Mit dem ID.3 beginnt bei VW der Start in die automobile Zukunft. Wir haben den Stromer getestet und sind von der Alltagstauglichkeit überzeugt. Er bietet Fahrspaß und mit bis zu 420 Kilometer genügend Reichweite.
Die Beschleunigung ist der Wahnsinn. Einmal kräftig aufs Gaspedal getreten, und der Wagen sprintet in nicht ganz dreieinhalb Sekunden von Null auf Tempo 60. Im Gegensatz zu einem Verbrennungsmotor, der seine Leistung erst nach und nach aufbauen muss, stehen bei unserem Elektroauto 204 Pferdestärken und 310 Newtonmeter von der ersten Umdrehung an komplett an der Hinterachse zur Verfügung. Damit könnten wir an der Ampel so manchen Sportwagen bequem stehen lassen. In knapp über sieben Sekunden erreicht das Fahrzeug Tempo 100.
Wir sitzen im ID.3 First Edition in der Top-Version Max mit Vollausstattung. Der ID.3 ist für Volkswagen die Eintrittskarte in ein neues automobiles Zeitalter, und nicht weniger soll der erste rein elektrische Pkw aus dem Hause VW werden – der Startschuss in die Zukunft des Unternehmens. Nach einigen Verschiebungen wegen Problemen mit der Software, wird die First Edition – eine limitierte und bereits ausverkaufte Auflage von 30.000 Fahrzeugen für Erstbesteller – derzeit gerade ausgeliefert.
Ein Hebel für vor und zurück
Wenn man zum ersten Mal hinter dem Steuer dieses Elektrofahrzeugs Platz nimmt, sind die ersten Minuten ungewohnt. Da der Wagen komplett lautlos ist, weiß man zunächst gar nicht, ob er bereits an ist oder nicht. Bei der Fahrt selbst nimmt man lediglich Roll- und einige Windgeräusche wahr. Aber auch sonst ist einiges anfangs ungewohnt. Dort, wo bei herkömmlichen Autos der Schaltknüppel oder der Wahlhebel fürs Automatikgetriebe sitzt, gähnen hier zwei dunkle Löcher – Getränkehalter für zwei Personen und ein Fach fürs induktive Laden geeigneter Smartphones. Stattdessen sitzt am rechten Rand des Fahrerdisplays hinter dem Lenkrad ein unscheinbarer, knubbliger Hebel. Kippt man diesen nach vorne, fährt das Fahrzeug in zwei Stufen vorwärts. Kippt man ihn nach hinten, rückwärts. Eigentlich narrensicher und dennoch erst einmal ungewohnt. Ein weiterer Dreh, und die Parksperre wird arretiert, denn eine Handbremse gibt es hier ebenso wenig wie ein Kupplungspedal.
Im Grunde lässt sich das Auto in weiten Teilen sogar ohne Bremspedal fahren. Nimmt man im ID.3 den Fuß vom Gas, bremst der Wagen durch die Motorbremse deutlich selbsttätig ab. Mit etwas Übung und vorausschauender Fahrweise schafft man es so relativ schnell, weitgehend ohne Bremse zu fahren. Gleichzeitig unterstützen die Assistenzsysteme den Fahrer, denn auch die Elektronik schaut weit voraus, erkennt Verkehrszeichen, Abstände zum Vordermann, Gefällstrecken und greift selbsttätig ein.
Das ist gut so, denn die durch die Motorbremse entstehende Energie wird in die Batterien des Fahrzeugs eingespeist. Rekuperation nennt sich das und ist Motorsportfans längst ein Begriff. Erstmals vor einigen Jahren in der Formel 1 getestet, hat das System inzwischen Einzug in den Verkehrsalltag gefunden. In unserem Test führt dies sogar dazu, dass wir im Orts- und Stadtverkehr nach einer Fahrstrecke von knapp 30 Kilometern sogar mehr Energie in der Batterie haben als zum Zeitpunkt, an dem wir gestartet sind. Braucht man das Bremspedal doch einmal, muss man allerdings schon ordentlich aufs Pedal steigen, damit der Wagen verzögert.
Im Inneren Platz wie im Passat
Der Vorwärtsgang des ID.3 hat zwei Fahrstufen. Stellt man auf D – Drive – rollt das Fahrzeug und hat nur eine sehr geringe Motorbremswirkung, wenn man den Fuß vom Gas nimmt. Das ist ideal auf Landstraßen oder der Autobahn, um sanft dahinzugleiten. Im Orts- oder Stadtverkehr stellt man hingegen auf B –
Break –, fährt weitestgehend mit einem Pedal und nutzt die stärkere Bremswirkung für die Rekuperation. Wir gewöhnen uns im Test sehr schnell daran und schalten schon nach kürzester Zeit je nach Situation ganz intuitiv zwischen beiden Stufen hin und her.
Wunder darf man in Sachen Rekuperation allerdings nicht erwarten, denn das Energiemanagement und damit die Reichweite des Fahrzeugs hängen entscheidend von der Fahrweise und der Anzahl der elektrischen Verbraucher ab. Wer mit Tempo 150 auf der Autobahn unterwegs ist, merkt sofort, wie die Reichweitenanzeige schmilzt. Wenn zusätzlich die Sitzheizung kuschelig wärmt, das Navi und das Radio an sind, wird der Balken sehr schnell sehr viel kleiner. Da ist es durchaus sinnvoll, dass das Fahrzeug automatisch bei Tempo 160 abriegelt. Insofern sind die Wahlmöglichkeiten zwischen vier verschiedenen Fahrmodi eher theoretischer Natur. In der Praxis ist man darauf bedacht, möglichst energiesparend unterwegs zu sein, und wird von vornherein eher den Öko-Modus wählen.
Trotz der Abriegelung bei 160 km/h braucht der ID.3 seine 204 PS, denn das Fahrzeug bringt stolze 1,8 Tonnen Gewicht auf die Waage. Geschuldet ist dies vor allem den Batterien, die komplett im Unterboden verbaut sind und alleine eine halbe Tonne Gewicht haben. Das führt andererseits dazu, dass der Schwerpunkt des Fahrzeugs enorm tief liegt und das Fahrzeug so eine richtig gute Straßenlage hat. Dank der optimalen Gewichtsverteilung von jeweils 50 Prozent auf Vorder- und Hinterachse hat man teilweise das Gefühl, ein Gokart zu steuern. Das macht richtig Spaß. Unterstützt wird dieses Gefühl durch die präzise Lenkung, die knackig anspricht. Beeindruckend ist zudem der extrem kleine Wendekreis von gerade einmal zehn Meter.
Der Elektromotor sitzt auf der Hinterachse, der ID.3 ist also wie sein Urahn – der gute alte Käfer – Heckantriebler. Der im Vergleich zum Verbrenner gewonnene Platz vorne kommt den Insassen zugute. Obwohl von den Außenmaßen fast vergleichbar mit dem neuen Golf VIII, hat der ID.3 so einen beeindruckenden Radstand von 2,76 Meter und damit ein Platzangebot im Inneren, das mit dem des Passats zu vergleichen ist.
Die verarbeiteten Materialien im Innenraum sind dagegen eher enttäuschend. Es dominiert viel billiges Plastik, und auch die Sitzmaterialien sind alles andere als wertig und eigentlich nicht angemessen für die Preiskategorie, die für den ID.3 aufgerufen wird. Darüber kann auch die schicke Hintergrundbeleuchtung im Inneren nicht hinwegtäuschen. Lediglich die Materialauswahl und Haptik bei Lenkrad und Cockpit sind etwas höherwertig.
Insgesamt wirkt das Interieur sehr nüchtern oder wohlwollend gesagt: futuristisch. Klassische Bedienelemente und Knöpfe gibt es keine mehr, und auch klassische Instrumente für Tacho oder Drehzahlmesser sucht man vergebens. Alle wichtigen Informationen – Geschwindigkeit, voraussichtliche Reichweite, eingelegter Gang, Fahrassistenzsystem et cetera – werden übersichtlich im Display hinter dem Lenkrad angezeigt. Alle weiteren Funktionen lassen sich über das Multifunktionslenkrad oder sensitive Tasten steuern, wobei Letztere am Lenkrad ein wenig schwammig und unpräzise sind und man sich schnell einmal verdrückt.
Zudem lassen sich alle Infotainment-Funktionen über ein zehn Zoll großes Touchdisplay steuern, das leicht schräg versetzt zum Fahrer in der Mitte des Cockpits sitzt. Oder besser gesagt obendrauf. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, aber: Flapsig ausgedrückt wirkt die Anordnung des Displays fast ein wenig wie ein achtlos platzierter und dann dort vergessener tragbarer DVD-Player für Kinder. Eine elegante Lösung ist das sicher nicht, vermutlich soll so der eher nüchterne Innenraum etwas aufgepeppt werden. Auch die Fülle der Einstellmöglichkeiten über das Display ist alles andere als intuitiv und lenkt im Verkehr sogar eher ab.
Zum Glück hat VW seinem System eine Sprachsteuerung verpasst, mit der man die Funktionen ebenfalls anwählen kann. Mit „Hallo ID" wird das System aktiviert, und mit einem kurzen Befehl – beispielsweise „mir ist kalt" – dreht es die Heizung um ein Grad höher. Es erkennt dabei im Idealfall, ob der Befehl vom Fahrer oder Beifahrer kommt und regelt so die Heizung ganz individuell hoch oder runter. Genauso lassen sich auch das Navi und die Senderwahl des digitalen DAB+-Radios steuern oder – je nach Ausstattung – der Blendschutz des Panoramadachs öffnen und schließen. In unserem Test reagierte die Sprachsteuerung nicht immer so, wie sie sollte. Allerdings stand zum Zeitpunkt des Tests noch ein Software-Update aus, das das Problem inzwischen beseitigt haben sollte.
An der Schnellladesäule lässt sich das Fahrzeug binnen 35 Minuten zu 80 Prozent aufladen. Mit einer sogenannten Wallbox für die heimische Garage dauert es mit elf kWh Ladekapazität etwa sechs Stunden, an der herkömmlichen Steckdose dagegen etwa 24 Stunden. Die nominelle Reichweite von 420 Kilometer ist in jedem Fall alltagstauglich. Beim Laden selbst gibt es ein Sicherheitssystem. Böse Überraschungen, wenn man das Auto mal nicht in der heimischen Garage lädt, lassen sich so verhindern. Das Ladekabel lässt sich nur abziehen, wenn das Auto geöffnet ist oder per App am Ende des Ladevorgangs freigegeben wird. Für den Fall der Fälle gibt es im Kofferraum auch eine Notentriegelung. Letzterer bietet ein Ladevolumen von 380 Litern und lässt sich mit umgeklappten Sitzen auf 1.267 Liter erweitern. Das Ladekabel findet Platz in einem zusätzlichen Unterbodenfach.
Festes Baukasten-Prinzip
Nach der First Edition startet VW derzeit mit der nächsten Generation des ID.3. VW setzt dabei auf ein Baukastensystem. Das heißt, die Kunden können in der Pro-Variante (mittlere Batterie-größe mit 58 kWh/Reichweite etwa 420 Kilometer) zwischen sieben festen Ausstattungsvarianten wählen. Beim Pro S (große Batterie mit 77 kWh/Reichweite bis knapp 550 Kilometer) sind es aktuell zwei Varianten. Später soll es übrigens noch einen ID.3 mit 35 kWh geben. Einzelne Sonderwünsche sind somit aber nicht möglich. Bei den vorkonfigurierten Modellen kann der Kunde lediglich zwischen sechs Farbvarianten, der Reifengröße beziehungsweise Felgen sowie minimalen Abwandlungen des Interieurs wählen. Wer beispielsweise das Grundmodell zum Preis von gut 34.000 Euro möchte, aber zusätzlich gerne eine Rückfahrkamera und ein Head-up-Display hätte, muss mindestens zur knapp 43.700 Euro teuren Tech-Variante greifen – inklusive aller zusätzlichen Extras. Einzeln lassen sich die Elemente nicht nachrüsten. Immerhin gibt es eine Elektro-Förderung von 9.000 Euro – 6.000 vom Staat, 3.000 von VW.