Robert Lewandowski schießt beim FC Bayern Tore, Tore, Tore. Und lebt doch immer mit Widersprüchen. Für die einen ist er der aktuell beste Stürmer und sogar beste Fußballer der Welt. Andere finden viele Kritikpunkte. FORUM untersucht diese.
Es gibt sie immer noch: Die Nörgler, die behaupten, dass Robert Lewandowski gar nicht so überragend sei. Er spiele eben im Sturmzentrum der besten Mannschaft Europas, vielleicht sogar der ganzen Welt. Und da schieße man eben viele Tore. Da würden auch klassische Zweitliga-Stürmer wie Simon Terodde zweistellig treffen.
Das mag sogar stimmen. Dennoch ist Robert Lewandowski schon noch etwas mehr als einfach nur ein Knipser. Das belegte zuletzt eine Statistik vom Bundesliga-Auswärtssieg der Bayern beim 1. FC Köln (1:2). Trainer Hansi Flick hatte den Polen zu einer Verschnaufpause überredet, die der eigentlich als ehrgeiziger Allesspieler bekannte Lewandowski mit Blick auf das gerade besonders herausfordernde Programm letztlich annahm. Ihn ersetzte Eric-Maxim Choupo-Moting, WM-Teilnehmer mit Kamerun und gerade vom Final-Gegner in der Champions League, Paris Saint-Germain, nach München gekommen. Choupo-Moting hatte in 63 Minuten 16 Ballkontakte, also etwa alle vier Minuten einen. Lewandowski hatte vier Tage zuvor in einem ähnlich gelagerten Spiel bei Lokomotive Moskau (1:2-Auswärtssieg) in 90 Minuten 43-mal den Ball. Demnach im Schnitt alle zwei Minuten. Er ist also deutlich mehr ins Spiel eingebunden.
Für einen Stürmer ist er gut ins Spiel eingebunden
„Ich möchte kein Stürmer sein, der 90 Minuten im Strafraum auf den Ball wartet. Ich möchte den Ball nicht nur zehnmal pro Spiel bekommen. Das reicht mir nicht", sagte Lewandowski vor einigen Monaten dem britischen „Guardian". „Ich möchte Teil des Teams, Teil des Spiels sein, ich möchte mich bewegen und passen, nicht nur warten." Sein letztjähriger Bayern-Mitspieler Philippe Coutinho schwärmte: „Es ist falsch, sein Spiel nur auf Tore zu reduzieren. Er beginnt das Pressing und öffnet sich ständig für Pässe in den Lauf, womit er Raum für die Mitspieler schafft."
Das relativiert dann auch wieder das zweite Argument seiner Kritiker: dass Lewandowski in den wichtigen Spielen selten trifft, vor allem nicht zum 1:0. Das bestätigt sogar die Champions-League-Endrunde des Vorjahres. Beim 8:2 gegen Barcelona schoss er erst das 6:2, beim 3:0 im Halbfinale gegen Lyon den letzten Treffer, beim 1:0 gegen Paris im Endspiel erzielte Kingsley Coman das Tor. Doch gegen Barca bereitete „Lewy" das 1:0 vor, gegen Lyon das 2:0. Und gegen die These spricht auch seine Treffsicherheit im Bundesliga-Hit gegen seinen Ex-Club Borussia Dortmund. In 13 Duellen traf er insgesamt 17-mal. Eine unglaubliche Quote im Highlight-Spiel jeder Saison.
Bleibt noch der dritte und letzte Kritikpunkt an Lewandowski: dass er zu viele Großchancen vergebe. Dieser lässt sich schwer bestreiten. Zu oft wirkt Lewandowski trotz seines Ehrgeizes fahrig, oft führt er Tabellen der ausgelassenen Großchancen an. Der absoluten sowieso, weil er als solch starker Spieler in einer solch starken Mannschaft eben ganz viele Großchancen hat und davon auch mal welche nicht nutzt. Aber kurioserweise auch oft die der prozentual ausgelassenen Großchancen. Dies ist ein Kritikpunkt am 32-Jährigen, der definitiv bestehen bleibt.
Dennoch sind sich fast alle Experten einig, dass Robert Lewandowski ein nicht nur guter, sondern herausragender Stürmer ist. Nach Gerd Müller wohl der beste, den der FC Bayern je hatte. Und aktuell einer der besten der Welt. Für viele sogar der beste überhaupt. Für Lothar Matthäus zum Beispiel. „Lewandowski hat eine sensationelle Torquote, er ist mannschaftsdienlicher geworden und zu einer Führungspersönlichkeit gereift", sagte der Sky-Experte und deutsche Rekordnationalspieler. „Er ist für mich nun der beste Fußballer der Welt."
In 327 Bundesliga-Spielen an 316 Toren beteiligt
Zu „Europas Fußballer des Jahres" wurde er auch offiziell schon gewählt. Und das mit riesigem Abstand. Mit 477 Punkten erhielt er bei der Wahl mehr als fünfmal so viele Punkte wie der für Manchester City spielende Ex-Wolfsburger Kevin de Bruyne auf Rang zwei (90). „Es bedeutet mir viel, dass ich diese Trophäe in der aktiven Zeit von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo gewinnen konnte", sagte Lewandowski. Für Hansi Flick ist er „der beste Stürmer, den ich kenne". Messi und Ronaldo hätten „andere Qualitäten", sagte Flick, lobte aber Lewandowskis Rolle als „Leader, der vorangeht" und stellte klar: „Als Nummer 9 musst du Tore machen. Und die macht er."
In der Tat. In 327 Bundesligaspielen war er an 316 Toren direkt beteiligt, 237 davon erzielte er. In 93 Einsätzen in der Champions League war er bei 92 Treffern Schütze oder Vorlagengeber, in 114 Länderspielen für Polen bei 85. In der vergangenen Saison war er nicht nur Torschützenkönig der Bundesliga mit 34 Toren, zum dritten Mal in Folge und zum fünften Mal insgesamt. Er war mit 15 Treffern auch Schützenkönig in der Champions League und mit sechs Treffern auch im DFB-Pokal. Das ist schon perfektionistisch.
Aber es geht eben auch nicht nur um die Anzahl von Toren. „Die Art und Weise, wie er die Tore erzielt, ist phänomenal", sagte Nationalspieler Ilkay Gündogan, der mit Lewandowski in Dortmund zusammenspielte. Für ihn ist der Pole „der derzeit beste, kompletteste Stürmer auf der Welt". Und das „komplett" ist der entscheidende Fakt: Lewandowski ist nicht nur eine eiskalte Tormaschine. Er ist spielerisch gut, er ist schnell, man kann mit ihm kombinieren, er ist kopfballstark. Und er ist immer topfit. Was an seiner Einstellung liegt. „Er ist einer der professionellsten Fußballer, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Er isst, schläft und trainiert so, damit dies einen maximalen Nutzen für den Fußball hat", lobte der frühere Bayern-Trainer Pep Guardiola. „Er ist nie verletzt – alles dank der Rücksicht auf die richtige Ernährung und die Vorbereitung auf Spiele."
Das liegt wiederum am Einfluss von Roberts Frau Anna. „Ich habe das Glück, dass meine Frau eine Ernährungsexpertin ist. Sie weiß, was ich essen und welche Vitamine ich nehmen soll", erzählte Lewandowski mal. In Dortmund hat er sogar die gesamte Mannschaft damals mit dem Ernährungs-Bewusstsein angesteckt. „Ich habe den Jungs einmal gesagt, dass ich mein Essen verändert habe. Sie wurden neugierig. Ihre Frauen begannen, Anna anzurufen. Fast die gesamte Mannschaft hat ihre Ernährung umgestellt", berichtete er. Seit Kurzem hat der Perfektionist sogar einen eigenen Schlaf- und Erholungstrainer. Dieser riet Lewandowski unter anderem, für erholsamen Schlaf jegliches Licht im Schlafzimmer zu löschen. Und vor allem, auf der linken Seite zu schlafen, weil er Rechtsfuß ist.
Lewandowski hat einen Schlaf- und Erholungstrainer
Für den FC Bayern gibt es letztlich auch noch einen ganz anderen Faktor. Jahrelang hegte Lewandowski den Traum, für Real Madrid zu spielen. Der FCB schien nur eine Durchgangs-Station. Fast jede Transfer-Periode gab es Gerüchte, Lewandowski wechselte Berater und schien immer irgendwie unzufrieden, dass er nicht zu Real dürfe. Das fußte wohl alles darauf, dass Lewandowski vor seinem Wechsel 2014 zum FC Bayern frühzeitig in München unterschrieb und ihn danach offenbar ein Angebot von Real erreichte. „Er wollte zu Real und vom Vertrag mit den Bayern zurücktreten", sagte sein damaliger Berater Cezary Kucharski laut des polnischen Internetportals „Onet Sport".
Der langjährige Bayern-Profi Dietmar Hamann prophezeite 2019 in seiner Funktion als Sky-Experte: „Ich glaube, dass Lewandowski zum Problem für Bayern München wird." Er meinte „seine Theatralik, sein Abwinken, sein zum Teil lustloses Verhalten auf dem Platz." Deshalb würde er sich „ernsthaft überlegen", ihn abzugeben. Die Bayern verweigerten aber jeden Wechselwunsch. Mit nun 32 scheint sich Lewandowski damit abgefunden zu haben, dass aus dem Traum Real nichts mehr wird. Seitdem spielt er noch stärker, ist enger mit dem Verein verbunden und sieht, wie im Vorjahr, dass er auch hier alle Titel gewinnen kann. Denn beim letzten Münchner Champions-League-Sieg 2013 hatte er ja noch für Final-Gegner Dortmund gespielt. Nun geht es nur darum, wie lange Lewandowski das Niveau wird halten können. Geht es nach ihm, noch fünf oder sechs Jahre. „Alles was ich jetzt tue, mache ich dafür", sagte er mit Bezug auf seinen professionellen Lebensstil. Die Bayern sollten also noch eine Weile Freude an ihm und seinen Toren haben.