Das einstige Protestmusical „Hair" steht in Corona-Zeiten auf dem Spielplan des Saarländischen Staatstheaters – nach dem Shutdown gibt’s weitere Vorstellungen. Regisseur Maximilian von Mayenburg spricht über das Stück und unsere Zeit.
Herr von Mayenburg, ungewöhnliche Probenwochen als auch die Premiere von „Hair" liegen hinter ihnen. Wie fühlen Sie sich?
Sehr glücklich. Ich bin sehr glücklich, dass das Stück überhaupt stattfinden konnte, und darüber, was das Ensemble – unter diesen Umständen – geleistet hat.
Inszenieren darf man sich in Corona-Zeiten anders vorstellen. Wie? Mit dem Zollstock in der Hand?
Ja, wirklich! Vom Theater gab es ein Hygiene- und Abstandskonzept, das festgelegt hat, wie sowohl die Proben als auch die Vorstellungen abzulaufen haben. Wegen des Abstandhaltens war zunächst die Frage, wo wir überhaupt proben können – wir sind dann in die Messehallen gezogen. Dort hatten wir einen Riesenraum, wo wir mit allen proben konnten, weil in „Hair" fast die ganze Zeit das gesamte Ensemble auf der Bühne ist.
Einschränkung kann auch als Impuls oder Aufforderung zur Neuentdeckung empfunden werden. Wie sehen Sie das?
Das war bei uns ganz stark so. Ich hatte schon vor dem Ausbruch der Corona-Krise ein Konzept, das aus dem Stück keine nostalgische Hippie-Nummer machen, sondern ernst nehmen wollte, dass das Stück als politisches Avantgarde-Theater gedacht war. Wir hatten überlegt, wie wir die Verbindungen zu unserer Zeit herstellen. Themen wie Rassismus und Sexismus spielen von Anfang an eine Rolle – da gab es natürlich große Parallelen. Dann kam Corona. Was macht man jetzt? Entweder man tut, als sei nichts gewesen oder man geht in die Offensive und macht das zum Thema. Die Krise unserer Generation ist dieses Virus. Die Krise der Generation der 68er war der Vietnamkrieg.
Sie haben es gesagt: Junge Amerikaner protestierten gegen den Vietnamkrieg. Und auch, ähnlich wie in Deutschland, gegen ein als verkrustetes empfundenes Gesellschaftsbild. Protestiert wird auch heute. Ist das Ansatzpunkt für Ihre Regiekonzeption?
Richtig, wobei das interessante ja ist: Die Demonstrationen können in alle Richtungen gehen. Eins zu eins übertragen lässt sich das nicht. Man könnte also nicht sagen, dass das, was die Hippies damals gefordert haben, mit den Corona-Protesten zu vergleichen ist –
wobei es da auch Überschneidungen gibt. Ursprünglich hatte mich interessiert: Was ist denn aus den „Hippie-Ideen", aus diesen Idealen geworden? Das Interessante ist, dass das Stück darin selbst ambivalent ist. In einer Szene singt Sheila – eine der Hauptfiguren – einen Song darüber, dass man einerseits Weltfrieden predigt, dass man sich aber privat schlecht behandelt. Interessant war, die Parallelen zur damaligen Zeit mit dem heutigen Wissen zu suchen und zu schauen: Was sind die Herausforderungen an die heutige Jugend? Was sind ihre Sehnsüchte? Wir haben darüber sehr viel gesprochen – das war auch sehr persönlich während der Proben.
Jede Inszenierung ist eine Interpretation.
… richtig, ja …
Die Intention, die sie geleitet hat, war zu überprüfen, „Was ist aus den Idealen geworden?"
… als Ausgangspunkt. Gelandet sind wir im Hier und Jetzt: Bei der Ratlosigkeit, die viele von uns empfinden. Bei der Frage: Wo geht es hin? Es gibt den Song „Where do I go?". Diese Frage wird explizit gestellt. Wo führt uns das als Gesellschaft, als Weltgemeinschaft, hin? Wir wissen es ja alle nicht. Wir sehen, dass es Risse gibt in unserem Demokratiegefüge, das macht uns vielleicht Angst. Alle im Ensemble hatten kollektiv das Gefühl, dass wir an einem Wendepunkt stehen. Die Parallelen waren zum Teil offensichtlich und oft bestürzend, weil wir gesehen haben: Wir sind noch nicht weitergekommen in den letzten 50 Jahren. Davon handelt das Stück, aber dazwischen ist immer wieder: Hoffnung! Das finde ich auch wichtig – das Stück ist auch witzig und unterhaltsam geworden, soll aber nicht außer Acht lassen, was gerade passiert.
Die Dialoge von Nico Rabenald …
… haben wir ergänzt und gekürzt. Eigentlich gibt es keine Handlung im Stück. Viele denken an den Film, dort gibt es eine Art von Handlung, aber auch die ist konstruiert und hat mit dem Bühnenstück überhaupt nichts zu tun. Die Filmhandlung ist etwas komplett Eigenes. Das Bühnenstück ist eine Revue, könnte man sagen.
Die Songs sind mitreißend. Kannten Sie sie vor dieser Regie?
Ich kannte das Stück und den Film, hatte das Stück aber noch nie auf der Bühne gesehen. Einige der Songs sind ja in den Pop-Kanon eingegangen.
Bevor Sie sich an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" Berlin der Musiktheaterregie zuwandten, haben Sie Gesang bei Thomas Quasthoff studiert. Was hat Sie bewogen, die Regie der Sängerkarriere vorzuziehen?
Tatsächlich die Tatsache, dass ich mich auf der Bühne nicht so wohlgefühlt habe. Ich hatte auch mit Lampenfieber zu kämpfen. Ich bin immer weiter davon abgekommen, mich selbst als Sänger zu sehen. Der Theateraspekt hat mich immer mehr fasziniert. Die Verbindung aus Theater und Musik ist das, was mich fesselt.
Sie haben noch als Studierender in einer Produktion von Christoph Schlingensief (Film- und Theaterregisseur, Autor und Aktionskünstler, 1960 – 2010; Anm. d. Red.) mitgewirkt …
… ja, das war ganz verrückt, das war an der Volksbühne …
… in welcher Weise erinnern Sie sich an ihn?
Ich erinnere mich daran, dass das einer der humorvollsten Menschen war, dem ich je begegnet bin. Diese Mischung aus diesem kindlich-verspielten Geist, den er hatte, und gleichzeitig einer großen Ernsthaftigkeit – der Wechsel zwischen beiden Ebenen – hat mich sehr fasziniert. Seine Arbeitsweise war sehr spielerisch und improvisationslastig. Das ist auch etwas, was mich bei der Regie beeinflusst hat – nicht mit Gewalt und Einschüchterung zu arbeiten, sondern mit Vertrauen.
Sie sind in München geboren. Die Mentalität im Südwesten ist vielleicht nicht fern, aber anders. Wie nehmen Sie Saarländer wahr?
Ich habe sie als fantastisches und sehr offenes Publikum kennengelernt. Ich bin ja schon zum zweiten Mal da …
… Sie hatten 2018 „Nabucco" am Staatstheater Saarbrücken inszeniert.
Ich habe mich sowieso schon total gefreut, wiederzukommen. Es war eine fantastische Zeit und ich hoffe, dass ich mal wieder kommen darf.
Und wenn Sie zum dritten Mal in Saarbrücken inszenieren und ein Stück aussuchen könnten, welches?
Oh, da müsste ich länger darüber nachdenken. Vielleicht hat Herr Busse (Generalintendant Saarländisches Staatstheater, Anm. d. Red.) eine Idee für mich. Ich lasse mich gerne auf Ideen anderer ein, die sind manchmal viel besser, als die, die man sich selbst aussuchen würde.