Das zähe Zählen hat ein Ende: Nach fünf langen Tagen riefen die US-Sender Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten aus. Ihm folgt als Vizepräsidentin Kamala Harris, die erste schwarze Frau im Weißen Haus.
Das Auszählen dauerte, während die US-amerikanischen Medien in den Startlöchern standen: Jede neue Tranche an Stimmen wurde gemeldet, analysiert, heruntergebrochen auf County- oder Stadtgröße, hochprojiziert auf Staatsebene. Ein überraschend enger Wahlkrimi in Echtzeit. Die sogenannten Decision Desks, Statistik-Experten und Mathematiker der verschiedenen Fernsehstationen, gelten seit Jahrzehnten als Präsidentenmacher, sobald die Zahlen die statistische Sicherheit zulassen. Und ausgerechnet Fox News, der einstige Haussender des Präsidenten, nun mit zerrüttetem Verhältnis zu ihm, war sich als Erster sicher, den Staat Arizona Biden zuzuschlagen – Trump tobte.
Noch in der Wahlnacht sah es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. Ungewöhnlich, nachdem die Umfragen noch einen respektablen Abstand von Demokrat Joe Biden zum republikanischen Amtsinhaber voraussagten. Entscheidungen der Wähler in letzter Minute, erstmals eine Rekordzahl von fast 66 Millionen Briefwählern und erneut die Unsicherheit, ob Trump-Wähler den Umfrageinstituten wahre und damit verwertbare Antworten geben, waren ausschlaggebend für den atemberaubenden Spurt in Richtung Weißes Haus.
Die Briefwahl sollte laut den Statistikern dem demokratischen Herausforderer eigentlich ein kräftiges Stimmenpolster verschaffen. Denn die Angst vor Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus in Schlangen vor den Wahllokalen schien unter demokratischen Wählern größer als bei republikanischen. Wie sich herausstellte, waren aber nicht nur die den Demokraten zugeneigten Wähler eifrige Briefwähler, auch traditionell republikanische Staaten wie Colorado verzeichneten immerhin mehr als vier Millionen versendete Briefwahlunterlagen. Das US-amerikanische Wahlsystem, fragmentiert in 50 Einzelwahlen mit eigenen Systemen, unterfinanziert, oft mit zu wenig Personal ausgestattet, wurde erst nach fünf Tagen der Flut an Stimmen Herr. Indessen konnte Amtsinhaber Donald Trump in Echtzeit mitverfolgen, wie sein komfortabler Vorsprung in umkämpften Staaten wie Georgia, Pennsylvania, Arizona und Nevada dahinschmolz – „magisch verschwand", in seinen Worten. Dass das Auszählen der vielen vor allem demokratischen Stimmen Zeit in Anspruch nahm, kann oder will er nicht realisieren, spricht stattdessen von Wahlbetrug.
Nach fünf Tagen zähen Wartens aber war rechnerisch klar, dass die Senatorin und ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien Kamala Harris und der ehemalige Senator von Delaware und Vizepräsident der Obama-Administration Joe Biden gemeinsam ins Weiße Haus einziehen werden – am 20. Januar. Auf die beiden kommt ein schweres Erbe zu, sofern sich Amtsinhaber Trump nicht weiterhin der Realität einer Niederlage verweigert. Für die Republikaner aber ist klar: Mit Trump verlieren sie einen untalentierten, inkompetenten Autokraten – aber einen Aufpeitscher, der ihnen mit größter Präzision den Weg zur nächsten Präsidentschaft eines talentierteren Populisten aufzeigt.