Die Gasthäuser bleiben im zweiten Lockdown geschlossen, doch im Gegensatz zum Frühjahr werden nun vielerorts auch die Mitnahmeangebote nur spärlich angenommen. Für viele Gastronomen eine Katastrophe.
Alle hatten es geahnt, doch niemand wollte es so recht wahrhaben. Zum 2. November verkündeten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten die erneute Schließung der Gastronomie. Die Infektionszahlen stiegen im Oktober in bisher nie gekannte Höhen. Natürlich musste etwas geschehen. Doch gleich die Gastronomie wieder schließen? Selbst das Robert-Koch-Institut hatte den Gastronomen doch zuvor bescheinigt, dass ihre Sicherheitskonzepte griffen. Nur zwei Prozent der Ansteckungen in den vergangenen Monaten hatten demnach dort ihren Ursprung, so das Robert-Koch-Institut.
Ich habe in den vergangenen Monaten mit vielen Gastronomen gesprochen. Die überwiegende Meinung war, dass der Sommer insgesamt gut gelaufen war – trotz Corona. Viele sagten, dass das gute Sommergeschäft ein Segen war, denn der Frühling mit der langen Schließung hatte große Löcher in die Kassen der Betriebe gerissen. Natürlich konnte man diese Verluste nicht mehr ausgleichen, doch hätten wir einen verregneten Sommer mit weniger Umsatz gehabt, hätte das wohl bereits das Aus für den einen oder anderen Betrieb bedeutet.
Umso härter trifft die Entscheidung eines zweiten Lockdowns viele gastronomische Betriebe. November und Dezember sind in der Regel umsatzstarke Monate in der Gastronomie. Das geht schon Mitte November mit der Martinsgans los, die mancherorts eine ganze Woche angeboten wird. Danach beginnen dann meist schon die Weihnachtsfeiern. Beides bedeutet in der Regel einen guten Monatsumsatz für die Wirte.
Am Bostalsee, in Bosen, steht das Hotel Merker. „Überrascht waren wir nicht", ist von dort zu hören. Der erste Lockdown und die Zeit danach waren eine Herausforderung: Hygienekonzepte, Gäste erreichen, Personalveränderungen. Mit Unterstützung vom Dehoga und der Tourist-Info konnten wir starten, Veränderungen im Personal jedoch blieben." Der Sommer verlief für viele völlig neu, auch für Merker: „Während der Eventbereich komplett eingebrochen ist, kam uns der Umschwung auf dem deutschen Reisemarkt zugute. Urlaub im eigenen Land hat uns in den Ferienmonaten die Umsätze ermöglicht, die wir dringend benötigten. Auch der À-la-carte-Bereich lief wieder gut, bis wir zum Risikogebiet erklärt wurden. Im Frühjahr hatten wir so gut wie keine Fälle in der Gemeinde, plötzlich waren Freunde positiv getestet in Quarantäne. Selbst der Sohn des Hauses mit seiner Familie – zum Glück negativ."
Kurzarbeitergeld oft zu niedrig
Die Folge: „Die Gäste blieben zu Hause und der Lockdown light erreichte uns zwei Wochen vor den offiziellen Maßnahmen. Danach griffen alle Rädchen, der Dehoga informiert täglich, der Staat verspricht Unterstützung und wir haben unser To-go-Konzept wieder aktiviert. Unternehmerisch stehen wir stabiler da als im Frühjahr, was aber nicht für unsere Mitarbeiter gilt. Kurz vor Weihnachten in die Kurzarbeit, kein Trinkgeld, kein Minijob – hier ist dringend Handlungsbedarf von oberster Stelle nötig, denn uns sind mit geschlossenen Türen die Hände gebunden."
Der Zeitpunkt für die erneute Zwangsschließung kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt und zerstört so manche Hoffnung. Denn viele wissen: Wenn das Weihnachtsgeschäft normal läuft, sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Doch diese Frage stellt sich jetzt wohl nicht mehr. An Lockerungen ist derzeit angesichts der Infektionszahlen nicht zu denken. Der Überlebenskampf ist eröffnet!
Die Bundesregierung will den Gastronomen helfen. Bis zu 75 Prozent des letztjährigen Novemberumsatzes soll den Betrieben erstattet werden. Bei einigen kam das gut an, sie schlossen ihre Läden ganz, denn Umsätze durch das Außer-Haus-Geschäft werden von diesem Betrag abgezogen. Bis Mitte November ist allerdings noch kein Geld da. Viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind auch mit dem Kurzarbeitergeld von 60 Prozent nicht zufrieden. 60 Prozent von 2.000 Euro brutto und ausfallende Trinkgelder stellen manche Arbeitnehmer vor die Frage: Wie soll ich meine Familie ernähren, und wie soll ich so unsere Miete bezahlen? Hier müsste seitens der Bundesregierung dringend nachgebessert werden. Bei 80 oder 90 Prozent Kurzarbeitergeld lässt sich das ganz anders darstellen.
Appell an Kunden: „Ohne Euch sind wir verloren"
Am Rande des Nauwieser Viertels, in der Martin-Luther-Straße, liegt das nordafrikanische Restaurant „Al Kasbah". Im Körper des Besitzers Abdu wohnen zwei Seelen – eine afrikanische und eine deutsche. Deshalb sind die beiden Gasträume völlig unterschiedlich gestaltet: einer wie in Deutschland und einer afrikanisch. Dazu bietet Abdu normalerweise so manche Kulturveranstaltung in seinem Haus an. Doch Künstler waren die wahren Verlierer der Pandemie in diesem Jahr. Kunst ist in Deutschland nicht systemrelevant, und so konnten sie in den vergangenen Monaten schauen, wo sie blieben. Hier muss seitens der Politik dringend etwas geschehen.
„Ohne Kultur ist die Martin-Luther- Straße still. Kaum erholt, wieder k.o. geschlagen. Trotzdem geben wir nicht auf", lässt sich Abdu nicht unterkriegen. „Seit März kämpfen und überlegen wir, wie wir unsere Kulturküche weiter erhalten. Wir bieten Essen zum Mitnehmen." Und er startet einen Aufruf: „Liebe Gäste und Freunde, wir sind auf euch angewiesen! Wir bedanken uns im Voraus für eure Unterstützung. Ohne euch sind wir verloren. Wir bieten marokkanische Küche für Veganer, Vegetarier, aber auch mit Fleisch. Ebenso Menüs für Familien und Freunde. Rufen Sie uns an und äußern Sie uns ihre Wünsche, damit wir Ihnen Vorschläge machen. Zum Beispiel: Weihnachtsessen oder Familienessen oder Essen mit Freunden. Vielen Dank für die Unterstützung und bleiben Sie gesund." Es ist ein lauter und verzweifelter Hilferuf. Und so geht es derzeit vielen Gastronomen und all denen, die mit an der Gastronomie hängen.
Ich gehe durch die Mainzer Straße in Saarbrücken. Gegenüber von Edeka-Lonsdorfer liegt das italienische Restaurant „Cantina Calabrese". Im Edeka-Markt bietet übrigens die St. Arnualer „Linde" Essen zum Mitnehmen an. Der Kreativität der Gastronomen sind in solchen Zeiten keine Grenzen gesetzt. Wenn ein Konzept klappt, ist es gut! Ich besuche Andrea und Laura Runco in ihrer kleinen Trattoria. Sie verkaufen ihr Essen jetzt am Fenster. „Es ist sehr viel weniger geworden", erzählt Andrea Runco. „Viel ist es nicht. Es regnet, und es ist kalt. Viele Leute trauen sich angesichts überall steigender Zahlen nicht her. Abends ist es etwas besser, das Mittagsgeschäft allerdings ist zusammengebrochen." „Beim ersten Lockdown hatte die ‚Cantina Calabrese‘ noch viel am Fenster verkauft. Das war aber im Mai, als die Sonne schien. „Auch danach brummte die Bude wieder, wir hatten an vielen Abenden das Haus voll. Jetzt bin ich mit meiner Frau Laura alleine hier. Es kommen nur wenige Leute!"
Winter birgt Gefahr eines großen Gastrosterbens
Wohl ein Grund, warum manche Gastronomen ihre Läden ganz abgesperrt haben. Das Umstellen von Abhol- oder auch Lieferservice ist eine andere Geschäftsidee, als ein Wirtshaus zu betreiben. Manch klassischer Lieferservice brauchte Jahre, bis der Laden vernünftig lief. Je mehr Restaurants dies anbieten, umso schneller ist der Markt übersättigt. Dazu kommt, dass manche Gäste schlicht keinen Lieferservice annehmen. Sie wollen den Restaurantbesuch als Event. Alles nicht so einfach …
Mein Weg führt mich auf die andere Saarseite nach Alt-Saarbrücken. Ich besuche Familie Skopljanac in ihrem Gasthaus „Ivica" in der Altneugasse. Bei ihnen verkehren schon seit Jahren viele Nachbarn, die ihr Essen nach einem Plausch am Tresen auch mal mit nach Hause nehmen. Doch auch hier eher Ernüchterung: „Wir bieten an, das Essen abzuholen. Von 12 bis 20 Uhr, durchgehend. Wir haben derzeit etwa zehn Essen auf der Karte, die wöchentlich wechselt. Jeden Samstag wird gegrillt, auf dem Holzkohlengrill mit Buchenholz. Dann gibt es auf Vorbestellung beispielsweise Spanferkel, Lamm, Spießbraten, Hähnchen oder Kalbsbraten. Der Samstag läuft gut, die Woche über hingegen ist es sehr, sehr ruhig."
Die genannten Gastronomen und viele andere mehr tun alles, um Kontakt zu ihren Gästen zu halten. Doch es bleibt die Frage, wie lange sie so durchhalten können. Auf die Gastronomie wird ein harter Winter zukommen. Ich kann nur hoffen, dass im April noch alle da sein werden. Aber es besteht die große Gefahr, dass die Gastronomie- und Kulturszene in unserem Land nach dem Winter nicht mehr die gleiche sein wird.