Fransen sind diesen Winter einer der Haupttrends der Frauenmode. Dabei haben sie sich von ihren Vorbildern aus den glamourösen 20er-Jahren und der späteren Hippie-Ära weitestgehend emanzipiert.
eit knapp fünf Jahren köcheln sie nun schon auf kleiner bis mittlerer Flamme. Zum modischen Durchbruch hat es für die Fransen in dieser Zeit aber nicht gereicht. Das soll sich nun in der aktuellen Saison grundlegend ändern, schließlich sind die Fringes einer der Haupttrends des Winters 2020/2021, in Mailand waren sie sogar klar die Nummer eins. „Howgh" oder „Hugh!" – wie die Indianersprache bei Karl May verballhornt wurde – Fashion-Häuptling Miuccia Prada hat gesprochen. Dabei sind Fransen schon ein etwas heikles Thema, schließlich werden sie gemeinhin der Schublade Kostüm-Party zugeordnet und je nach Bezug mit Glamour- oder folkloristischer Boheme in Verbindung gebracht. Wie immer bei Trends, die fast durchweg auch als Rückbesinnung auf frühere Fashion-Jahrzehnte verstanden werden können, wird das Fringes-Revival derzeit einhellig in den Medien gefeiert.
Und wie immer wird von einem kompletten Neuansatz gesprochen, die „Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) schrieb in ihrer Stilkolumne gar von einem „Image-Wechsel der Fransen". Darüber kann frau sicher geteilter Meinung sein. Aber immerhin gebührt der „NZZ" das Verdienst, als einziges Journal bemerkt zu haben, dass der Fransen-Trend diesmal nicht wie üblich im Sommer an in lauen Lüften schwingenden Klamotten aufgetaucht ist, sondern erstmals in der kalten Jahreszeit. Da war es natürlich naheliegend, dass nicht mehr nur klassischerweise Jacken mit Fransen aufgepeppt wurden, sondern auch typische Winter-Outdoor-Klamotten wie Mäntel oder Ponchos. Überhaupt gibt es in dieser Saison kaum ein Bekleidungs- oder Accessoire-Bestandteil, an dem die Fringes nicht Platz gefunden hätten: Kleider, Röcke, Hosen, Blusen, Schals, Taschen oder Schuhe, überall sind die Baumel-Applikationen anzutreffen. Und ähnlich wie beim Pailletten- oder Federschmuck gibt es auch Teile, die all over mit Fransen verziert sind. Die traditionelle Definition der Fringes, wie sie auch schon aus der englischen Zweitbedeutung des Wortes als „Rand" abgeleitet werden können, kann frau also getrost vergessen, weil die Fransen eben längst nicht mehr nur am Saumende mitschwingen, was früher gerne zur optischen Verlängerung eines kürzeren Kleides oder Rockes benutzt wurde.
„Ein Image-Wechsel der Fransen"
Es ist übrigens gar nicht so einfach, dem Wesen der Fransen auf die Spur zu kommen. Darüber haben sich die Frauenmagazine und Fashion-Blogs natürlich keinerlei Gedanken gemacht, wohl aber renommierte Zeitungen von „FAZ" über die „Zeit" bis hin zur „NZZ". Für „Zeit"-Stilkolumnist Tillman Prüfer haben Fransen „etwas mit Energie zu tun. Und vielleicht tauchen sie auch deswegen immer dann in der Mode auf, wenn es besonders schwungvoll zugehen soll". Außerdem seien Fransen so etwas wie „einer der ältesten Tricks aus der Klamottenkiste. Denn die Silhouette des Trägers wird durch Fransen an der Kleidung vergrößert, ohne dass die Kleidung dadurch wesentlich schwerer würde".
In der „FAZ" wird auf das Verbindende zwischen Federn und Fransen hingewiesen, da sich beide durch das „Tänzerische, Gestenreiche" auszeichnen würden, weshalb sie beide auch vor mehr als einem Jahrhundert zunächst nur im Varieté heimisch gewesen waren und keinen Eingang in die konservative bürgerliche Mode gefunden hatten. Zudem seien Fransen alles andere als unauffällig. „Wer Fringe trägt, sollte also gute Nerven haben und sich nicht davor fürchten, das Gebot der Bescheidenheit zu irritieren. Die Fransen lassen sich nicht zur Ordnung rufen, und einer systematischen Trendanalyse beugen sie sich längst nicht mehr. Sogar wenn es möglich wäre, in der Zeit zurückzugehen, und man einen mythischen Moment im Leben der Fransen bezeugen könnte. Das Geheimnis ihrer Offenheit würde man trotzdem nicht ergründen."
Die „NZZ" weist auf eines der früheren Attribute der Fransen hin. Bevor sie nämlich in den 70er-Jahren mit der Hippie-Ästhetik eine perfekte Liaison eingegangen waren, standen sie in den glamourösen Goldenen Zwanzigern vor allem für eine „gewisse Frivolität". Wovon sich die aktuellen Kreationen teilweise ein ganzes Stück distanziert hätten, vor allem „wenn sie an explizit körperfernen und sehr unverspielten, seriösen Stücken vorkommen, also etwa an breiten Mänteln und weiten Kleidern, und in diesem Zusammenhang dann als unvermittelte Elemente, wie eben eine bewusst neue, spontan gekommene Idee – Schmuck und Dekoration zu sein, das ist der Kern von Fransen. Allein durch ihre Beschaffenheit und allumfassende Historie haben Fransen Symbolkraft – und diese wird immer wieder neu respektvoll erschaffen, wenn sie überraschend eingesetzt wird."
Stichwort Historie oder Fransen in der Mode-Geschichte: Erstmals sollen die Fringes in Mesopotamien vor rund 3.000 Jahren als schmückendes Detail vor allem bei Kleidern und Schals benutzt worden sein. In Europa tauchten sie im 14. Jahrhundert zuerst auf, nicht nur an Klamotten, sondern auch in Gestalt von Fransenborten bei der weiblichen Frisur. Ganz wesentlich für die spätere Verbreitung der Fringes in der westlichen Welt war jedoch ihre herausragende Bedeutung in der Alltagskleidung der indigenen Völker Nordamerikas. Wobei die Fransen aus Leder oder Wildleder bei den Indianern nicht nur dekorative oder praktische Zwecke wie zum Schutz vor Regenwasser erfüllten, sondern auch mit Rituellem aufgeladen waren.
Schmuck und Deko sind Hauptaufgabe
Die erste Hochzeit in der Mode erlebten die Fransen dann in den 20er-Jahren als fester Bestandteil des Flapper-Girl-Outfits, genauer gesagt des Charlestonkleides, dessen neuartige Kurzform durch lange Saumfransen bestens kaschiert wurde. Es gab damals allerdings auch schon Roben, die mit mehreren Lagen von teils perlenbestickten Fransen verziert waren, die vor allem beim beliebten Shimmy-Tanz fließend im Rhythmus der Musik mitschwangen. Sogar frühe Edelhäuser der Haute Couture schenkten den Fransen in den Goldenen Zwanzigern ihre Aufmerksamkeit. Bei Worth wurde ein silberfarbenes Flitterkleid entworfen, Madeline Vionette präsentierte ein geblümtes Dress mit langen Fringes. Auch einige Promi-Ladys jener Zeit wie die Schauspielerinnen Joan Crawford, Olive Bordon oder Claudette Colbert integrierten Fransenkleider in ihre Garderobe. Bis in die 50er-Jahre verschwanden die Fransen dann in der Versenkung, um dann zunächst Teile der Männermode zu erobern. Plötzlich wurden Motorradfahrer mit fransengeschmückten Biker-Jacken gesichtet, bei den 1948 gegründeten Hells Angels wurden sie ebenso zum Markenzeichen wie beim jungen Rockstar Elvis Presley. In der Damenwelt jener Tage stand Rita Hayworth als treuer Fransen-Fan ziemlich verloren da.
Dann kamen die 60er- und 70er-Jahre, als die Hippie-Bewegung ganz explizit Bezug auf die Klamottenkultur der amerikanischen Ureinwohner nahm, besonders als Zeichen der Solidarität mit marginalisierten Minderheiten. Vor allem Ponchos, fernöstlich angehauchte Tuniken, Parkas, Schuhe oder Taschen wiesen Fransen-Schmuck im folkloristischen Boho-Style auf. Die Fringes wurden als Symbole der Freiheit und Lebenslust verwendet, aber auch zur Abgrenzung von den Klamotten der älteren Generation. Anno 1967 machte Yves Saint Laurent die Fransen erstmals laufstegtauglich. Was zur Folge hatte, dass in der weiblichen Promiszene befranste Jacken und Kleider aus Wildleder en vogue waren. Der Designer Giorgio di Sant’ Angelo entwarf zwischen 1968 und 1970 ganze Fringes-Kollektionen aus Wildleder, darunter Capes, Kleider, Jacken und Stiefel. Jimi Hendrix hatte bei seinem Auftritt in Woodstock im August 1968 auch dank seiner legendären, mit Perlen verzierten Fransenjacke für Aufsehen gesorgt. Ein Jahr später sorgte das Erscheinen des Kino-Klassikers „Easy Rider", in dem die Fransen-Lederjacke ästhetisch ebenfalls eine zentrale Rolle spielte, für einen weiteren Hype rund um die Fransen. Anscheinend Grund genug für die US-Ikone Cher, Fransenklamotten zu ihrem bevorzugten Kleidungsstil zu machen. Nach den 70er-Jahren zählten Fransen-Teile nur noch zum Outfit von Bikern oder konnten ab den 90er-Jahren gelegentlich noch bei Festival-Besucherinnen gesichtet werden.
Wie stark das Interesse an Fransen in jüngster Zeit gestiegen ist, lässt sich allein schon aus der Datenanalyse des großen Onlineportals Stylight.de ablesen. 2020 waren die Klicks der monatlich weltweit rund zwölf Millionen User auf Jacken mit Fransen im Vergleich zum Vorjahr um 1.000 Prozent in die Höhe geschnellt. Was die französische „Vogue" zum Anlass nahm, Fransenjacken zum Mega-Trend des Winters zu deklarieren und ihren Leserinnen zum Kauf von Exemplaren von Alanui, Miu Miu (samt kolorierten Perlen) oder Saint Laurent by Anthony Vaccarello zu raten. Die deutsche „Vogue" hingegen ließ sich zum Feiern des großen Comebacks von Fransenröcken hinreißen und präsentierte Modelle von Prada, Dior, Elie Saab oder Michael Kors als aktuelle Paradebeispiele. „Ganz gleich, ob Sie den Trend leger oder bei Galaveranstaltungen tragen", so die „Vogue", „Röcke mit Fransen funktionieren dank ihrer Beschaffenheit für jeden Look." Wenn dem so sein sollte, kann frau sich allerdings schon die Frage stellen, warum die „Vogue" dann ausführlich Kombi-Möglichkeiten vorgestellt hatte, vom Folklore-Look bis zur Mixtur von Klassik und Moderne. Und was das Besondere an einer Kombi von fransigem Rock mit weißer Bluse samt Puffärmeln sein soll, mag sich auch nicht recht erschließen. Immerhin präsentierte die „Vogue" das Bild eines Rocks mit extrem breiten Fransen, was aber mit den dazu getragenen Combat-Boots eher unelegant aussah.
Nicht zu verwechseln mit dem Westernlook
Da Hugo Boss seine Kollektionen inzwischen auch in Mailand zeigt, spielten bei dem deutschen Global Player natürlich Fransen auch die Hauptrolle, zu sehen an Mänteln (mit einseitiger Fransen-Leiste), Blazern (ebenfalls Fransen, nur einseitig angebracht) oder Etuikleidern (die mit Fransen-Bahnen geradezu überzogen waren). Auch Bottega Veneta war in Milano ganz auf dem Fringes-Trip, von Taschen über Mäntel (beispielsweise Teddy-Coats) bis hin zu Strickkleidern. Bei Prada war ein kastig geschnittener Blazermantel über und über in geraden Reihen mit kurzen Fransen bestückt. Daneben waren Röcke zu bestaunen, die komplett im Fransen-Look daherkamen. Bei Jil Sander war ein fransengeschmücktes, bodenlanges Kleid in Schwarz und Weiß eines der Kollektions-Highlights. Etro und Zimmermann hatten das Fransenthema bei Ponchos perfekt umgesetzt. Gabriela Hearst bewies die Fransentauglichkeit bei der Kreation ihrer Trenchcoats, Capes oder Jacken. Paco Rabanne schmückte Wollkleider mit Fringes. Die Schals von Gabriele Colangelo sind mit bodenlangen Fransen ausstaffiert. Bei Burberry oder Salvatore Ferragamo kommen die Fransen bei Kleidern in metallischer Glitter-Optik daher. Und auch Labels wie Roksanda, Tom Ford, Stella McCartney, Area, Rodarte, Dries Van Noten oder Alberta Ferretti machen beim Fransen-Trend munter mit. Für Neugierige gilt: Alles ist möglich, nur bitte zum Fransen-Piece das restliche modische Umfeld möglichst zurückhaltend gestalten. Zum Stil-Einstieg ist ein Fransen-Jackett immer die sichere Wahl, es sollte nur nicht unbedingt im Westernlook daherkommen.