Mit Spannung erwarten dieser Tage viele die Einführung eines Impfstoffs gegen Sars-CoV-2. Welche Impfung empfehlenswert ist, das entscheidet die Ständige Impfkommission (STIKO), ein unabhängiges Expertengremium. STIKO-Mitglied Prof. Dr. Rüdiger von Kries im exklusiven Interview.
Herr Prof. Dr. von Kries, wann wird der erste sichere und wirksame Impfstoff gegen Sars-CoV-2 verfügbar sein?
Genau weiß ich das natürlich nicht. Ich rechne in naher Zukunft mit der Einführung des Impfstoffs. Vielleicht Ende dieses oder Anfang des nächsten Jahres.
Das heißt, Sie können auch nichts über den aktuellen Entwicklungsstand der Impfstoffprojekte sagen?
Die STIKO beschäftigt sich in der Regel mit Impfempfehlungen mit zugelassenen Impfstoffen. Für nicht zugelassene Impfstoffe haben wir kein Mandat. Vernünftigerweise mussten wir uns aber vorbereiten, wenn ein neuer Impfstoff gegen Covid-19 kommt, ein Erreger der die Welt in Atem hält. Wir haben uns so vorbereitet, dass dann eine rasche Entscheidung möglich wird.
Sie sind seit 1998 Mitglied der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts und Mitglied der Arbeitsgruppe Covid-19-Impfung. Was sind die Aufgaben dieser AG?
Ob sich jemand impfen lassen will oder nicht, ist letztlich seine private Entscheidung. Die STIKO hat den gesetzlichen Auftrag, Empfehlungen für die Impfprävention in der Bevölkerung zu geben. Empfehlungen für öffentliche Impfungen trifft die STIKO nach der Maßgabe, dass damit in der Bevölkerung der maximale Effekt der Impfung erreicht wird. Die Arbeitsgruppe macht im Prinzip nichts anderes als die Papiere vorzubereiten, die von der STIKO beraten werden.
Die Arbeitsgruppe trifft sich auch jetzt noch?
Die STIKO muss dann entscheiden, wenn der Impfstoff zugelassen ist. Das heißt, wir müssen uns so vorbereiten, dass, wenn der Impfstoff zugelassen ist, die Impfempfehlung nicht erst in zwei Jahren gegeben wird, sondern innerhalb von zum Beispiel wenigen Wochen. Wir bereiten uns so darauf vor, dass wir, wenn der Impfstoff kommt, eine transparente durchdachte und abgewogene Entscheidung treffen können.
Der Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, sagte kürzlich in einem Interview mit dem „Tagesspiegel", dass vermutlich die ersten Impfstoffe nicht perfekt sein werden. Ist das eine Einschätzung, die Sie auch teilen?
Perfekte Impfstoffe gibt es selten. Welcher Impfstoff ist schon perfekt? Die derzeitigen Grippeimpfstoffe zum Beispiel sind alles andere als perfekt. Warum sollte ausgerechnet der erste zugelassene Covid-Impfstoff alle Wünsche erfüllen?
Wer sollte sich zum Schutz vor Covid-19 impfen lassen?
Irgendwann sollte sich jeder impfen lassen. Das Problem dabei ist, dass der Impfstoff nicht in ausreichender Menge sofort zur Verfügung stehen wird. Deshalb muss man eine Priorisierung vornehmen und dabei zum Beispiel folgende Personengruppen berücksichtigen: Menschen mit Patientenkontakt in Krankenhäusern und Arztpraxen, Pflege- und Betreuungspersonal in Altenpflegeeinrichtungen und Menschen, die ein besonders hohes Risiko haben, schwer zu erkranken und zu sterben – der stärkste Risikofaktor hierfür ist hohes Alter.
Was ist mit Schwangeren und kleineren Kindern? Empfiehlt die STIKO diesen Gruppen ebenfalls eine Impfung gegen Sars-CoV-2?
Bei der Impfung von Schwangeren müssen viele Aspekte berücksichtigt werden. Kleinere Kinder haben ein geringeres Risiko sich zu infizieren und ein geringeres Risiko schwer zu erkranken. Daraus ergibt sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Priorität.
Werden Sie sich gegen Covid-19 impfen lassen und wenn ja, warum?
Ich werde mich möglichst bald gegen Covid-19 impfen lassen, weil ich über 60 Jahre alt bin und ein deutlich erhöhtes Risiko für eine schwere Erkrankung habe. Ich habe keine panische Angst vor Covid-19. Ich würde mich auch impfen lassen um dadurch zu verhindern, andere zu infizieren.
Nun gibt es Personen, die bereits eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht haben. Empfehlen Sie denen auch eine Impfung?
Derzeit nicht. Diejenigen, die Covid-19 durchgemacht haben, haben häufig eine zumindest teilweise Immunität erreicht. Man muss schauen, wie lange diese Personen immun sind – das wissen wir einfach nicht. Dazu gibt es gar keine Evidenz.
Nachdem bei einem Probanden schwere gesundheitliche Probleme aufgetreten sind, hat der Pharmakonzern Astra Zeneca seine klinische Studie gestoppt. Sind weitere Nebenwirkungen bislang bekannt geworden?
Nicht nach meinem Kenntnisstand.
Sind darüber hinaus keine weiteren Erkrankungen bekannt geworden?
Nein, wir werden am Ende der Impfstudien die Nebenwirkungen ausschließen können, die häufig auftreten. Ob es seltene Komplikationen gibt, können wir letzten Endes erst beurteilen, wenn der Impfstoff in großem Stil eingesetzt wird.
Was ist dann zu tun?
Wir müssen rasch beurteilen können, ob die vermeintlichen Komplikationen zufällig sind oder mit der Impfung in kausalem Zusammenhang stehen. Wir brauchen dazu drei Strukturen: ein funktionierendes Meldesystem – das gibt es – und eine Einrichtung, die Erfahrung hat wie häufig die vermeintlichen Komplikationen auch ohne Impfung in dieser Altersgruppe auftreten kann. Das Paul-Ehrlich-Institut ist hierbei gut aufgestellt. Und wir brauchen zusätzlich zeitnahe Daten zur Durchimpfung gegen Covid-19. Die Bundespolitik müsste dazu ein Covid-Impfregister etablieren. Nur so kann rasch „Zufall" von „möglicher Ursache" unterschieden werden.
Neuesten Medienberichten zufolge hat die Bundesregierung 94 Millionen Impfdosen geordert hat. Denken Sie, dass diese Größenordnung ausreicht?
Ob diese 94 Millionen Impfdosen ausreichen, hängt davon ab, ob ein oder zwei Dosen nötig sind. Wenn eine ausreichen würde, wäre das sicher für 82 Millionen Einwohner in Deutschland ausreichend. Wenn zwei Dosen nötig sind, brauchen wir mehr Dosen.
Wo kann sich die Bevölkerung impfen lassen, wenn es so weit ist und der neue Impfstoff verteilt worden ist?
Grundsätzlich kann man sich beim Hausarzt impfen lassen. Die Arztpraxen alleine können sicherlich nicht in einem kurzen Zeitraum 82 Millionen Impfdosen verimpfen. Da müssen weitere Strukturen geschaffen werden, wenn wir erreichen wollen, dass zeitnah hohe Durchimpfungsraten erzielt werden sollen.
Können Sie erklären, was Sie unter weiteren Strukturen verstehen?
Wenn man die Menschen im Gesundheitswesen schützen will, könnte man Impfstellen beispielsweise beim betriebsärztlichen Dienst einrichten. Weitere Impfstellen zum Beispiel in Altersheimen und Senioreneinrichtungen wären sinnvoll.