Seit Beginn der Pandemie stieg die Nachfrage nach Pflegekräften dramatisch an. Nun werden vermehrt Kräfte aus dem Ausland angeworben. Laut Rüdiger Linsler und Dietmar Mautes, die die Pflegeschule EFSA leiten, ist das nicht immer einfach.
Herr Linsler, das Anwerben von Pflegekräften ist Ihr Job. Seit 2016 leiten Sie als Geschäftsführer die EFSA, eine international ausgerichtete Fachschule für Pflege, und bieten Schülern aus der ganzen Welt eine Ausbildung im Pflegebereich an. Wie kommen diese Kontakte mit den potenziellen Azubis zustande?
Rüdiger Linsler: Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, an die potenziellen Bewerber heranzukommen. Wir arbeiten regelmäßig mit dem Arbeitskräftevermittler Human Resources International zusammen. Auch Mundpropaganda spielt eine große Rolle. Wenn jemand zum Beispiel aus Bosnien-Herzegowina, Marokko, China, Ukraine, Vietnam oder Georgien bei uns seine Ausbildung zum examinierten Altenpfleger erfolgreich absolviert hat, teilt die Person natürlich diese positive Erfahrung mit ihren Freunden und Verwandten im Heimatland. Daraus können sich weitere Schüler generieren lassen, die sich durch diese Empfehlung dann direkt bei uns melden und nach einem Ausbildungsplatz fragen. Darüber hinaus stehen uns Kooperationspartner, die ihre Wurzeln im Ausland haben, zur Seite. Diese Kontakte sind mit der Gründung der EFSA entstanden und seitdem stetig gewachsen. Die Vermittler kennen unsere Ansprüche und Voraussetzungen und schlagen uns potenzielle Bewerber vor. Anschließend, wenn wir alle benötigten Unterlagen – wie zum Beispiel den Schulabschluss der möglichen Bewerber – geprüft haben, führen wir persönliche Gespräche über Skype. Diese laufen übrigens immer unterschiedlich ab, damit die Bewerber keine stereotypen Antworten auswendig lernen können. Das ist insofern wichtig, weil das Bestehen der Prüfungen zum examinierten Altenpfleger – und nun auch für die neue generalistische Ausbildung – ein deutsches B2-Sprachniveau, also ein gehobenes Sprachniveau, voraussetzt und wir letztlich möchten, dass die Schüler die Ausbildung auch erfolgreich absolvieren. Wenn alle Voraussetzungen stimmen und insbesondere auch die persönliche Eignung für den Pflegeberuf vorliegt, begleiten wir die Schüler bei der formalen Abwicklung, teilweise auch mit Unterstützung der Kooperationspartner, bis die jungen Menschen dann bei uns angekommen sind und natürlich auch während der gesamten Zeit der Ausbildung. So weit zur Theorie. Die praktische Umsetzung ist dagegen nicht ganz so einfach. Es gibt große Problemfelder, die meiner Meinung nach noch massiv durch die Politik nachgebessert werden müssen.
Was genau?
Linsler: Da wäre zum Beispiel die notwendige Visaverteilung durch die deutschen Botschaften im Ausland beziehungsweise durch die in Drittstaaten außerhalb der EU. Trotz der Pandemie konnten wir dieses Jahr beispielsweise 67 junge Bewerber ins Auge fassen, die sich für die Pflegeausbildung besonders gut eignen würden. Dennoch haben von diesen 67 jungen Menschen nur 25 ein Visum bekommen. Dabei waren die Voraussetzungen der Bewerber ähnlich. Alle hatten einen guten Schulabschluss und solide Sprachkenntnisse. Manche konnten sogar ein Praktikum im Krankenhaus im Heimatland vorweisen. Dennoch wurde eine Visaerteilung durch die entsprechenden deutschen Botschaften im Ausland abgelehnt.
Aus welchem Grund?
Linsler: Das können wir leider auch nicht nachvollziehen. Die Praxis der Ausbildungs-Visaerteilungen in den deutschen Botschaften ist sehr intransparent und scheinbar willkürlich. Zudem ändert sich die Arbeitsweise beziehungsweise Beurteilungsweise von Jahr zu Jahr. Manchmal erhalten im Schnitt zwei von fünf vorstelligen Bewerbern in einer deutschen Botschaft ein Visum und im nächsten Jahr keiner von fünf. Das obliegt der individuellen Sacharbeiter-Entscheidung der jeweiligen deutschen Botschaft im Ausland. Aus der politischen Sicht – vor allem in Hinblick auf den massiven Mangel an qualifiziertem Personal im Pflegebereich – kann ich diese Vorgehensweise überhaupt nicht nachvollziehen.
Werden auch deutsche Schüler ausgebildet?
Linsler: Das ist ein wichtiger Punkt. Zwar akquirierten wir in den ersten Jahren gezielt ausländische Schüler, nehmen aber selbstverständlich – und das möchte ich hervorheben – auch deutsche Schüler. Dieses Jahr konnten wir beispielsweise welche für die Ausbildung gewinnen. Um den Pool an möglichen deutschen Bewerbern zu erweitern, haben wir zum Beispiel alle 128 Gesamt-, Real-, und Gemeinschaftsschulen im Saarland angeschrieben mit dem Inhalt, dass wir sehr gerne die unterschiedlichsten Möglichkeiten des Pflegeberufes und insbesondere auch die Aufstiegschancen im Pflegebereich bei den interessierten Schülern in einzelnen Klassen oder bei interessierten Schülern vorstellen würden. Davon gibt es eine ganze Menge: vom Wohnbereichsleiter hin zur Pflegedienstleitung und Heimleitung oder auch zum Mitarbeiter im zentralen Qualitätsmanagement von Unternehmen. Natürlich werden Pflegekräfte benötigt, die sich direkt um den Menschen vor Ort kümmern, aber es gibt auch sehr viele Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten, um letztlich Karriere in diesem Bereich zu machen, und das möchten wir den Schülern näherbringen. Wir werben auch um den Pflegeberuf in benachbarten Ländern und starten künftig auch mit einer Akquise in Frankreich. Mit dem neuen Pflegeberufegesetz dürfen wir die Ausbildung nun sogar zweimal im Jahr beginnen: Am 1. April und am 1. Oktober eines jeden Jahres. Das ist eine deutliche Verbesserung zu der früheren Pflegeberufeverordnung, nach der die Schüler der Altenpflege nur einmal im Jahr mit der Ausbildung im Saarland starten konnten.
Dabei beschränken sich die Herausforderungen im Bereich Pflege nicht nur auf den Mangel an Bewerbern und Fachkräften. Mit der neuen generalistischen Ausbildung ändern sich auch die Lerninhalte. Herr Mautes, Sie sind der Schulleiter der EFSA. Wird die neue Ausbildung die Situation verkomplizieren?
Dietmar Mautes: Definitiv. Wir haben schon jetzt rückläufige Bewerberzahlen. Nun starten wir mit der Generalistik eine neue Ausbildung, die in der kurzen Zeit massiv an Vermittlung von Wissen gewonnen hat und nur Menschen anspricht, die auch kognitiv in der Lage sind, diese anspruchsvolle Ausbildung bewerkstelligen zu können. In anderen Ländern ist der Pflegeberuf mit einem Studium verbunden, das Studium beträgt dabei vier Jahre. Bei uns hat der Gesetzgeber – trotz der Empfehlung der Fachleute, diese neu geregelte Ausbildung mit hohen Anforderungen auf vier Jahre auszulegen – daraus eine dreijährige Ausbildung gemacht. Die Erhöhung des Anspruches der Ausbildung durch das neue Pflegeberufegesetz wird den Pool an möglichen Bewerbern noch weiter verringern. Vor dem Hintergrund des stetig steigenden Fachkräftemangels in der Pflege in Deutschland und auch der Tatsache, dass zunehmend immer mehr Menschen eine Pflege in Einrichtungen benötigen, ist dies eine echte Herausforderung. Der große Vorteil von Deutschland ist das Bestehen eines dualen Ausbildungssystems. Das heißt, die Ausbildung beinhaltet Praxiseinsätze in unterschiedlichen Bereichen und Theorie, während in vielen anderen Ländern – nehmen wir zum Beispiel Frankreich – eine rein verschulte Ausbildung angeboten wird. Damit fällt der Praxisanteil in Frankreich beispielsweise wesentlich geringer aus, als es in Deutschland der Fall ist. Das steigert natürlich die Qualität der deutschen Ausbildung, schreckt gleichzeitig aber viele Bewerber ab, die sich für diese Ausbildung eignen würden. Zum Glück sind unsere Bewerber, was das Schulische, aber auch die innere Reife angeht, auf einem sehr hohen Niveau. Das Durchschnittsalter liegt bei uns bei 25 Jahren, einige können schon einen Abschluss im Pflegebereich im Ausland vorweisen.
Was passiert eigentlich mit den Schülerinnen, die schon eine abgeschlossene Ausbildung haben? Können sie direkt in den Einrichtungen eingesetzt werden?
Mautes: Wenn es sich dabei um Nicht EU-Länder handelt, dann gibt es für diese Menschen die Möglichkeit, eine Kenntnisprüfung zu absolvieren. Diese Fachkräfte aus dem Ausland sind keine Schüler im eigentlichen Sinne, sie müssen keine klassische Ausbildung mehr absolvieren. Vielmehr müssen sie lediglich noch zusätzliches Wissen vermittelt bekommen, damit sie die staatliche Kenntnisprüfung erfolgreich ablegen können und damit ihre im Ausland erworbene Pflegeausbildung in Deutschland anerkannt wird. Unsere Schule führt jetzt den siebten Vorbereitungskurs zu dieser Kenntnisprüfung durch, in dem junge Menschen, die mit einem Pflegeberuf-Abschluss aus Nicht-EU-Ländern kommen, im praktischen und theoretischen Unterricht auf diese Prüfung vorbereitet werden. In der Regel wird dieser Kurs auf vier Wochen ausgelegt. Aufgrund der Corona-Maßnahmen haben wir nun noch eine Woche angehängt, um eine simulierte Prüfung durchführen zu können und sie damit auf den Ernstfall vorzubereiten. Daher würden wir uns wünschen, dass wir zukünftig auch diese Prüfung hier in der EFSA gemeinsam mit oder für die zuständige Behörde abnehmen können, wie das schon mit der Generalistik-Prüfung der Fall ist. Zurzeit ist das im Saarland aber noch nicht so ganz optimal gelöst. Bisher war die Universitätsklinik Homburg die einzige Stelle, an der diese Kenntnisprüfung abgenommen werden kann. Aus diesem Grund arbeiten wir mit Rheinland-Pfalz und einer anderen Pflegeschule zusammen, von der die Fachprüfer zu uns kommen und hier die Prüfung entsprechend mündlich und praktisch abnehmen. Hierbei stehen wir gerade mit dem Sozialministerium im Kontakt, damit wir künftig diese Prüfungen auch eigeständig abnehmen können.
Linsler: Es wird sehr viel seitens der Politik gemacht, was die Akquise von Fachkräften mit Abschluss im Ausland angeht. Aber die Akquise schon früher anzusetzen, damit viele Menschen aus dem Ausland in Deutschland die Ausbildung absolvieren können und dadurch nach hohem deutschem Ausbildungsstandard den Pflegeberuf zu erlernen, das steckt noch in den Kindeschuhen. Dabei sollte man gerade diese Möglichkeit erkennen und nutzen.
Und wie sieht es mit dem Gehalt im Pflegebereich aus?
Linsler: Leider wird es in der Öffentlichkeit oft so dargestellt, dass die examinierte Pflegekraft weit unter dem üblichen Lohnniveau mit anderen Ausbildungsberufen steht. Das ist aber nicht der Fall. Alleine das Ausbildungsgehalt in der Pflege im ersten Ausbildungsjahr, beträgt im Schnitt knapp 1.100 Euro. Wenn man das mit anderen Ausbildungsberufen vergleicht, wie dem Handwerk beispielsweise, sind diese weit, weit niedriger angesiedelt. Auch das Einstiegsgehalt direkt nach dem Abschluss der dreijährigen Ausbildung liegt bei etwa 2.800 Euro brutto. Im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen ist das gar nicht so schlecht.
Dennoch verdient man im Krankenhaus meistens mehr. Wie kommt diese Gehaltsdifferenz zustande?
Mautes: Die Refinanzierung ist im Krankenhausbereich komplett anders aufgebaut als in der Altenhilfe. Im Krankenhaus müssen zum Beispiel auch weder der Patient, noch die Angehörigen für die Behandlung zusätzlich finanziell aufkommen. In der Altenhilfe dagegen schon, weil die Kosten in diesem Bereich anders refinanziert werden. Alleine in diesem Jahr haben drei unserer Schüler direkt nach ihrem Examen zur Fachkraft in der Altenhilfe eine Anstellung in einem Krankenhaus gefunden. Dabei sind sie mit diversen Behandlungsmethoden in der Erwachsenenpflege gar nicht vertraut. Das spielte für die Krankenhäuser aber keine Rolle, weil der Bedarf auch dort mittlerweile schon so hoch geworden ist, dass diese Wissenslücken durch entsprechende Schulungen nachgesteuert werden. Alleine in der Altenpflege sollen im Rahmen von „Sofortprogramm Pflege" – einem Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – 13.000 Pflegestellen finanziert werden, um jetzt mal eine Zahl zu nennen.
Lassen sich die Fachkräfte im Altenhilfebereich dann überhaupt noch halten?
Linsler: Ja. Die Altenpflege und Krankenpflege sind in der täglichen Arbeit sehr verschieden. In der Altenpflege arbeiten Sie längerfristig mit den gleichen Menschen. Dadurch entsteht zwischen der Pflegekraft und dem Bewohner ein Vertrauensverhältnis, welches sie durch die wechselnden Patienten aufgrund der kurzfristigen Aufenthalte in einem Krankenhaus gar nicht aufbauen können. Das ist der besondere Unterschied zwischen den beiden Bereichen und womit der Bereich der Altenpflege punkten kann. Trotzdem müsste der Bereich der Altenpflege aber finanziell attraktiver gestaltet werden, und hier ist der Gesetzgeber gefragt.
Mautes: Die Pflegekassen müssen nachsteuern beziehungsweise vom Gesetzgeber finanziell besser ausgestattet werden. Die Pflegesätze müssen unter anderem erhöht werden, dies wirkt sich wiederrum auf die Löhne der Pflegekräfte aus.
Linsler: Ja, der Gesetzgeber muss bereit sein, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um in die Pflege alter Menschen zu investieren. Die Refinanzierung in der Altenpflege ist sehr engmaschig gestrickt, und es liegt daher grundsätzlich in der Hand des Gesetzgebers, wenn er eine finanzielle Gleichstellung der Pflegekräfte in der Altenpflege mit denen in der Krankenpflege erreichen möchte. Alle Bereiche der Pflegetätigkeit haben die gleiche gesellschaftliche Wertigkeit. Und dazu gehört auch die finanzielle Wertschätzung der Pflegekräfte in der Altenpflege. Es ist also hier die Politik und nicht zuletzt die Gesellschaft gefragt, was ihr die Pflege alter Menschen wert ist.