. Für Nationalspieler sind etwa 70 Pflichtspiele möglich. Von einer Winterpause wie in vergangenen Jahren kann keine Rede sein. Die Saison geht bereits am 2. Januar weiter.
Also Fußball ohne Pause. Bereits vor der Jahrtausendwende habe ich wiederholt vor den steigenden Belastungen und deren möglichen Konsequenzen gewarnt. Was die Spieler heute erwartet, ist aber nicht vergleichbar mit damals. In früheren Jahren gab es zumindest noch eine Winterpause, um sich ausreichend zu regenerieren und die konditionellen Grundlagen aufzufrischen.
Die Gesundheit sollte über allem stehen. Wohl nicht mehr als ein frommer Wunsch. Was sind mögliche Folgen? Häufige Muskelverletzungen als typische Überlastungsverletzungen sind zu befürchten. Bänderverletzungen drohen müden und mental ausgelaugten Spielern. Bei ungenügender Regeneration wird das Immunsystem überfordert, sodass Infekte drohen. Ob dauerbelastete Spieler für das Coronavirus anfälliger sind, kann derzeit nicht beantwortet werden.
Wer ist schuld an dem brutalen Terminkalender? Die Frage klingt naiv. Der Fußball steckt in der Kommerzfalle. Je mehr Spiele, desto mehr Fernsehgelder und Erlöse aus dem Sponsoring. Die Zuschauer sind längst nicht mehr die entscheidende Geldquelle. Die Nationalverbände sowie der Europäische Fußballverband Uefa und der Weltfußballverband Fifa rekrutieren ihre Finanzen vorwiegend aus Länderspielen und internationalen Turnieren. Dazu passt: Keiner der Verbände war bereit, auch nur auf einen Wettbewerb zu verzichten.
Corona hat in der vergangenen Saison ein erhebliches finanzielles Loch hinterlassen. Nichts wird mehr so sein wie früher. Dennoch wird versucht, verlorenes Terrain zurückzugewinnen, um die Wirtschaftlichkeit der Vereine und Verbände zu erhalten. Das bedeutet aber auch, dass gesundheitliche Probleme programmiert sind.
Bei dem auf Kante genähten Terminkalender kann auch die Chancengleichheit auf der Strecke bleiben, sollten Corona-Fälle in einer Mannschaft auftreten und zu Trainings- und Spielausfällen führen. Dynamo Dresden musste am Ende der vergangenen Saison in der 2. Bundesliga neun Spiele in 28 Tagen nachholen.
Es gibt mahnende Stimmen. Trainer Pep Guardiola von Manchester City etwa: „Wir killen die Spieler. Wir verlangen zu viel von ihnen." Oder Jürgen Klopp vom FC Liverpool: „Wir müssen irgendwie das Rad zurückdrehen." Wann und wie soll das geschehen? Fakten sind bisher Fehlanzeige. Auch das Rotationsprinzip stößt an Grenzen. Nicht alle Positionen können ohne Qualitätsverlust doppelt besetzt werden.
Denkverbote sollte es nicht geben. Ein Salary Cap, also eine Gehaltsobergrenze, wird diskutiert. Im US-Sport ist das üblich, wenn auch nicht eins zu eins übertragbar, aber als Grundgedanke brauchbar. Die Champions League könnte eingedampft werden, beispielsweise könnte ab Viertelfinale der Sieger in Turnierform ausgespielt werden. Dieses Format hat sich in der vergangenen Saison bewährt. Im nicht von allen geliebten Nations Cup könnte auf Rückspiele verzichtet werden. Aber diese und andere Vorschläge haben einen Nachteil – der Finanztopf würde schrumpfen.
Ich möchte nicht apokalyptisch argumentieren, auch wenn ich behaupte, der Spitzenfußball hat sein Limit bereits überschritten. So lange sich der Fußball nicht aus der Kommerzfalle befreien kann, sind alle Vorschläge nichts anderes als die Quadratur des Kreises.