Als Anton „Toni" Fritschs so erfolgreich gestartete Fußballkarriere stagnierte, versuchte es der Österreicher stattdessen im American Football und gewann den Superbowl.
Lars Ricken kennt es, Mario Götze auch, Jürgen Sparwasser sowieso. Jeder von ihnen sorgte für einen besonderen Moment des Fußballs, um dann erleben zu müssen, wie ihre gesamte Karriere auf eben jenen reduziert wurde. Wenn Sparwasser im Hinblick auf seinen legendären Treffer im einzigen Duell der DDR-Auswahl gegen jene der Bundesrepublik sagt, auf seinem Grabstein müsse nur „Hamburg 1974" stehen, hat er wohl nicht ganz Unrecht. Ricken wiederum erlebte sein Hamburg in München, als er mit seinem ersten Ballkontakt das Champions-League-Finale 1997 zugunsten von Borussia Dortmund entschied, während Götze zum Helden wurde, als er mit seinem Tor in der Verlängerung gegen Argentinien dafür sorgte, dass der WM-Titel 2014 nach Deutschland ging. Persönliche Sternstunden, die jeweils zum Inbegriff ganzer Karrieren wurden. Was darüber hinaus geleistet wurde? Geschenkt. Verschwommen im Schatten eines goldenen Momentes.
Auch Anton Fritsch erlebte einen solchen Moment. 20 Jahre war er alt, als er am 20. Oktober 1965 erstmals für die österreichische Auswahl auflaufen durfte. Das tat er nicht irgendwo. Er tat es in Wembley, jenem Ort, der mit Mythen überfrachtetet ist wie kaum ein anderes Stadion. Eigentlich waren die Österreicher dorthin nur als Aufbaugegner eingeladen, als Sparringspartner der Engländer, die sich für die im Sommer darauf stattfindende Weltmeisterschaft im eigenen Land warmschießen wollten. Es blieb beim Versuch, denn der Gastgeber blamierte sich ordentlich. Die Auswahl der Österreicher gewann mit 3:2 und wurde damit zum erst dritten nicht-britischen Team nach Ungarn 1953 und Schweden 1959, das ein Gastspiel im Mutterland des Fußballs gewinnen konnte. Ganz besonders stolz waren sie in Österreich auf ihren jungen Flügelstürmer, jenen Anton Fritsch, ein unbeschriebenes Blatt von Rapid Wien. Zwei Tore steuerte der Debütant bei. Zwei Treffer, die ihn zum „Wembley-Toni" machten.
Das Jahr 1971 wurde zur Zäsur
In Österreich glaubte man, ein Jahrhunderttalent gefunden zu haben. Jemanden, der in die Fußstapfen einstiger Größen wie Ernst Ocwirk, Franz Binder oder Matthias Sindelar treten konnte. Hollywood ließ grüßen – ein Waisenkind, das den Fußballolymp besteigt. Fast zu schwülstig, um real zu sein. Ein ziemlich großer Rucksack an Erwartungen wurde Fritsch aufgesetzt. Er sollte der Heiland des österreichischen Fußballs werden. Doch Fritschs Entwicklung stagnierte, aus „Wembley-Toni" wurde ein ewiges Talent. Zwar gewann der gebürtige Niederösterreicher mehrfach mit Rapid Wien Pokal und Meisterschaft der Alpenrepublik, doch für eine dauerhafte Karriere in der Nationalmannschaft reichte es nicht. Auf gerade einmal acht weitere Länderspiele brachte es Fritsch, die Treffer gegen England blieben seine einzigen. Fritsch erkannte, dass sein fußballerischer Zenit längst überschritten war und sich die Legende vom „Wembley-Toni" mittlerweile eher als Stigma denn als Ehre erwies. Es nervte ihn, ständig an jenen 20. Oktober 1965 erinnert zu werden und dass diese eine Sternstunde zum Maßstab der ganzen Karriere gemacht wurde. Dazu kam, dass der einst so flinke Offensivmann nach zwei Knieoperationen deutlich an Schnelligkeit eingebüßt hatte.
Das Jahr 1971 wurde für Fritsch zur Zäsur. Während seine Fußballkarriere stagnierte und ausgereizt schien, war der American-Football-Coach Tom Landry in Europa auf der Suche nach einem fähigen Kicker für seine Dallas Cowboys. Landry ist eine Legende der National Football League, fast drei Jahrzehnte betreute er die Cowboys und machte sie zu „America’s Team", der beliebtesten Mannschaft der Vereinigten Staaten. Landry wollte unbedingt einen gelernten Fußballer unter Vertrag nehmen, schließlich bringt ein solcher alle nötigen Fähigkeiten mit – Präzision und Schusskraft. Über einen Mittelsmann fanden Frisch und Landry zueinander und nur ein eilig in Wien organisiertes Probetraining später war sich der Starcoach sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben. Fritsch unterschrieb einen Vertrag bei den Cowboys und schaffte es so, den wachsenden Fußballfrust hinter sich zu lassen. Mit gerade einmal 26 Jahren beendete der Österreicher seine Fußballkarriere, die so glorios begann und startete eine zweite Laufbahn als Kicker im American Football. Eine Reise ins Ungewisse, denn einen Plan seines zukünftigen Jobs hatte Fritsch nicht wirklich, er „hatte vorher weder einen Football noch ein Footballspiel gesehen. Aber ich habe den angebotenen Vertrag, den ich kaum lesen konnte, unterschrieben." Eine sehr lukrative Unterschrift, wie Fritsch Jahre später unumwunden zugab: „Es war vielleicht der beste Kontrakt, den ich jemals gemacht habe. Und er war der Beginn eines neuen Lebens für mich."
Dass er die Regeln seines neuen Sports anfangs gar nicht kannte, spielte keine Rolle. Das Ei musste nur ins Eckige gedroschen werden. Kein Problem für einen ehemaligen Fußballer wie ihn, der nebenbei die Technik auf seiner Position revolutionierte. Bis er in die National Football League kam, war es dort üblich, dass die Kicker fünf Schritte Anlauf nahmen. Fritsch reichten drei Schritte, was um einiges schwerer zu verteidigen ist, da der Defensive damit weniger Zeit bleibt, den Kick zu blocken. Gleichzeitig etablierten Fritsch und andere Kicker mit Fußball-Vergangenheit einen bogenförmigen Anlauf und schossen mit dem Innenspann im sogenannten Soccer-Style. Das sorgte für eine sehr viel größere Präzision als der zuvor praktizierte Vollspannschuss. Kein Wunder, dass nun andere Teams ebenfalls auf ursprüngliche Fußballer setzten. So fand etwa auch Fritschs alter Bekannter Anton „Toni" Linhart seinen Weg in die National Football League. Linhart war wie Fritsch österreichischer Nationalspieler, bevor er für die New Orleans, die Baltimore Colts und die New York Jets gegen das Ei trat.
Schon in seiner ersten Saison im neuen Sport erfüllte sich Fritsch im Januar 1972 mit einem Sieg gegen die Miami Dolphins einen Traum, den nur wenige Österreicher träumen, Amerikaner allerdings umso mehr – den Gewinn des Superbowls. Insgesamt 13 Jahre verbrachte „Wembley-Toni" in der NFL, spielte neben den Cowboys auch für die San Diego Chargers, Houston Oilers und New Orleans Saints. Zu einem zweiten Superbowl-Ring reichte es zwar nicht, trotzdem gilt er nach wie vor als einer der besten Kicker der NFL-Geschichte. Er blieb auch nach dem Ende seiner Footballkarriere in den Staaten und lebte fortan in Houston. Unbedingt absehbar war das 1971 noch nicht, wie sich Fritschs Witwe Sonja Jahrzehnte später gegenüber dem österreichischen Web-Portal „Laola1.TV" erinnert: „Ich habe ja nicht einmal gewusst, was Football ist. Aber ich mag es, wenn man etwas Neues probiert. Ich finde, man muss im Leben Dinge ausprobieren. Und wir hätten ja jederzeit zurückkehren können. Wir haben das Apartment in Wien nicht aufgegeben." Noch immer lebt sie in Houston und ist längst US-Staatsbürgerin.
Nach der Karriere blieb er in den USA
„Wembley-Toni" selbst wollte den US-Pass wiederum nicht. Zu sehr war er seiner Herkunft verbunden und verbrachte regelmäßig Zeit in Wien. Nicht zuletzt, um seinem Herzensverein Rapid immer wieder zu beehren. Fritschs Sohn Hans kann sich noch gut an das Schwärmen seines Vaters über Rapids Heimatviertel erinnern: „Er hat immer gesagt: ‚Hütteldorf! Hütteldorf! Du musst einmal nach Hütteldorf gehen!‘" Fritsch blieb stets ein gern gesehener Gast bei Rapid. Er wusste stets, was er dem österreichischen Rekordmeister zu verdanken hatte, dem er sich 1957 angeschlossen hatte. Nach dem Tod seiner Eltern im Jahr darauf wurde der Club zu Fritschs Ersatzfamilie und Vereinsikone Robert Körner zu seinem Mentor. Im September 2005 wollte Fritsch mal wieder bei seinem Herzensclub vorbeischauen. Es hatte sich ein ganz besonderes Spiel ausgesucht, in der Champions League empfingen die Grün-Weißen den FC Bayern. Doch am Tage, als er sich die Karte für dieses Spiel auf der Rapid-Geschäftsstelle abgeholte hatte, versagte Fritschs Herz. Er starb auf offener Straße.