Zahlreiche Sehenswürdigkeiten locken Besucher in die ehemalige Kaiser- und Hansestadt Tangermünde. Die gut erhaltene mittelalterliche Stadt dient immer wieder auch als Filmkulisse.
Wer vom brandenburgischen Rathenow kommend die B 188 nach Tangermünde nimmt, für den wird der Weg nicht das Ziel sein. Dass sie flach ist, dafür kann die ganze Landschaft nichts, aber ein wenig Abwechslung würde das Auge schon erfreuen. Stattdessen Monokulturen rechts und links der Piste, genormte Industriewälder zur einen, Maisfelder zur anderen Seite. So zieht es sich, bis nach gut 30 Kilometer eine moderne Stahlbrücke ihren weiten Bogen über die Elbe spannt. Und dann, aus der Ferne schon erkennbar, am anderen Ufer dieses mittelalterliche Städtchen Tangermünde, das seinen Namen von der Mündung des kleinen Flüsschens Tanger in den hier fast schnurgerade dahinfließenden, großen Strom hat. Mit einem Blick erfasst man, dass sich alles Sehenswerte auf die Altstadt dieser ehemaligen Kaiser- und Hansestadt konzentriert, hoch gelegen über der Elbe auf einer eiszeitlichen Endmoräne. Beeindruckender kann eine Stadtkulisse kaum sein, die da plötzlich in die weite Ebene gestellt wurde.
Die Burg, die gewaltige Stadtmauer, die Tore, die Bürgerhäuser und Kirchen – ganz zu Recht titelt das ansässige Tourismusbüro seinen Flyer zur Stadt „Backsteinstolz mit Fachwerkcharme und Elbidyll". Auf engstem Raum gibt es zahlreiche Sehenswürdigkeiten, aber es ist ratsam, sich der Stadt zunächst vom Elbufer aus zu nähern. Denn nur von hier aus erfasst der Fremde die wuchtige Masse einer nahezu vollständig erhaltenen Stadtmauer, die zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert aus Backstein errichtet wurde und bis heute das Gesicht Tangermündes prägt. Ihresgleichen sucht man vergeblich im ganzen Nordosten des Landes. Zwar hielt die Mauer während des Dreißigjährigen Krieges marodierende Truppen nicht von Eroberungen und Plünderungen ab, aber sie zu zerstören oder niederzureißen war schier unmöglich. Tangermünde wurde von unterschiedlichen Heerführern siebenmal erobert, einmal vollständig geplündert, und es waren die Schweden, die 1640 die Burg erstürmten und niederbrannten. Wer nach Tangermünde in kriegerischer oder friedlicher Absicht hineinwollte, musste erst die gewaltige Mauer überwinden oder einen der drei Ein- und Ausgänge benutzen, die mit Pferd und Wagen passierbar waren.
Die Tore in der gewaltigen Mauer sind also die Nadelöhre, um in die Stadt zu kommen. Am imposantesten von ihnen ist noch heute die Roßpforte, die die Altstadt nach Osten zur Elbe hin abschließt. Auch hier mächtiger Backstein, aus dem die spitzbogige Durchfahrt und der quadratische Turm gemauert wurden. Schaut man von der Elbe empor, zeigen sich im Hintergrund die Reste der Burganlage, die die ganze nördliche Uferpromenade überragen. Sandsteinskulpturen zieren hier den Weg. Unterhalb der Altstadt finden sich die Anlegestellen für Fahrgastschiffe, die hier überwintern, ein kleiner Sporthafen, der zentrale Parkplatz und eine breit angelegte Flaniermeile mit Gastronomie. Das haben die Stadtväter gewiss gut und einladend gemeint, aber dieser Teil der Promenade ist fast zu weitflächig geraten, zu aufgeräumt das Ganze. Der schmale, sich im Schatten der Stadtmauer unter Bäumen dahinschlängelnde Fußweg vermittelt weitaus mehr von der Atmosphäre mittelalterlicher Zeit.
Imposante Tore in der Stadtmauer
Aber klar wird: Man hat sich wirklich bemüht, diese Perle am Rande der Altmark (Sachsen-Anhalt) zu erhalten, zu pflegen und ihren ganzen Charme mit den Fördermitteln des Landes zur Geltung zu bringen. Ein Glücksfall für die Stadt. Weitere Eindrücke erhält, wer zunächst die Altstadt im weiteren Verlauf der Mauer umrundet. Das ist leicht und gemächlich schlendernd gut zu schaffen, da alles in Tangermünde höchst übersichtlich bleibt. Von den Stadttoren ist das südlich gelegene Neustädter Tor wohl das Sehenswerteste. Dort verweist ein Fries aus Schildblenden auf Herrscher und Königshäuser, die mit der Stadtgeschichte eng verbunden waren. Dass die Schilder schräg gestellt sind, sollte den anrückenden Fremden signalisieren, dass ihre Träger überaus friedlich gesinnt waren.
Ruhe und Frieden – das war durchaus im Sinne Tangermündes. Denn die verkehrsgünstige Lage des Marktfleckens unmittelbar an der Elbe, die hier über einen Furt mit Kutschen zu durchfahren war, förderte einen schwunghaften Handel mit Holz, Salz und Tuchen, vor allem aber mit dem „Kuhschwanz"-Bier, das bis heute gebraut wird. 82 Brauhäuser für diesen besonderen Gerstensaft gab es einst, das Wasser dafür wurde aus der Tanger geschöpft, seine Würze, so das Gerücht, erhielt es durch die am Ufer weidenden Kühe, die ihre Schwänze in das Flüsschen baumeln ließen. Der Handel machte die Bürger wohlhabend, und er war bedeutend genug, um 1368 Mitglied der Hanse zu werden. Kaiser Karl IV. schätzte Tangermünde so sehr, dass er die Stadt zu seinem Herrschaftssitz ausbauen und zum Zentrum der nördlichen Reichshälfte machen wollte. Die Burg Karlstein in Böhmen diente als Vorbild für den Umbau der hiesigen Anlage. Auch Friedrich I., Kurfürst von Brandenburg, liebäugelte anfangs mit Tangermünde, bis er sich dann doch für Berlin-Cölln entschied. So blieb dem Städtchen erspart, sich als Hauptstadt des Reiches aufplustern zu müssen. Im 15. Jahrhundert blühte Tangermünde auf, und davon zeugt vor allem das 1430 erbaute Rathaus im Zentrum der Altstadt, das repräsentative Wahrzeichen im Stile der Spätgotik. Bislang kein Bildband der Stadt, kein Vorzeigekalender der späteren DDR verzichtete auf die nachts hell erleuchtete, 24 Meter hohe Schauwand des Gebäudes, das nicht von ungefähr ein wenig an das Lübecker Rathaus erinnert. Den Erbauer holten sich die stolzen Ratsherren aus dem Ostseeraum, es war Hinrich Brunsberg aus Stettin, zu diesen wohlhabenden und einflussreichen Handelskreisen fühlte man sich zugehörig.
Im 15. Jahrhundert blühte Tangermünde regelrecht auf
Vom Rathausplatz aus, wo sich auch das Touristenbüro befindet, kann man sich nun treiben lassen, die Lange Straße hinauf, die Kirchstraße hinunter, beide parallel verlaufenden Haupt- und Einkaufsstraßen der Altstadt. Das Zentrum ist in Form eines Rechtecks angelegt, nicht länger als 700 Meter und nicht breiter als 300 Meter. Hier konzentriert sich das meiste: die städtebaulichen Attraktionen, Geschäfte, Gastronomie, Hotels. In Tangermünde ist überhaupt alles zu Fuß zu erreichen. Die alles überragende St. Stephanskirche, der Hünerdorfer Torturm, der später als Gefängnis diente, die zahlreichen, liebevoll restaurierten Fachwerkhäuser, die fast alle aus dem 17. Jahrhundert stammen. Nur von dem Burggelände, das wenige Gehminuten außerhalb der Altstadt liegt, sollte man sich nicht allzu viel erwarten. Zu sehen sind zwar die Burgtürme und die Alte Kanzlei im Innenhof, aber eine vollständig erhaltene mittelalterliche Burg gibt es nicht mehr. Es entschädigt gehobene Gastronomie mit wunderschönem Ausblick auf die Elbe und die Auenlandschaft. Nicht weit von hier liegt auch Schönhausen, der Geburtsort Otto von Bismarcks. Ein anderer Prominenter hat Tangermünde ein literarisches Denkmal gesetzt. Theodor Fontane griff in einer Novelle die Geschichte von Grete Minde auf, die vom Rat der Stadt als Brandstifterin des verheerenden Infernos von 1617 beschuldigt und qualvoll auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurde. Bewiesen wurde die Tat nie. So war es vielleicht das schlechte Gewissen der Stadt, die 2009 (!) ein Grete-Minde-Denkmal am Rathaus aufstellen ließ.
Dass Tangermünde so gut erhalten geblieben ist, verdankt es ausnahmsweise der DDR, die ansonsten Altstädte gern verrotten und abreißen ließ. Die volkseigene Defa brauchte nämlich die historische Kulisse für zahlreiche Filme, und auch nach der Wende bevölkern Kamerateams und Schauspieler gern die Stadt für Dreharbeiten. Dennoch ist der Tourismus mit konstanten Übernachtungszahlen die wesentliche Einnahmequelle. Es gibt ein kleines Industriegebiet im Norden der Stadt, aber wirklich Arbeit gibt es nur in den umliegenden Großstädten Magdeburg, Hamburg und Berlin. Berufspendeln ist hier normal. Tagesbesucher, Mittelalterfans und Radler, die den Elbe-Radweg entlangfahren, stellen das Gros der Besucher. Ganz sicher reichen für einen flüchtigen Eindruck einige Stunden. Aber wer einmal in Tangermünde war, kommt meistens wieder. Und dann bleibt man gern länger, weil es sich lohnt.