Bischofsgrün im Fichtelgebirge lockt Wanderer mit gleich zwei Gipfeln über 1.000 Meter. Am Ochsenkopf können Besucher das ganze Jahr über etwas erleben. Der Schneeberg ist dagegen ein stilles Naturschutzgebiet, in dem sich Luchs und Auerhuhn zu Hause fühlen.
Es war ein besonders dreister Fall von Produktpiraterie. 1957 wurde in Bischofsgrün im Fichtelgebirge die neue Skisprungschanze eingeweiht – die erste in der westlichen Welt mit einer Mattenschanze, die eine ganzjährige Nutzung erlaubte. Zuvor gab es eine solche Technologie nur jenseits der Mauer im sächsischen Klingenthal. Bei einem Wettkampf dort hatte eine Delegation aus Bischofsgrün kurzerhand ein kleines Stück der Kunststoffmatten abgeschnitten und mitgenommen, um die Innovation in ihrem Ort ebenfalls umzusetzen.
Mit Erfolg: Bischofsgrün war danach jahrelang eine Top-Adresse im Skispringen – bis heute wird auf der Ochsenkopfschanze regelmäßig abgehoben. Während diese Idee also gnadenlos abgekupfert war, ist Bischofsgrün in anderer Hinsicht ziemlich einzigartig. Gleich zwei Gipfel über 1.000 Meter sind vom Ort aus zu Fuß erreichbar – bei guter Kondition schaffen Wanderer sogar beide an einem Tag. Das gibt es in deutschen Mittelgebirgen sonst nur noch im Schwarzwald und im Bayerischen Wald. Wobei die beiden Tausender von Bischofsgrün – der Schneeberg mit seinen 1.051 Metern und der 1.024 Meter hohe Ochsenkopf – kaum unterschiedlicher sein könnten: Der Schneeberg ist zwar der höhere von beiden, doch weil der Gipfel während des Kalten Krieges Sperrgebiet war, ist er bis heute touristisch kaum erschlossen.
Downhill-Parcours für Mountainbiker
Mitte der 90er-Jahre gab es zwar kurzzeitig Pläne, in den ehemaligen Militäranlagen ein Gipfelrestaurant zu eröffnen, doch diese wurden verworfen. Stattdessen ist das Gebiet um den Schneeberg bis heute Naturschutzgebiet, in dem sich Luchs und Auerhuhn zu Hause fühlen. „Den Schneeberg muss man sich erwandern. Es ist der weitaus ursprünglichere Berg", sagt Wanderführer Manfred Sieber. Der Ochsenkopf dagegen, obwohl etwas niedriger, ist die weitaus bekanntere der beiden Erhebungen, die auch der gesamten Region ihren Namen gab. Es ist der Hausberg des Fichtelgebirges, erreichbar bequem über eine Seilbahn entweder von Bischofsgrün aus oder von der Südseite aus Fleckl. Der Asenturm am Gipfel beherbergt eine urige Gaststätte und bietet einen weiten Blick auf die umliegende Umgebung. Das ganze Jahr über kann man am Ochsenkopf etwas erleben: Neben unzähligen Wanderpfaden locken die aktiven Besucher ein Downhill-Parcours für Mountainbiker, ein Kletter- und Ziplinepark sowie der Alpine Coaster, eine Ganzjahres-Rodelbahn. Im Winter finden sich dort die längsten Skipisten Nordbayerns, diverse Rodelstrecken und der erste zertifizierte Winterwanderweg des Landes. In der Ortsmitte wartet dann mit Deutschlands größtem Schneemann eine weitere „coole" Attraktion. Die schönste Route hinauf zum Ochsenkopf führt über den rund zehn Kilometer langen und erst kürzlich zertifizierten Weißmain-Ochsenkopf-Steig. Dieser führt zunächst entlang des Oberlaufs des hier noch jungen Mains, der an den Hängen des Ochsenkopfs entspringt. Das Wappen der Hohenzollern prangt über der Quelle als sichtbarer Ausdruck von dessen Bedeutung. Überhaupt ist das Wasser neben dem Gestein ein prägendes Element im Fichtelgebirge. Etwa 1.400 Quellen gibt es in der Region, in der allein vier große Flüsse geboren werden: Main, Eger, Naab und Saale. Drei davon entspringen rund um Bischofsgrün; nur die Saale kommt etwas weiter nördlich in der Nähe des Großen Waldsteins auf die Welt.
Wie ein Wildwasserbach plätschert der Main über kleine Stromschnellen hinweg, wobei einen die braune Farbe nicht irritieren sollte, die keine Verschmutzung darstellt, sondern vom umliegenden Moor stammt, das vom Wasser ausgewaschen wird. Der schmale Weg führt über Steine und Wurzeln hinweg, über Brücken und moosbewachsene Felsen – ein richtiger Abenteuerpfad auch für Kinder. Am ehemaligen Floßteich in Karches huscht ein leuchtend blauer Eisvogel übers Wasser. Von dort aus geht es stetig bergan hinauf in Richtung Gipfel. Bald tauchen zwischen den Bäumen riesige Granitblöcke auf, die an gestrandete U-Boote erinnern. Rainer Schreier, Vorsitzender der Ortsgruppe Bischofsgrün des Fichtelgebirgsvereins, stutzt kurz – einige dieser Felsen hat er so selbst noch nicht gesehen. „Früher lagen sie im Wald versteckt. Wenn die Fichten sterben, eröffnen sich auf diese Weise ganz neue Sichtachsen", sagt er.
Goethe war der erste, der sich intensiver mit den bizarren Steinformationen des Fichtelgebirges auseinandersetzte, später auch Alexander von Humboldt. „Der Granit lässt mich nicht los", schrieb Goethe in einem Brief an seine Geliebte Charlotte von Stein. Am 1. Juli 1785 erklomm der Dichter und Naturwissenschaftler den Ochsenkopf – der nach ihm benannte Goethefelsen erinnert bis heute an diesen denkwürdigen Tag. Ursprünglich hieß der Berg einfach Fichtelberg, wobei der Name schon damals das gesamte Gebirge bezeichnete. Der Name Ochsenkopf erschien dann erstmals 1495 in Bergwerksakten, als Lorenz von Ploben aus Nürnberg das Bergwerk auf dem Fichtelberge „bei dem Ochsenkopf" zu Lehen erhielt. Gemeint ist wohl ein in den Fels gemeißelter Stierkopf unweit des Gipfels, der sich bis heute erhalten hat – gewissermaßen die ganze Region in einem Motiv.
Herrliche Aussichten vom Schneeberg
Nach erfolgreichem Gipfelsturm auf den Ochsenkopf geht es am nächsten Tag in Richtung Schneeberg. Der klassische Aufstieg erfolgt hierbei über den Backöfele-Weg, benannt nach einem markanten Felsen am Gipfel, der mit etwas Fantasie die Form eines alten Backofens aufweist und zudem leicht verrußt daherkommt, weil dort früher die Militärposten die Leuchtfeuer entzündeten. Schon bevor die Amerikaner und später die Bundeswehr einzogen, hatte der Berg strategische Bedeutung. Im Kalten Krieg war für Wanderer dann am 1.000-Meter-Stein Schluss – weiter hinauf ging es nur mit Sondergenehmigung. Zunächst führt der Pfad jedoch über den idyllischen Ehrenfriedhof unweit der Höhenklinik, den dessen Direktor Rudolf Dürrbeck einst mitten im Wald für die Soldaten des Ersten Weltkriegs anlegen ließ. Im Morgengrauen glänzt der Tau auf den Grabsteinen, dazwischen entdeckt man immer wieder kleine Skulpturen. „Herr Dürrbeck hatte wohl einen kleinen Denkmalfimmel", meint Wanderführer Manfred Sieber augenzwinkernd. Doch die schönsten Motive bietet immer noch die Natur. Am Wegesrand wachsen Fingerhut, Fuchskreuzkraut und Zunderschwämme, die aussehen wie Spritzgebäck. Auf den Forstwiesen blühen je nach Jahreszeit Arnika und Orchideen. Auf der Blockhalde am Haberstein sonnt sich die seltene Kreuzotter gern. Auch die Blockhaldenwolfspinne hat seit der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren auf der größten natürlichen Blockhalde des Fichtelgebirges überdauert.
Einst reichte das Gebirge an dieser Stelle deutlich höher. Bis zu 1.500 Meter hoch ragten die Gipfel, doch der Granit ist über die Jahre in sich zusammengestürzt. Heute ist der Schneeberg mit 1.051 Metern die höchste Erhebung weit und breit. Vom Dach Frankens mit dem markanten Fernmeldeturm – von den Einheimischen wegen seiner Form „Zigarre" genannt – hat man eine herrliche Aussicht auf den benachbarten Ochsenkopf und bis zum Frankenwald, Thüringer Wald, Vogtland und ins Erzgebirge. Am Horizont ist Bayreuth mit dem Markgräflichen Opernhaus zu erkennen. Weiter unten leuchtet der Fichtelsee zwischen den Bäumen, ein touristischer Anlaufpunkt ersten Rangs, mit Campingplatz, Tretbootverleih und Badestelle. Markierte Wanderwege und ein Bohlenweg führen Spaziergänger durch das größte zusammenhängende Moorgebiet Oberfrankens.
Riesige Granitfelsen türmen sich auf
Auf dem Weg vom Schneeberggipfel zum Fichtelsee passiert man den Nußhardt, mit 972 Metern der dritthöchste Gipfel des Fichtelgebirges. Riesige Granitfelsen liegen übereinander getürmt, als ob ein Riese dort mit Bauklötzen gespielt hätte; dazwischen sind kleine Höhlen entstanden, in denen Manfred Sieber als Jugendlicher auch schon übernachtet hat. Am Nußhardt hat er vor ein paar Jahren auch einen der seltensten Bewohner des Fichtelgebirges getroffen: das Auerhuhn, das inzwischen leider in ganz Europa vom Aussterben bedroht ist. Im Fichtelgebirge hat sich eine der letzten Populationen in Bayern erhalten. Gut versteckt zwischen den Blaubeerbüschen fühlen sich die größten Wildhühner des Kontinents sicher.
Wer nicht das Glück hat, die extrem scheuen Tiere in freier Wildbahn zu erleben, kann dies im Wildpark Mehlmeisel nachholen. „Unser Erfolgsrezept ist, dass die Tiere bei uns tatsächlich zu sehen sind", sagt Betreiber Eckard Mickisch. Tatsächlich bekommt man in Mehlmeisel sogar den Luchs zu Gesicht, der sich in vielen anderen Wildparks meist gut versteckt hält. Zur Fütterung bekommen die Katzen ihr Fleisch nicht einfach bloß ins Gehege gelegt, sondern müssen springen oder klettern, um es sich zu besorgen. Der Park hat ganzjährig geöffnet und zeigt in großen Gehegen noch viele weitere heimische Tiere, darunter auch einen weißen Fuchs – eine absolute Rarität. Zuletzt war in der Gegend 1835 ein solches Exemplar beobachtet worden. „Das ist eine Jahrhunderterscheinung. Ich habe selbst nicht gewusst, dass es so etwas gibt", sagt Mickisch. Auch in dieser Hinsicht ist die Ochsenkopf-Region eben doch einzigartig.