Weltweit leiden bis zu 2,5 Millionen Menschen an Multipler Sklerose. Eine Behandlung wird immer individuell auf den Patienten und dessen Krankheitsverlauf abgestimmt.
Die schlechte Nachricht vorweg: Multiple Sklerose ist bis jetzt nicht heilbar. Aber Patienten stehen mehrere Optionen zur Verfügung, wie sie sich behandeln lassen können. Ziel ist dabei, die Krankheitsaktivität zu stoppen oder zumindest das Fortschreiten zu verlangsamen. So sollen etwa die Symptome eines akuten Schubs abgemildert und der Krankheitsverlauf so beeinflusst werden, dass mögliche Langzeitfolgen verzögert oder gar verhindert werden können. In vielen Fällen lässt sich die Krankheit mit tausend Gesichtern, wie Multiple Sklerose auch genannt wird, gut behandeln.
Die Therapie fußt auf drei Säulen: der Schubtherapie, der verlaufsmodifizierenden Therapie und der symptomatischen Behandlung. Die Maßnahmen sollten immer individuell auf den Patienten und den Krankheitsverlauf abgestimmt werden. Bei der Schubtherapie geht es vor allem darum, die Symptome und die damit verbundene Behinderung dieser Krankheitsschübe abzuschwächen. Bei etwa 80 Prozent der Patienten mit Multipler Sklerose treten besonders in der Anfangszeit akute Schübe auf. Diese werden durch Entzündungsherde im Gehirn oder Rückenmark ausgelöst. Daher wird Patienten in der Regel Kortison verabreicht, das die Entzündungsreaktion eindämmen soll. Bei der Hochdosis-Schubtherapie werden Betroffenen stark dosierte Kortisonmedikamente meist drei bis fünf Tage mittels Infusion gegeben. Über diesen kurzen Zeitraum sind die Medikamente meist gut verträglich. Aber auch Nebenwirkungen sind möglich, wie etwa Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, eine Erhöhung des Blutzuckers und Blutdrucks oder Magenprobleme. Wenn sich die Symptome nicht zurückbilden, wird die Infusionstherapie häufig zunächst mit einer höheren Dosis wiederholt. Über eine lange Zeit sollte man jedoch nicht mit Kortison behandeln. Denn das hätte Nebenwirkungen und würde den Krankheitsverlauf nicht beeinflussen.
Deshalb besteht, wenn die Kortisontherapie nicht die gewünschten Ergebnisse bringt, die Möglichkeit einer Blutwäsche. In Zyklen soll so das Blut von entzündungsauslösenden Substanzen gereinigt werden, die die sogenannte Myelinschicht, also eine Membran, die die Nerven schützt, angreifen und eine Schädigung nach sich ziehen. Diese Therapie sollte nur in MS-Zentren durchgeführt werden und ist meist bei schweren Schüben ein Thema.
Bei der zweiten Säule der Therapie, der verlaufsmodifizierenden Therapie, werden Medikamente zur Langzeitbehandlung ausgewählt. Welche Wahl getroffen wird, hängt davon ab, ob Patienten einen milden oder einen hochaktiven Krankheitsverlauf haben. Zur Behandlung einer milden Multiplen Sklerose werden unterschiedliche Medikamente empfohlen. Dazu zählen etwa sogenannte Interferon-beta-Medikamente. Diese sind bereits seit über 20 Jahren zur Behandlung zugelassen und werden eingesetzt, um die Häufigkeit der Schübe zu reduzieren. Interferon kommt auch natürlich im Körper vor. Es handelt sich um einen Botenstoff, der zwischen Zellen vermittelt. Diese Wirkung soll auch bei der Behandlung genutzt werden. Dafür wird den Patienten Interferon unter die Haut oder in den Muskel gespritzt, das die Zahl der aktiven Entzündungszellen senken soll. Außerdem sollen diese Zellen davon abgehalten werden, in das zentrale Nervensystem einzudringen. Mögliche Nebenwirkungen können grippeähnliche Symptome sein. Diese lassen sich jedoch mit entzündungshemmenden Arzneimitteln abmildern. Meist treten die Nebenwirkungen zu Beginn der Therapie auf und klingen schnell ab. Für Interferon konnte eine Reduzierung der Krankheitsschübe von bis zu 30 Prozent nachgewiesen werden. Ebenso für eine Alternative, dem Arzneimittel Glatirameracetat, ein künstlich hergestelltes Präparat aus vier Aminosäuren, das unter die Haut gespritzt wird.
Aber auch eine Therapie in Tablettenform ist möglich. Dazu kommt beispielsweise Teriflunomid infrage. Es unterdrückt die körpereigenen Immunreaktionen und wirkt zudem entzündungshemmend. Auch Dimethylfumarat wird als Tablette eingenommen und entwickelt einerseits eine schützende Funktion auf die Nervenbahnen und entfaltet andererseits eine entzündungshemmende Wirkung. Wenn die bisherigen Medikamente keine Wirkung zeigen konnten oder zusätzliche Autoimmunerkrankungen vorliegen, dient Azathioprin, ein Wirkstoff, der eigentlich in der Tumortherapie eingesetzt wird, als Reservemittel. Der Wirkstoff unterdrückt das Immunsystem und gehört damit zu den sogenannten Immunsuppressiva. Weil bei der Einnahme des Medikamentes starke Nebenwirkungen auftreten können, sind Immunsuppressiva nicht die erste Wahl zur Dauertherapie.
Schmerzen sind eine häufige Begleiterscheinung. 50 Prozent der Patienten sind betroffen
Sprechen Betroffene nicht auf diese Form der Therapie an, kann sie verstärkt werden. Zur Behandlung der hochaktiven Multiplen Sklerose kann beispielsweise der Wirkstoff Natalizumab eingesetzt werden. Er blockiert bestimmte Moleküle auf der Oberfläche weißer Blutkörperchen und verhindert dadurch, dass aktivierte Entzündungszellen in Gehirn und Rückenmark eintreten. Auch die Stoffe Fingolimod, der verhindert, dass Entzündungszellen aus den Lymphknoten auswandern können und Alemtuzumab, der das Immunsystem reguliert, indem es sich gegen bestimmte weiße Blutkörperchen richtet, kommen häufig zum Einsatz. Wirken diese Mittel nicht, stehen alternativ die Wirkstoffe Mitoxantron, das zur Erweiterung der Immuntherapie zugelassen ist, oder Cyclophosphamid zur Verfügung. Bei Cyclophosphamid handelt es sich um ein sogenanntes Zytostatika, das auch in der Krebstherapie Verwendung findet. Das Medikament kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht. Allen Medikamenten ist gemein, dass sie zur Langzeittherapie dienen und Entzündungsherden vorbeugen sollen.
Die dritte Säule der Therapie ist die symptomatische Behandlung. Hierbei sollen Schmerzen und andere Symptome, die sich auf den Alltag auswirken, behandelt und so die Lebensqualität der Betroffenen gesteigert werden. Häufig und sehr belastend sind Schmerzen, verkrampfte Muskulatur (Spastik), Blasenfunktionsstörungen, Sprech- und Schluckstörungen, schnelle physische und psychische Ermüdbarkeit (Fatigue-Syndrom) und Depressionen. Diesen kann durch eine gesunde Lebensweise, medikamentöse Behandlung sowie mithilfe von Maßnahmen aus Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und Psychotherapie entgegengewirkt werden.
Bei etwa 70 Prozent der MS-Patienten tritt Spastik im Laufe der Erkrankung auf. Je nach Schwere wirkt sie sich unmittelbar auf das alltägliche Leben des Patienten aus. Dagegen wird vor allem Physiotherapie empfohlen. So können Patienten beispielsweise auf dem Laufband oder dem Ergometer ihre Muskulatur stärken und Bewegungsabläufe normalisieren. Medikamente wie Antispastika oder Muskelrelaxanzien sollen zusätzlich helfen, die spastischen Störungen zu minimieren und einzudämmen.
50 Prozent aller Multiple-Sklerose-Kranken klagen über Schmerzen. Da diese unterschiedliche Ursachen haben können, sollte die Schmerztherapie individuell auf den Patienten eingestellt werden. Kommen Medikamente zum Einsatz, werden nicht die gängigen Schmerzmittel, sondern eher Stoffe wie beispielsweise Amitriptylin, Carbamazepin oder Gabapentin verwandt. Bei der Therapie von Bewegungskoordinationsstörungen (Ataxie) und unkontrollierbarem Zittern (Tremor) zielen die Behandlungsmethoden darauf ab, dem Patienten seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu sichern. Empfohlen wird eine Kombination aus physio- und ergotherapeutischen Maßnahmen. Zudem kann der Arzt Medikamente wie beispielsweise Antiepileptika, Beta-Rezeptoren-Blocker, Dopaminagonisten oder Anticholinergika verordnen.
Wer unter Blasenfunktionsstörungen wie Harndrang oder Inkontinenz leidet, dem können je nach Ursache gezielte Beckenbodengymnastik, regelmäßige Ableitungen des Harns über einen Katheter sowie bestimmte Medikamente helfen. Bei etwa 75 Prozent der männlichen und 50 Prozent der weiblichen Patienten mit Multipler Sklerose kommt es zudem zu sexuellen Störungen. Haben diese organische Ursachen, kann symptomatisch behandelt werden, geht die Störung hingegen auf psychische Ursachen zurück, kann eine Psychotherapie helfen.
Bei bis zu 90 Prozent der Multiple-Sklerose-Patienten tritt das Fatigue-Syndrom, eine starke Erschöpfung und Müdigkeit, als Begleiterscheinung auf. Dies schränkt die Patienten in Alltag deutlich ein und verringert ihre Lebensqualität. Hier können verschiedene Medikamente, moderates Ausdauertraining im Freien und eine klare Strukturierung des Tagesablaufs mit geplanten Pausen entgegenwirken. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie weist darauf hin, dass die Ursachen der Fatigue bis heute nicht abschließend erforscht sind, was eine Therapie erschwert. Auch depressive Symptome können sowohl zu Beginn der Erkrankung als auch im Verlauf auftreten. Sie lassen sich je nach Schweregrad mit Psychotherapie oder Antidepressiva behandeln.
Multiple-Sklerose-Patienten wird neben einem gesunden Lebensstil auch eine ausgewogene Ernährung empfohlen. Hierzu zählt etwa das regelmäßige Essen von Fisch, das entzündliche Prozesse verlangsamen soll, wenig Fleisch und tierische Fette sowie viele pflanzliche Lebensmittel, Obst und Gemüse.