Auf dem Papier klingt die Reichweite vieler Elektroautos überzeugend. Fährt man Autobahn oder stellt die Heizung an, ändert sich das schnell. Beim Hyundai Kona soll alles anders sein. Ein Fahrtest.
Das Youtube-Video nimmt den Mund ziemlich voll. „Der Hyundai Kona Elektro auf Reichweiten-Mission" heißt der Clip, den der Hersteller selbst ins Netz gestellt hat. Die „Mission" besteht darin, 1.000 Kilometer ohne Nachladen zu fahren – mit einem Auto, das laut WLTP-Testnorm bis zu 484 Kilometer weit kommt. Schon das wäre beachtlich, aber Hyundai setzt noch einen drauf. „Vom Main an die Côte d’Azur mit einer Batterieladung" könne man es schaffen, heißt es in dem Video. Selbstredend wird das Ziel am Ende erreicht.
Natürlich handelt es sich um einen PR-Gag, denn erstens fand die „Mission" auf einer normierten Teststrecke (Lausitzring) statt. Und zweitens betrug die Geschwindigkeit genau 30 Kilometer pro Stunde. Damit hätte es der Kona in der Realität wohl nicht einmal aus Frankfurt herausgeschafft, ohne von der Polizei angehalten oder von einem Porsche von der Straße gerammt worden zu sein. Doch sei’s drum, der Ton ist gesetzt. Hyundai bewirbt den Kona als kleines Batteriewunder. Wer derart aufträgt, muss sich einen realistischen Test gefallen lassen.
Schick sieht er schon mal aus, eine Mischung aus Kompaktklasse und Geländewagen („Crossover"), zum Glück recht wendig und nicht so wuchtig wie ein Panzer. Dafür wirkt der geschlossene Kühlergrill, bei dem die Lüftungsschlitze nur angedeutet sind, ein wenig ungewohnt. Doch um die Optik geht es nur zweitrangig. Wir wollen den praktischen Nutzen auf einer Fahrt von Nordrhein-Westfalen an die Ostsee testen.
Normreichweite und Realität passen
Bevor es auf die Autobahn geht, fällt der Kofferraum auf: ganz schön klein. Ein mittlerer Rollkoffer, ein Rucksack, eine Laptoptasche und ein Stoffbeutel –
mehr braucht es nicht, um den Stauraum zu füllen. Das liegt daran, dass das Ladekabel unter einem doppelten Boden liegt und dadurch kostbaren Platz wegnimmt. Sicher, man könnte die Rückbank umklappen und den Kofferraum dadurch vergrößern. Im Normalfall ist’s aber erst einmal eng. Oder in Zahlen: Das Volumen beträgt 332 Liter, weniger als beispielsweise beim VW Golf (381 Liter).
Eine positive Überraschung bietet hingegen das Navi: schöne Grafik, großer Bildschirm, leicht zu bedienen. 570 Kilometer beträgt die Strecke von Bonn nach Wismar. Sofort kommt die Warnung: „Akkuladung nicht ausreichend." Einen passenden Ladestopp berechnet der Kona leider nicht – Tesla kann das. Dafür zeigt er alle Strom-Tankstellen in der Umgebung an. Serienmäßig gibt es diesen Service übrigens nicht: Das Navi kostet 1.267 Euro Aufpreis.
Und dann rollt er los, surrend wie eine Stromleitung, was durchaus beabsichtigt ist. Mit diesem Geräusch sollen Fußgänger vor dem herannahenden Auto gewarnt werden. Mit 120 km/h geht es schließlich über die A1. Das Radio läuft, die Heizung ebenfalls, und in der Akku-Anzeige passiert nichts Spektakuläres. Genau das ist bei einem E-Auto eine echte Auszeichnung: Bei vielen Modellen schrumpft die Reichweite zusammen, sobald man die Innenstadt verlässt. Nicht so beim Kona. Nach 255 Kilometern ist die Batterie immer noch zu 40 Prozent voll. Normreichweite und Realität passen also tatsächlich zusammen, was auch an der gut abgestimmten Rekuperation liegen dürfte. Sobald man vom Gas geht, bremst der Kona automatisch ab. Die dabei gewonnene Energie fließt wiederum in die Batterie.
Die erste Pause. Am Autohof Holdorf an der A1 stehen mehrere Strom-Tankstellen zur Verfügung. Zusätzlich hat McDonald’s zwei eigene Schnellladesäulen aufgestellt. Sie sind so neu, dass der Bagger noch danebensteht und sie weder im Navi noch in diversen Handy-Apps verzeichnet sind. Aber sie funktionieren. In diesem Fall dauert die Pause 40 Minuten: Toilette, Essen, E-Mails checken, danach noch einen Tee. Im Anschluss ist der Akku wieder fast voll.
Auch bei den restlichen 315 Kilometern entladen sich die Batterien genauso, wie es der Bordcomputer prognostiziert. Musik, Heizung, Sitzheizung – all das scheint die Reichweite kaum zu tangieren. Dann also eine größere Herausforderung! Schluss mit der Richtgeschwindigkeit, rauf aufs Gas! Mit 170 km/h saust der Kona über die A20; Parkplätze, Klohäuschen und so manches Verbrenner-Auto bleiben auf der rechten Spur zurück. Tatsächlich verändert sich der Akku-Stand jetzt rapide; man kann dabei zusehen, wie die Reichweite verrinnt, was beim Benzinmotor aber nicht anders wäre. Trotzdem sind bei der Ankunft in Wismar noch immer 20 Prozent Restkapazität übrig. Beachtlich.
Ladekabel muss entsperrt werden
Woher die Materialien dieser Wunderbatterien stammen und unter welchen Arbeitsbedingungen sie gewonnen wurden, kann die deutsche Hyundai-Pressestelle auf Nachfrage allerdings nicht beantworten. Ganz unwichtig ist diese Frage jedoch nicht, denn bei allen ökologischen Vorteilen der E-Mobilität ist der Rohstoff-Abbau noch immer eine Schwachstelle. So kommt es vor allem bei der Kobalt-Gewinnung im Kongo zu Ausbeutung und Kinderarbeit, wie eine Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) belegt.
Beim praktischen Nutzen überzeugt der elektrische Kona jedenfalls. Neben dem guten Akku gefällt der Ladeanschluss, der vorne rechts am Kühler untergebracht ist. So lässt sich fast jede Stromquelle gut ansteuern. Nur eine Sache nervt: Während das „Auftanken" an Schnellladesäulen sehr gut funktioniert, muss man bei langsameren Ladesäulen das eigene Ladekabel anstecken. Das ist an sich ganz normal. Nur lässt sich das Kabel vom Auto nicht wieder abziehen, wenn man fertig ist. Im Prinzip ist das gut, weil so kein Fremder das Kabel einfach abziehen kann, wenn das Fahrzeug unbeobachtet ist. Bei anderen Herstellern lässt sich aber das Kabel entfernen, sobald das Fahrzeug offen ist. Beim Kona geht das erst dann, wenn man eine Taste im Innenraum drückt. Nur eine Kleinigkeit, klar – aber ein Ärgernis, das nicht sein müsste.
Alles in allem liefert der Kona eine überzeugende Leistung, vor allem dank der großen Reichweite. Aber die Konkurrenz schläft nicht. Ab 2021 liefert Opel den elektrischen „Mokka" aus, der einen würdigen Wettbewerber darstellt – auch wenn er mit 320 Kilometern nicht ganz so weit kommt wie der Kona.