Noch ist Annegret Kramp-Karrenbauer Vorsitzende der Union. Eigentlich sollte damit Anfang Dezember Schluss sein, pandemiebedingt wird es Januar. Die scheidende CDU-Chefin über inhaltliche Akzente, das Selbstverständnis der Partei und die bleibenden Herausforderungen als Verteidigungsministerin.
Frau Kramp-Karrenbauer, Sie waren vor 20 Jahren die erste Landesinnenministerin in Deutschland, und auch danach haben Sie weiter Karriere gemacht – auch ohne offizielle Frauenquote. Dennoch befürworten Sie eine Quote?
Ja, weil ich selbst auch eine Quotenfrau bin. Als ich das erste Mal für den Bundestag kandidiert habe, ist das nur zustande gekommen, weil es auf der Liste um einen Frauenplatz ging. Quote räumt eine Chance ein, nicht mehr und nicht weniger. Diese Chance muss man ergreifen – das habe ich in meinen politischen Ämtern bisher immer getan.
Eine dieser Chancen war sicherlich auch Ihr Wechsel aus dem Saarland ins Konrad-Adenauer-Haus. Sieben Jahre waren Sie Ministerpräsidentin des Saarlandes, 2017 erst Ihre Wiederwahl mit dem Rekordergebnis von 40,7 Prozent. Dennoch gingen Sie als Generalsekretärin der CDU Deutschland nach Berlin. Ist Ihnen der Abschied aus dem Amt schwergefallen?
Ich war sehr gerne Ministerpräsidentin des Saarlandes – natürlich ist es mir schwergefallen. Wir hatten auch gemeinsam als Regierung wichtige Erfolge. Unter anderem konnten wir die finanzielle Absicherung, eine der Existenzfragen des Saarlandes, erfolgreich verhandeln. Mit der „Frankreichstrategie" haben wir etwas auf den Weg gebracht, was das Saarland nach vorne bringt. Ich konnte in dem Moment das Land guten Gewissens verlassen, weil diese große Frage ausverhandelt und die Regierung in einem stabilen Zustand war. Insofern war das die Abwägung, die mich dann auch dazu gebracht hat, zu sagen: Okay, ich kann es riskieren und gehen!
Als eine der ersten Amtshandlungen als neu gewählte Generalsekretärin der CDU haben Sie die Zuhör-Tour gestartet und sind in diesem Rahmen mit einer Vielzahl von CDU-Mitgliedern in den Dialog getreten. Was ist aus den Ergebnissen geworden?
Aus der Zuhör-Tour ist ganz konkret der Entwurf des Grundsatzprogramms der CDU geworden. Ausgehend von der Zuhör-Tour haben sich bis heute rund 5.000 Parteimitglieder an diesem Prozess beteiligt. Aus den Fragen sind Leitfragen entstanden, die wir auf dem Parteitag verabschiedet haben. Jetzt haben wir die Antworten in Form des Entwurfs auf dem Tisch liegen. Eigentlich war für den Sommer 2020 die Antwort-Tour geplant, auf der wir den Parteimitgliedern Rede und Antwort stehen wollten, was nun aus ihren Fragen geworden ist. Das verschiebt sich jetzt alles wegen Corona, da wir die Tour nicht wie vorgesehen organisieren konnten. Aber ich hoffe, dass der Prozess im nächsten Jahr abgeschlossen werden kann.
Hat die CDU die Basis davor ein wenig aus den Augen verloren?
Natürlich hat sich die CDU als Regierungspartei gerade in den vergangenen Jahren – zuerst die Wirtschafts- und Finanzkrise, danach die große Herausforderung mit den Flüchtlingen – sehr stark auf die Regierungsarbeit konzentriert. Nicht nur hier in Berlin, sondern auch dort, wo wir auf der Landesebene Verantwortung tragen. Insofern hat es der CDU sehr gut getan, sich auch noch mal mit den grundsätzlichen Fragen, die sie als Partei ausmacht, zu befassen. Die Zuhör-Tour war dafür eine gute Möglichkeit und ein gutes Ventil.
Der Parteitag in Hamburg war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Friedrich Merz und Ihnen. Für viele war er aber auch Sinnbild einer innerparteilichen Spaltung der Union.
Es war ein harter Wettkampf auf dem Parteitag 2018, und wir hatten am Ende eine fast Pari-Pari-Entscheidung. Dazu kamen damals die Auseinandersetzungen und die Konflikte zwischen CDU und CSU. Es ist uns aber in den vergangenen zwei Jahren gelungen, die CDU wieder zusammenzubringen und ein besseres Verhältnis zur CSU zu organisieren. Trotzdem haben wir aber gesehen, wie sehr es uns schadet, wenn auch nur der Eindruck entsteht, die Union sei nicht geschlossen. Deswegen ist es jetzt so wichtig, dass bei der kommenden Entscheidung über den Parteivorsitz auch noch einmal klar wird: Es ist ein fairer Wettbewerb. Es muss auch noch mal deutlich werden, dass wir unabhängig davon, wie die Wahl im Dezember ausgehen wird, danach alle in einem Team daran arbeiten werden, dass das kommende Wahljahr gelingen kann.
Oft hört man, dass die CDU in den vergangenen Jahren eine „Sozialdemokratisierung" erlebt habe. Stimmen Sie dem zu?
Ich habe davon noch nie etwas gehalten. Wenn damit gemeint ist, dass die CDU Politik für den macht, der morgens aufsteht, seine Kinder zur Schule bringt und sich abends im Ehrenamt engagiert, also für die große Mehrheit der Bevölkerung, dann empfinde ich das eher als ein Ausdruck von Qualität unserer Politik. Mir ist es ganz wichtig, dass wir als Volkspartei deutlich machen, dass es nicht die eine Gruppe gibt, um die wir uns kümmern, und die anderen, die wir aus den Augen verlieren. Unsere Aufgabe als CDU ist es, ein Angebot an alle zu machen.
Aktuell sind Sie auch Bundesverteidigungsministerin. Die Bundeswehr gilt Kritikern seit geraumer Zeit als nicht einsatzfähig, es mangelt an Ressourcen …
Gerade mit Blick auf die Motivationslage unserer Männer und Frauen gibt es bei der Frage um die Einsatzbereitschaft und den Einsatzwillen gar keine Abstriche zu machen. Richtig ist, dass die Bundeswehr über viele Jahre darunter gelitten hat, dass ihr finanzieller Spielraum immer enger geworden ist. An ihr ist viel gespart worden, weil wir mit dem Ende des Kalten Krieges alle dachten, der Frieden sei da, und Sicherheit gebe es sozusagen von selbst. Mit dem Einmarsch und der Annexion der Krim haben wir alle miteinander – auch in der Nato – gesehen, dass das nicht der Fall ist. Seitdem arbeiten wir alle daran, dass die Bundeswehr auch wieder stetig und verlässlich mit mehr Geld ausgestattet wird. Das ist keine einfache Aufgabe. Es ist wie immer im Leben: Man hat schneller etwas abgebaut, als dass man es später wieder aufgebaut hat. Dazu müssen wir unsere eigenen Verfahren besser machen, in der Bundeswehr und in der Verwaltung. Dazu müssen wir aber auch mit der Industrie besser zusammenarbeiten, und auch die Industrie als solche muss besser arbeiten. Das ist ein ganz dickes Brett, an dem wir bohren. Wir sind in Teilen aber auch schon deutlich besser geworden als das Bild, das sich im ein oder anderen Kopf immer noch sehr hartnäckig hält.
Auch innerhalb der Bundeswehr scheint vieles im Argen zu liegen, Stichwort KSK. Wie gehen Sie damit um?
Die absolute Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr, auch die bei den Spezialkräften, also auch beim KSK, steht uneingeschränkt zum Grundgesetz und zu seinen Werten. Sie sind in einer ganz besonderen Art und Weise diesen Werten verbunden, denn sonst würden sie einen solchen Dienst nicht antreten. Diesen Soldatinnen und Soldaten sind wir es schuldig, die wenigen, die sich verfassungsfeindlich verhalten, aus der Bundeswehr zu entfernen. Das gilt für das KSK, das gilt aber auch für die Bundeswehr insgesamt. Deswegen haben wir sehr deutlich gemacht, dass wir Verfassungsfeinde in unseren Reihen nicht dulden und dass wir alle die stärken, die ohne Zweifel für diese Verfassung eintreten und für sie kämpfen.
Unter Ihrer Leitung wurde das Thema Homosexualität in der Bundeswehr in den Fokus gerückt. Dazu haben Sie nun ein Gesetz geplant …
Wir hatten in der Bundeswehr sehr lange – nämlich bis zum Jahr 2000 – eine strukturelle Benachteiligung von homosexuellen Menschen. Diese Praxis – das habe ich auch ganz deutlich gesagt – war falsch, und ich entschuldige mich bei denjenigen, die darunter leiden mussten. Menschen, die aus dem Dienst entfernt wurden, bei denen es entsprechende Disziplinarverfahren gab oder die andere Nachteile erlitten haben. Wir wollen sie rehabilitieren und ein Stück weit wenigstens symbolisch entschädigen. Dazu bereiten wir gerade einen Gesetzentwurf vor, der hoffentlich in Kürze in die Ressortabstimmung geht und dann als Regierungsentwurf ins Parlament eingebracht wird. Ich hoffe sehr, dass wir in der Lage sind, dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden und dann auch mit der Rehabilitierung und der Entschädigung beginnen können.
Seit Ende dieses Erlasses sind nun 20 Jahre vergangen. Wie wird Homosexualität heute in der Bundeswehr gesehen?
Es ist heute – genauso wie in der gesamten Gesellschaft – ein Stück mehr Normalität. Besonders ist das auch der Entscheidung des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping zu verdanken, die Erlasslage, die im Grunde genommen diese Diskriminierung Homosexueller überhaupt möglich gemacht hat, zu beseitigen. Trotzdem müssen auch wir immer weiter dafür kämpfen, dass in der Bundeswehr alle, die dort arbeiten, die dort ihren Dienst verrichten, erst einmal als das anerkannt werden, was sie sind: nämlich als Menschen. Dass sie danach beurteilt werden, was sie als Soldatinnen und Soldaten leisten, unabhängig von der Frage, welches Geschlecht, welche Hautfarbe sie haben, was sie glauben, wen sie lieben – das ist alles irrelevant. Das wollen wir durchsetzen, aber wie in der gesamten Gesellschaft ist es auch in der Bundeswehr ein Thema, für das man jeden Tag immer wieder eintreten muss. Dafür haben wir auch Organisationen wie QueerBW oder unsere entsprechenden Beauftragten, mit denen wir eng zusammenarbeiten, damit das auch wirklich gelingt.
Bereits kurz nach Ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden hatten Sie ein verpflichtendes Dienstjahr gefordert. Nun konnten Sie sich mit einem Freiwilligen Jahr im Heimatschutz durchsetzen. Ist die Debatte zur Dienstpflicht damit vom Tisch?
Nein. Das Dienstjahr ist ja eine Diskussion, die wir innerhalb der Partei geführt haben. Ich habe auch immer gesagt, das ist etwas, was wir auch jetzt im nächsten Bundestagswahlkampf diskutieren sollten. Ich sehe nach wie vor, dass es ein großes Bedürfnis nach einem solchen Dienst gibt. Über die Frage, ob dieser verpflichtend sein sollte oder freiwillig, kann man diskutieren. Es gibt gute Gründe, dafür oder dagegen zu sein. Ich persönlich glaube, dass eine Pflicht Sinn machen würde. Was wir jetzt als Bundeswehr aufgebaut haben, ist ein zusätzliches freiwilliges Angebot. Wir haben festgestellt, dass wir eine Reihe von jungen Leuten haben, die sich für die Bundeswehr interessieren, die aber sagen, der normale Freiwilligendienst ist ihnen entweder zu lang oder die von der Verpflichtung, ins Ausland zu gehen, abgeschreckt werden. Es gibt viele, die das nicht möchten, sich aber trotzdem in der Bundeswehr für unser Land engagieren wollen. Für sie haben wir dieses neue Angebot gemacht und „Dein Jahr für Deutschland" genannt. Dabei erhält man fünf Monate eine Ausbildung. Die verbleibenden sieben Monate kann man sehr flexibel ableisten – innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren auf einem fest zugewiesenen Dienstposten im Bereich des Heimatschutzes. Ich muss sagen: Wir sind selbst sehr überrascht von der positiven Resonanz. Wir haben im September mit der Bewerbungsphase angefangen und für die Plätze, die wir im nächsten Jahr versuchsweise zur Verfügung stellen, haben sich bereits jetzt viele Frauen und Männer gemeldet. Es gibt also offenbar ein hohes Interesse, sich im Bereich der Bundeswehr zu engagieren.
Ist die Dienstjahr-Debatte in der CDU damit also vielleicht sogar befeuert?
Ich will in meiner Partei auf jeden Fall empfehlen, dass wir das auch zum Gegenstand unseres Wahlprogramms machen. Das Schöne an dieser Debatte ist eigentlich, dass es eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung gibt, wieder einen Dienst zu schaffen, der uns irgendwie noch einmal verbindet. Das ist nicht die klassische Wehrpflicht, die wird so auch nicht noch mal kommen. Dabei geht es ganz sicherlich um einen Dienst, der über die gesamte Breite abgeleistet werden kann, also vom sozialen Bereich über den ökologischen bis zu Sicherheitsfragen. Wie das dann am Ende aussieht, das ist eine andere Frage. Da gibt es unterschiedliche Varianten. Aber es ist erst einmal ein sehr positiver Grundimpuls, den wir auch aufgreifen sollten. Darüber im besten demokratischen Sinne des Wortes, nämlich im Wahlkampf, zu streiten, finde ich eine gute Gelegenheit.
Für welche Art von Demokratie und Politik stehen Sie?
Für eine Politik, die wirklich dem Menschen zugewandt ist. Für mich war immer entscheidend – egal in welchen Funktionen ich bisher tätig war –, dass am Ende auch tatsächliche Verbesserungen für die Menschen standen. Und für einen Politikstil, der versucht, Gegensätze zu überwinden, zusammenzubringen und der auch versucht, zu erklären und transparent zu sein. Denn das scheint mir gerade in der jetzigen Zeit extrem wichtig und ist in der Bedeutung noch gestiegen.
Inwiefern gestiegen?
Wirklich zu erklären, was man tut – und das von Anfang an –, hat an Bedeutung gewonnen. Zum einen durch die Art, wie wir heute kommunizieren, zum anderen aber auch durch die Tatsache, dass in der öffentlichen Diskussion sehr viel mit Fake News und Zitaten gearbeitet wird, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Dadurch entsteht schnell auch ein falsches Bild. Es ist sehr wichtig, von Anfang an deutlich zu machen: Wo steht man in einem Verfahren? Welchen Schritt geht man jetzt? Welche politischen Alternativen gibt es, und warum hat man die eine und nicht die andere gewählt? Je besser wir das von Beginn an machen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch bei sehr umstrittenen Fragen ein Kompromiss am Ende möglich ist.