Donald Trump versucht, sich das Amt des Präsidenten einzuklagen. Sein Verhältnis zum Recht war immer ein transaktionales, doch er könnte verlieren: Verfassungsrechtler Prof. Franz Mayer ist sich sicher, dass ihm kleinteilige Korrekturen nicht das Weiße Haus zurückgeben werden – auch wenn das System viele Lücken aufweist.
Herr Professor Mayer, wie haben Sie die US-Wahlnacht verbracht?
Vor dem Fernseher bis morgens um sieben, dann habe ich noch zwei Stunden geschlafen und dann zwei Vorlesungen gehalten. Aber es war absehbar, dass dies eine Langstrecke werden wird.
Sie hatten in einem vorangegangenen Interview bereits darauf getippt, dass die Wahl vor Gericht landet. Warum ist das Wahlsystem so kompliziert?
Das Zusammenwirken von Bundes- und Einzelstaatenrecht in den USA ist kompliziert. Das ist Absicht und Ausdruck eines stark ausgeprägten Föderalismus. Was bei uns bundeseinheitlich ist, bis zum Layout der Wahlzettel, ist in den USA in jedem Einzelstaat anders, bis hin zum Verfahren, wie gewählt wird: per Wahlmaschine oder mit Wahlzettel. Diese Unterschiede lassen viele Spielräume, auch für Fehler, an denen man ansetzen könnte, wenn man die Wahl anfechten wollte. Bestes Beispiel ist die Wahl zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000, wo es um fehlerhafte Wahlmaschinen ging, die physisch Fehler auf den Wahlkarten produzierten. Pauschale Anschuldigungen reichen aber nicht, ein paar Beweise muss man schon vorlegen.
Es gab zum Beispiel massive Kritik am sogenannten „ballot curing", also Korrekturen an vermeintlich fehlerhaften Wahlzetteln, was bedeutet das?
Dabei werden zum Beispiel Unterschriften verglichen, die nicht eindeutig sind. Das betrifft Briefwahlunterlagen die mit der Unterschrift im Wählerverzeichnis abgeglichen werden. Wähler werden beim „ballot curing" gebeten, noch mal ihre Unterschrift zu leisten, wenn es Diskrepanzen zu den hinterlegten Unterschriften gibt. Das ist aber nichts Neues, es geht bei solchen Verfahrensaspekten ja auch nicht um eine erneute zusätzliche, nachträgliche Wahlmöglichkeit.
Pennsylvania wurde nach einer Rechtsmittelentscheidung des Supreme Courts erlaubt, auch bis zu drei Tage nach dem 3. November eingegangene Briefwahlunterlagen auszuzählen. Welche Chancen gibt es überhaupt, solch ein Urteil noch anzufechten?
Das waren Eilentscheidungen des Supreme Courts, zudem zunächst noch mit acht statt der üblichen neun Richter, also ohne die neu ernannte Richterin Amy Coney Barrett. Die Entscheidung war allerdings nicht einstimmig. Beim zweiten Versuch der Republikaner in der Sache hat sich Barrett nicht beteiligt. Ein dritter Versuch hat dann nur eine Eilanordnung eines einzelnen Richters ergeben, die streitigen Wahlunterlagen gesondert auszuzählen, was aber ohnehin schon passierte. Damit ist aber auch möglich, dass diese Frage nochmal genauer vom obersten US-Gericht geprüft wird. Ähnliche Verfahren gibt es an unserem Verfassungsgericht auch, in denen sich das Gericht entscheidet, sich die Angelegenheit später noch mal vorzunehmen. Es gibt da die Hoffnung der Republikaner, dass die neue konservative Richterin sich bei solchen Verfahren auf ihre Seite schlägt. Ich wäre nicht so sicher, dass dies passiert.
Es gibt derzeit noch keine Zahlen über fehlerhafte, zurückgewiesene US-Wahlzettel. 2016 lag sie bei rund 750.000, 1,2 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Die Zahl der zweimal abgegebenen Stimmen, also Wahlbetrug, lag laut US-Studien von 2017 bei 0,02 Prozent. Das war nicht wahlentscheidend. Kann die aktuelle Wahl trotzdem angefochten werden?
Es gibt den Grundsatz in vielen Demokratien, dass Wahlen nur dann angefochten werden können, wenn die mutmaßlichen Fehler auch wahlentscheidend sind. Auch die Bundestagswahl ist eine Großveranstaltung, bei der Fehler passieren. Aber wenn sich ein Wahlfehler gar nicht auf das Wahlergebnis auswirken konnte, kommt man nicht weit. Das ist auch in den USA so. Mit kleinteiligen Einzelkorrekturen, und das scheint mir die Strategie von Trumps Team derzeit zu sein, will er trotzdem versuchen, das Wahlergebnis zu ändern. Es fehlt aber schon an Beweisen für Wahlfehler. Trump geht es aber auch um Verunsicherung – er hat in der Vergangenheit schon bewiesen, dass er, auch als Geschäftsmann, ein sehr taktisches Verhältnis zum Recht hat.
Fehlt bei diesen Anschuldigungen nicht ein grundlegendes Verständnis des demokratischen Wahlsystems?
Da sollte man sich nicht aufs hohe Ross setzen, das personalisierte Verhältniswahlrecht in Deutschland mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ist auch nicht einfach. In ihrer einfachsten Variante ist Demokratie die Herrschaft der Mehrheit. Demokratische Wahlsysteme aber sind komplex. Ginge man nur nach dem Mehrheitsprinzip, hätte Biden laut „popular vote", also der Mehrheit aller Wähler, ohnehin schon früher gewonnen. Seine Legitimität ist damit schwer zu bestreiten.
Egal wie es ausgeht: Die US-Verfassung gibt strikte Daten bis zur Inauguration des Präsidenten vor. Wie geht es nun weiter?
Die Verfahren müssten innerhalb der kommenden Wochen abgeschlossen sein. Einwände werden zunächst auf einzelstaatlicher Ebene verhandelt. Am 14. Dezember treten die Elektoren dezentral in den jeweiligen Einzelstaaten zusammen, geben ihr Votum ab, und am 6. Januar nimmt der neue Kongress dieses Votum förmlich entgegen. Das Ergebnis wird vom Vorsitzenden dieser Versammlung, dem amtierenden US-Vizepräsidenten, verkündet und der neue US-Präsident am 20. Januar ins Amt eingeführt.
Gibt es die Gefahr, dass republikanisch dominierte Einzelstaaten einfach konkurrierende Wahlmänner aufstellen, die für Trump statt Biden stimmen, obwohl die Wähler mehrheitlich demokratisch gewählt haben?
Man muss unterscheiden zwischen Elektoren, die anders abstimmen als gedacht, und dem gravierenden Problem, dass schon unklar ist, wer die legitimen Elektoren sind, weil aus einem Einzelstaat konkurrierende Elektorengruppen Ansprüche erheben. 2016 wollten demokratische Wahlmänner Donald Trumps Electoral-College-Sieg verhindern, indem sie statt für Clinton für einen moderaten Republikaner stimmen wollten, als Alternative zu Trump. Zuvor war das jedoch kaum ein Problem, weil in der Regel ein Wahlmann nicht auf die Idee kommt, für jemand anderen als den Gewinner der Wahl in seinem Einzelstaat zu stimmen, für den er auch nominiert wurde. Wenn nun konkurrierende Wahlmänner beziehungsweise deren Stimmen aus einem Einzelstaat auftauchen, um abzustimmen, wird dies im Kongress beraten und eine Lösung danach ermittelt, wer nach dem Recht des jeweiligen Einzelstaates die legalen Elektoren sind. Aber nicht alle Staaten haben dazu sehr genaue Gesetze, vieles lief bisher über 200 Jahre wie auf Autopilot.
Dann zählt der Volkswille an dieser Stelle nicht?
Eine tatsächliche Volkswahl des Präsidenten war historisch in der Verfassung ja ohnehin gar nicht vorgesehen, weil man dies 1787 bei der Größe des Landes nicht für durchführbar hielt. Den Einzelstaatenparlamenten die Entscheidung über den Präsidenten zu überlassen wollte man aber auch nicht, um denen nicht zu viel Macht zu verleihen. Deshalb die Idee mit den dezentral in den Hauptstädten der Einzelstaaten am gleichen Tag abstimmenden Elektoren, das Electoral College, als eine Art virtuelles dezentrales Sonderparlament. Es besteht nur an diesem einen Tag und verschwindet dann wieder – keine Gefahr und keine Konkurrenz für den Präsidenten.
Kommt Trump also mit seinen vielen Klagen nicht durch?
Dies hier ist keine Situation wie damals im Jahr 2000. Sogar bei einer Vielzahl von Einzelkorrekturen ist nicht in Sicht, dass das Ergebnis sich grundlegend ändern würde. Bei Bush gegen Gore lagen die Dinge anders, schon weil es nur um Vorgänge in einem einzigen Einzelstaat, in Florida, ging. Es musste aber jemand entscheiden, was passiert. Das geschah am Supreme Court. Trump aber hat gar keinen Fall.