Vor fünf Jahren haben sich die drei Gemeinden Horsens, Odder und Hedensted – mit der beliebten Hafenstadt Juelsminde – zur Touristenregion Kystlandet zusammengeschlossen. Auch später im Jahr können Besucher hier reizvolle Landschaften und hübsche Städtchen entdecken.
Die wenigsten von uns mögen schon einmal etwas von der rund 20 Kilometer langen Förde an der Ostküste Jütlands gehört haben. Es sei denn, man ist Segler. Rund ein Viertel aller Boote, die ein Stück weiter südlich vom Horsen Fjord in Juelsminde anlegen, kommen aus Deutschland. Pernille Juul ist ganz froh darüber, dass es jetzt im Herbst ruhiger wird. Die gestandene Endvierzigerin baut ihre Fischräucherei mit Imbiss am Hafen um. Meeres-Leckereien gibt es momentan vom Verkaufswagen. Pernilles „Café & Isbar" mit Softeis aus eigener Herstellung liegt direkt an der hübschen Marina mit kleinem Museum und weiteren Lokalen. Umgeben ist Juelsminde von mehreren Stränden, wobei der kinderfreundliche Storstranden direkt am Hafen beginnt. Jütländer, kleine wie große, gehen auch im Herbst gern mal kurz untertauchen im klaren Ostseewasser.
Einen der schönsten Strände der Touristenregion Kystlandet erreicht man in etwa einer Autostunde, wenn man um den Horsens Fjord herum an die Küste der Gemeinde Odder fährt. Der schmale Streifen in Saksild Strand glänzt mit glitzerndem, weißem Pudersand. Entlang der halbmondförmigen Bucht lässt es sich behaglich spazieren gehen. Hinter kleinen Dünen und Strandwald liegen Ferienhäuser, von denen viele auch im Winter zu mieten sind.
Wem es zu windig wird – obwohl die Ostsee immer milder ist als die Nordsee – begibt sich landeinwärts. Bei Odder, das bereits 1363 in den Urkunden als Stadt erwähnt wird, liegt, inmitten abgeernteter Felder, „Fru Möllers Mölleri". „Frau Müllers Mühle" ist die 200 Hektar Farm von Bodil Möller. „Die Erde hier ist besonders gut für Getreide", schwärmt sie. Die temperamentvolle Frau mit den hellen Augen zeigt mir die unterschiedlichen Mehlsorten an ihrer Doppel-Steinmühle. Vor allem alte Sorten wie Durum oder Ölandshvede, eine alte Weizenart, baut sie an und mahlt circa 1,5 Tonnen jede Woche frisch. „Dann ist der Geschmack am besten", lacht sie. Verkauft wird im Hofladen. Um 1.30 Uhr ist Bodil bereits aufgestanden, um in der „Bageri" einzuspringen und die häusliche Spezialität zu backen: hauchdünne Kuchenschnittchen mit Solbaer(=Johannisbeer)-Marmelade und dickem Zuckerguss drüber. Bodils Familie wohnt in einem ehemaligen Verwalterhaus von 1876, einst Teil eines großen Landgutes. Rundherum lagern sich die historischen Wirtschaftsgebäude. Sie werden als Restaurant, Eisdiele, Hofladen und bestens frequentierter Fleischerei genutzt. Denn Bodil besitzt auch noch 500 Schweine, 100 Kühe und zehn Schafe, die sie hier vermarktet.
Per Rad durch Moore und Wiesen
Etwa eine dreiviertel Autostunde westlich der Farm liegt das seit 2007 in Horsens eingemeindete Braedstrup. Hier fließt der mit 160 Kilometer längste Fluss Dänemarks vorbei. Die Gudenaa entspringt etwas südlich, in der Nähe von Törring. Dort kann man im Sommer wunderbar Kanufahren auf dem noch jungen Fluss und im Herbst durch das geschützte Moor- und Wiesengebiet Uldum Kaer Radfahren oder wandern. Die Gudenaa weitet sich in der Region zu kleineren, auch künstlichen Seen auf, wie der Vestbirksö, der beim Bau des 1924 eröffneten gleichnamigen Kraftwerks entstand. Rund 500 Meter entfernt führt „Den Genfundne Bro" über den Altarm des Flusses. Jesper Sandgaard bringt gern seine Gästegruppen zu dieser „Wiedergefundenen Brücke". Bei seinen Erklärungen umschifft der pensionierte Reetdach-Decker mit Charme und einem Augenzwinkern die Tücken der deutschen Sprache. So erfährt man, dass die 13,40 Meter hohe Stahlgitterbrücke, „wie der Eiffelturm konstruiert", 1899 für eine der ersten Privatbahnen Jütlands gebaut wurde. Sie führte einst von Horsens nach Bryrup. Bereits 1929 wird die rote Brücke verbuddelt und dann vergessen. Sie steckt in einem Damm, über den die Bahnlinie bis nach Silkeborg verlängert und die 1968 aufgegeben wird. Bei der Renaturierung der Gudenaa vor rund 20 Jahren wird das heutige technische Denkmal wiederentdeckt und 2014 wiedereröffnet. Über die alte Bahntrasse führt nun der Naturwanderweg Horsens-Silkeborg. Von Braedstrup braucht man etwa anderthalb Tage zu Fuß, mit dem Auto rund 30 Minuten nach Horsens. Der Name bedeutet in etwa „Landzunge mit Pferden". Die Stadt entstand zu Wikingerzeiten an einer Furt des Flusses Bygholm Aa, der hier in den Fjord fließt. Der dänische König Erik VI. lässt sich 1313 dort die Burg Bygholm errichten, die später zu einem Barockschloss ausgebaut wird und heute ein Hotel ist.
Berühmtester Sohn von Horsens ist der 1681 geborene Vitus Bering. Ja, genau der von der Beringstraße zwischen Sibirien und Alaska und der Beringinsel, die nach ihm benannt wurden. Der große Entdecker im Dienste des Zaren wird von seinen Landsleuten gern als „Dänischer Columbus" bezeichnet.
Die Hochzeit der Hafen- und Handelsstadt ist die Ära des Barocks. Davon künden die Jahreszahlen über vielen Toren der restaurierten Fachwerkgebäude auf der Söndergade, der Fußgänger-Hauptstraße. Als besonderes Prunkstück der Epoche sticht „Jörgensens Hotel" hervor. Der beigerosa Ziegelbau hat im Mai nach zweieinhalbjähriger, denkmalgerechter Restaurierung für über 60 Millionen Dänische Kronen und Corona-Verzögerung wieder aufgemacht. Das ehemalige „Palais Lichtenberg" trägt im halbrunden Eingangsportal die Jahreszahl 1744 und eine deutsche Inschrift: „Was Gott Beschert Uns Niemand Wehrt". Der alte Name des Gebäudes stammt von dem 1697 in eine reiche Kaufmannsfamilie hineingeborenen Gerhard Hansen, der aus Prestigegründen den Familiennamen seiner deutschen Mutter annahm und sich fortan Gehrt de Lichtenberg nannte. Er ließ den Vorgängerbau des Papas in ein elegantes Palais verwandeln. Das hat Historiker und Hotelchef Jakob Teislev recherchiert. In den Hotelräumen 102 bis 104 schlummert man in Lichtenbergs vormaliger Banketthalle. Die Royal Suite daneben war der Waffensaal des reichen Geschäftsmannes. Überraschenderweise haben sich die original Stuckornamente der Decken über sämtliche "Zeitläuffte" erhalten und wurden originalgetreu restauriert, ebenso die Deckengemälde in der heutigen Bar und Bibliothek. 1843 erhielt das Hotel durch die damalige Besitzerfamilie Jörgensens seinen Namen. Rund um das ehemalige Palais liegt die Kneipenszene. Die baumbestandene Grönnegade (Grüne Straße) ist die beliebteste Adresse für „Foodies".
Ein Gefängnis als Museum
Etwa eine halbe Stunde zu Fuß entfernt liegt das bekannteste Museum der Region. Das Faengslet mit seinen drei Zellentrakten wurde 1853 als erstes Gefängnis damals moderner Bauart eröffnet und 2006 geschlossen. Das größte Museum seiner Art in Europa wurde 2012 mit einem Konzert der US-Band Metallica eröffnet. Dies hätte den Rockern gefallen, die in den 1990ern einsaßen. Nach den skandinavischen Rockerkriegen und -prozessen werden die Hells Angels in einer eigens für sie eingerichteten Etage – separat von den anderen Gefangenen – untergebracht. „Das Einzigartige am Faengslet ist die praktisch lückenlose Dokumentation des Gefängnislebens mit mehr als 20.000 Artefakten und über mehr als 150 Jahre", erzählt Direktorin Merete Böge Pedersen. Beim Rundgang zeigt sie mir nicht nur die hübsche Kirche, sondern die hölzerne „Kalte Jungfrau", an der die Insassen zum Auspeitschen gefesselt wurden. Hier fand auch Dänemarks letzte Hinrichtung mit dem Beil statt. Nach der spannenden Zeit hinter Gittern kann man nachmittags zur „Waterkant" hinunterschlendern, wo sich Industrie- und Yachthafen aneinanderreihen und eine Art Hamburger Hafencity im Kleinen entsteht. Die Strandpromenade führt weiter zu einer Brücke, die die Seen des Nörrestrand-Naturschutzgebietes vom Horsensfjord trennt. Dort beginnt das „Blankenese" der Stadt, Stensballe mit seinen modernen Villen und herrlichen Gärten. Hinter dichten Hecken steht schon mal ein Reh. Aus Plastik!? Aber nein – es dreht sich um und schaut den Fremden aus großen braunen Augen ruhig an.