Wer hat als Kind nicht einmal davon geträumt, als Ritter oder Burgfräulein auf einer echten Burg zu wohnen? Was es bedeutet, tatsächlich so ein historisches Gemäuer zu besitzen, zu bewirtschaften und für die Nachwelt zu erhalten, weiß Carl Philipp von Clam Martinic.
Seit rund 900 Jahren thront Burg Clam auf einem Granitsockel, der sich etwa eine Autostunde östlich von Linz nahe des Donauufers erhebt. Auf seiner Rückseite fällt der bewaldete Hügel senkrecht ab in eine tiefe Schlucht. Aus mittelalterlicher Sicht war der Standort strategisch klug gewählt. Die Festung erwies sich jahrhundertelang als unbezwingbar. Heute bereitet die steile Auffahrt allenfalls Radlern Verdruss, die die Steigung allein mit Muskelkraft meistern möchten. Mit einem E-Bike hingegen lässt sich der Abstecher vom Donauradweg selbst an einem heißen Sommertag mühelos bewältigen. Oben angelangt genügen ein Druck auf den Klingelknopf und ein kurzer Wortwechsel an der Gegensprechanlage – schon öffnet sich das Burgtor für angemeldete Besucher. Der Hof dahinter bietet ein Panorama, das seinesgleichen sucht. Weit reicht der Blick über Wiesen und Felder, über die ziegelroten Dächer bis zum Horizont, wo sich Hügelland und Himmel im diffusen Graublau vereinen. „Ich grüße Sie, herzlich willkommen auf Burg Clam!" Aus einem zweistöckigen Nebengebäude eilt ein Mittvierziger mit dunkelblondem Schopf, ausgeprägten Lachfalten und jugendlichem, fast spitzbübischen Gesicht herbei – Carl Philipp Graf Clam-Martinic, der Burgherr. Seit mehr als einem halben Jahrtausend ist die Festung nun schon im Besitz seiner Familie. Die Grafen Clam gehören zum alten österreichischen Hochadel. „Unsere Burg markiert den Grenzverlauf, bis hierher erstreckte sich um das Jahr 1000 Ur-Österreich", sagt der Mann, den die Menschen in der Umgebung auch heute noch entweder respektvoll „Herr Graf" oder einfach nur „Carl Philipp" nennen. Über 23 Generationen kann Clam-Martinic seinen Stammbaum zurückverfolgen. „Und 16 meiner Ahnherren haben auf dieser Burg gelebt". Wie vermutlich jeder seiner Vorfahren, so ist auch der heutige Herr Graf stolz auf die „Jungfräulichkeit" der pittoresken Burg. „Sie wurde immer wieder belagert, konnte aber nie eingenommen werden", erklärte der Jeans-Träger mit dem Button-Down-Kragen-Hemd. „Darum nennt man sie eine jungfräuliche Burg. Und das ist auch der Grund, warum sich eine Jungfrau im Familienwappen findet."
Alter Hochadel in Österreich
„Aber bitte, treten Sie ein." Clam-Martinic, der Burgbesucher persönlich empfängt und durch sein geschichtsträchtiges Zuhause führt, öffnet eine weitere Tür. Die führt auf den inneren Burghof – ein rechteckiges Areal, flankiert von dreistöckigen Renaissance-Arkaden. Hinter der Fassade verbergen sich über Säle, Kammern, die Burgapotheke und die gotische Familienkapelle, insgesamt mehr als 100 Räume. Clam-Martinic, seine Ehefrau Stephanie und die drei Kinder bewohnen nur 120 Quadratmeter der zum Schloss ausgebauten Burg. Die übrigen Räume dienen in erster Linie als Museum. Selbst der Hausherr entdeckt hier immer wieder Neues, wenn er in den jahrhundertealten Truhen stöbert – Briefe, Fotos, Urkunden. Die Dielen knarren bei jedem Schritt durch die verwinkelten Gänge. Dort stehen Ritterrüstungen und mit Waffen bestückte Vitrinen. Die Objekte hinter dem Glas stammen aus verschiedenen Epochen und unterschiedlichen Gegenden der Welt. So manches Stück haben meine Vorfahren von den Schlachtfeldern mitgebracht." Der Burgherr deutet auf Kettenhemden, Krummsäbel, auf Helme, die ein Halbmond ziert. Von unzähligen düsteren Gemälden blicken Ahnherren und Frauen auf die Heutigen herab. Einer, dem sich Clam-Martinic nahe fühlt, ist Johann Gottfried Perger zu Clam – stattliche Statur, schwarzes Haar, warmer, wacher Blick, so hat ihn ein Maler im 17. Jahrhundert auf die Leinwand gebannt. „Er ist mein Vorbild", sagt Clam Martinic. „Dieser Mann hat die Burg nach den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges aufwendig restaurieren lassen, und um das Wohl der Menschen, die am Fuße der Burg lebten, hat er sich ebenfalls verdient gemacht." Er habe die zerstörte Kirche wiederaufbauen lassen, den Bürgern Ackerland geschenkt und ein Spital gestiftet. „Wobei ihm das enorme Vermögen zugutekam, das seine Frau, eine Gräfin aus dem Elsass, mit in die Ehe gebracht hatte", sagt der heutige Graf und lächelt verschmitzt.
Objekte vom Säbel bis Kettenhemd
Auch Clam-Martinic sieht sich als Bewahrer und Erneuerer. Es gehe ihm nicht nur darum, Burg Clam für künftige Generationen seiner Familie, sondern als kulturelles Erbe für alle Österreicher zu bewahren. „Vom Staat bekomme ich dafür keinen Cent." Deshalb sei unternehmerische Kreativität gefordert. Den Familiensitz als Museum zu öffnen – vor diese Notwendigkeit sah sich bereits Carl Philipps Großvater in den 1960er-Jahren gestellt. Nur war das damals das einzige Zugeständnis an die neue Zeit. Ansonsten pflegte der alte Graf einen hochherrschaftlichen Lebensstil. Dazu gehörten auch zwei Dutzend Angestellte, die ihn allzeit umsorgten. Irgendwann war das Vermögen zusammengeschmolzen. Der heutige Burgherr und seine Frau, eine französische Fondmanagerin, führen ein beinah bürgerliches Leben. „Das alte Klingelsystem, mit dem man zu Zeiten meines Großvaters aus allen Winkeln der Burg einen Bediensteten herbeirufen konnte, gibt es immer noch," sagt Clam Martinic und lacht. „Nur mit dem Unterschied, dass, wenn ich heute klingele, keiner mehr kommt."
Bereits mit Mitte 20 hat der heute 45-Jährige die Verantwortung für den Familiensitz und die umliegenden Ländereien übernommen. Dass er sich der Aufgabe so früh würde stellen müssen, kam unerwartet. Wenige Jahre nach seinem hochbetagten Großvater war auch der Vater gestorben. Der Sohn aber war gut vorbereitet, das Erbe anzutreten. Er hatte seinen Traum vom Philosophiestudium beizeiten begraben, hatte auf väterliche Weisung Maschinenbau und Forstwirtschaft studiert und bei einer Uhrenfirma in Hongkong Know-how in Sachen Marketing erworben. Als neuer Herr auf Clam rollte er neue Geschäftsfelder aus, um den Erhalt des alten Gemäuers zu sichern. Zahlende Gäste können zu Preisen ab 300 Euro pro Nacht in Suiten und Kemenaten logieren. Auch als Eventlocation kann Burg Clam gemietet werden. Für Hochzeiten zum Beispiel, oder für Rock- und Popkonzerte. Sting und Elton John haben schon am Fuße der Burg vor Tausenden Fans gespielt, ebenso Santana, Joe Cocker, Alice Cooper, Herbert Grönemeyer und Pink. Im Corona-Jahr 2020 aber fallen Traumhochzeiten ebenso aus wie die legendären Konzerte der Superstars. „Derzeit bleibt nur die Forstwirtschaft als Einnahmequelle", sagt der Graf und deutet stirnrunzelnd auf die von Blattwerk ummantelte Fassade des Bergfrieds. Der Wald in dieser Gegend sei Segen und Gefahr zugleich. „Ein regelrechter Urwald mit Waldrebe-Lianen, die alles verschlingen. Wir müssen das Mauerwerk befreien. Sonst wird die Oberburg von der wuchernden Vegetation verschluckt." Und auch im Inneren der Burg führt der Hausherr schon seit Jahren einen nicht enden wollenden Kampf. „Gegen den Holzwurm, meinen ärgsten Feind."
In der Burg kann man auch übernachten
Kaufangebote von ausländischen Multimillionären hat der Österreicher schon öfter bekommen. Über keines habe er auch nur eine Minute nachgedacht, beteuert Clam-Martinic. „Meine Vorfahren waren bereit, für die Verteidigung der Burg ihr Leben zu riskieren", sagt er und lässt den Blick von den Kieseln im Hof bis zur Spitze des mächtigen Rundturms schweifen. „So ein Erbe gibt man nicht aus den Händen. Für kein Geld der Welt."