Die Abwahl von Donald Trump als US-Präsident lässt Europa auf ein besseres transatlantisches Verhältnis hoffen. Nach Meinung von Außenpolitik-Experte Prof. Dr. Manuel Fröhlich wird sich Joe Biden aber in der Agenda kaum von Trump unterscheiden.
Herr Prof. Fröhlich, welche US-Außenpolitik erwartet uns ab dem 20. Januar?
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Außenpolitik unter Biden weniger transaktional, kurzfristig oder impulsiv, sondern eher von einem kooperativen Charakter geprägt sein wird. Dazu gehört eine Abkehr von Trumps Vorstellung von Außenpolitik als Nullsummenspiel, bei dem man selbst nur gewinnen kann, wenn der andere verliert. In diesen einseitigen Kategorien denkt Biden nach eigener Auskunft und im Lichte seiner Amtszeit als Vizepräsident nicht. Mit Biden wird auch eine Veränderung der Tonlage einhergehen. Die Außenpolitik wird weniger von Twitter-Nachrichten getrieben sein, sondern es wird wieder eine Professionalisierung der Außenpolitik durch Nutzung des diplomatischen Personals und der Mittel des Außenministeriums stattfinden. Das wurde unter Trump ja zuletzt bewusst kleingespart und übergangen.
Wo wird Joe Biden denn die Politik Trumps fortsetzen?
Biden wird dieselben Baustellen wie Trump haben. Er wird sich auch mit China und Russland auseinandersetzen. Nordkorea und Iran bleiben, was die Atompolitik angeht, auf der Tagesordnung. Gleiches gilt für Syrien und Afghanistan mit Blick auf die Befriedung von Konfliktländern. Im ökonomischen Bereich wird Biden auch wie Trump die Interessen der Amerikaner vertreten, aber der Ton wird sich mäßigen und weg vom kurzfristigen „Deal Making" gehen. Es wird Kontinuitäten in der Prioritätensetzung geben, aber die Zielvorgaben und die Art und Weise der Verhandlung wird wahrscheinlich eine deutlich andere sein.
Trump will bis 15. Januar Truppen aus Afghanistan abziehen. Legt er damit einer Biden-Administration bewusst Steine in den Weg?
Auf der einen Seite legt er ihm Steine in den Weg, da er Biden damit vor die Wahl stellt, entweder eine Aufstockung wieder durchzusetzen, die politische Kosten mit sich bringen wird, oder aber die konsequente Rückführung weiter voranzutreiben, was die USA gegenüber den Alliierten und der afghanischen Regierung noch stärker in Schwierigkeiten bringen würde. Kurz vor der Amtsübergabe solche Fakten zu schaffen ist äußerst unüblich. Trump bekommt diesbezüglich ja auch aus seiner eigenen Partei deutliche Widerworte. Es wirkt wie eine „Resterampe-Politik" in dem Sinne, dass jetzt schnell Dinge gemacht werden, die dazu dienen sollen, kurzfristig vor Schluss noch die eigene Leistungsbilanz zu polieren – unabhängig von den schon mittelfristig zu erwartenden Konsequenzen solcher Schritte. Biden hatte bisher ja gar nicht angekündigt, dass er irgendwo eine Truppenaufstockung beabsichtigen würde. Insofern glaube ich nicht, dass Trump hier eine Anti-Einsatzpolitik zementieren wollte, es geht ihm mehr um das gewünschte Bild, dass er derjenige war,
der die Truppen nach Hause geholt hat.
Kann man Biden politisch im klassischen Rechts-Links-Schema einordnen?
Das Schema ist immer schwieriger anzuwenden. Man kann es konkretisieren, wenn man über einzelne Punkte spricht, wie zum Beispiel den Freihandel. Dieser wurde früher klassischerweise stärker von Republikanern unterstützt; die Demokraten waren da eher zurückhaltend. Trump hat nun aber einen protektionistischen Kurs gefahren und die Republikaner sind ihm weitgehend gefolgt. Nun ist also Biden, der eigentlich eher aus dem zurückhaltenden Lager kommt, dafür zuständig, eine Neujustierung von Freihandelspolitik zwischen Isolationismus und liberaler Öffnungspolitik zu finden. Daher würde ich ihn diesbezüglich als moderat bezeichnen – auch innerhalb des Spektrums der demokratischen Partei. Er hat in die neue Agenda auch progressivere Inhalte aufgenommen, dabei aber auch deutlich vor Augen, dass er seinen Wahlerfolg allenfalls mit dem Kurs der Mitte und nicht mit einem dezidiert linken Kurs erreichen konnte. Signale also an beide Seiten: Von der möglichen Einbindung republikanischer Politiker ins Kabinett bis zum deutlichen Angehen der gesellschaftlichen Benachteiligungen und sozialen Spannungen, die von Trump zuletzt ja nicht nur übergangen, sondern geradezu befeuert wurden.
Heißt das auch, dass Biden Obamas Politik weiterführt?
Er wird natürlich näher an Obama stehen als an Trump. Trump hatte es ja schon fast als persönliche Mission aufgefasst, das Vermächtnis von Obama wieder zurückzudrehen. Biden wird auf ähnliche Weise auch einige Anordnungen Trumps wieder aufheben, aber die Welt ist zugleich vier Jahre weiter. So wird Biden sich sicher bemühen, das Iran-Abkommen wiederzubeleben, aber da haben sich die Ausgangssituation, die Erwartungen und Verhandlungsoptionen stark verändert. Er wird sich auf seine Art und Weise auch verstärkt Asien zuwenden. Die Handelskonflikte sind aber mittlerweile viel stärker akzentuiert. Biden hat sich ja bei der Kritik Chinas auch deutlich aus dem Fenster gelehnt. Also da wird es kein Zurück zur Politik der Jahre 2015 oder 2016 geben.
Joe Biden hat irische Wurzeln. Wie steht er zum Brexit?
Biden hat deutlich gemacht: Wenn das Karfreitagsabkommen von 1998 durch die Loslösung von der Europäischen Union infrage gestellt wird, kann es kein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Großbritannien geben. Er hat seine irischen Wurzeln dabei auch stark betont. Die Iren haben das in ihren ersten Glückwunschschreiben auch freudig zum Ausdruck gebracht. Die Wächter-, Schutz- und Verteidigungsfunktion für das Karfreitagsabkommen, das ja unter Präsident Clinton zustande kam, gilt als wichtiger Bestandteil der Außenpolitik der Demokraten. Das wäre für Trump allenfalls eine nachgeordnete Frage gewesen.
Wird der Druck auf die EU stärker oder schwächer im Hinblick auf China und deren Handelspolitik?
Bestimmte Fragen werden auch weiterhin als Probleme bleiben, gerade auch, weil Trump viele Fässer geöffnet hat, aber keine große Liste von abschließenden Wirkungen oder Effekten ersichtlich ist. So wird der Druck einerseits schwächer werden, weil diese kompromisslose Art der Diplomatie nicht mehr betrieben wird. Auf der anderen Seite könnte man aber auch sagen, dass der Druck gleichzeitig größer wird, weil die EU sich nicht mehr hinter den Eigentümlichkeiten der Trump-Regierung verstecken kann. Manche Forderung aus den USA war durch die Art und Weise bereits politisch so diskreditiert, dass sie nicht als sinnvolle Option diskutiert werden konnte. Biden wird mehr auf Allianzen setzen. Er betrachtet die EU nicht als Konkurrent, der „schlimmer als China" ist, wie es Trump einmal gesagt hat. Vieles von dem, was in der gemeinsamen Politikgestaltung zwischen den USA und Europa offen geblieben ist, kommt jetzt wieder auf der Tagesordnung.
Zum Beispiel die Finanzierung der Nato. Der Druck auf Europa bleibt?
Joe Biden wird auch die von den Europäern gemachten Zielerwartungen für die Erhöhung des militärischen Beitrags einfordern, aber er wird das nicht so tun wie Trump. Hier ist es wieder ähnlich wie bei der chinesischen Konstellation. Viele Fragen der strategischen Ausrichtung, der Ausrüstung und auch der Rolle der EU in der Weltpolitik werden sich jetzt noch mal anders und zugespitzt stellen.
Ist das Image der USA als Weltpolizei damit überholt?
Der Trend der USA zur Zurückhaltung begann schon vor Trump. Historisch kann man da auch eine Pendelbewegung beobachten: Phasen mit mehr außenpolitischem Engagement folgen auf Phasen mit weniger und umgekehrt. Bei Obama gab es schon die Formel des „leading from behind", also nicht immer in der ersten Reihe stehen zu müssen. Unter Trump ist dies radikalisiert worden – allerdings mit der widersprüchlichen Erwartung, dass ein flächendeckender Rückzug aus der Verantwortung zugleich mit der Aufrechterhaltung der Vormachtstellung einhergehen könnte. Es gibt in der US-Bevölkerung eine Erwartungshaltung, sich aus langwierigen Konflikten rauszuhalten oder sich zurückzuziehen. Das eröffnet ein Vakuum, und die Frage wird sein, wie das gefüllt wird. Die USA wird unter Biden sicherlich auch wieder Positionen einnehmen, die Trump widerspruchslos geräumt hat: So wurde der Einsatz für Menschenrechte und bestimmte Werte in der internationalen Politik von Trump konsequent vernachlässigt, was man auch an seinem Kuschelkurs mit Autokraten erkennen kann. Ich denke, auch da wird sich Biden deutlich von Trump unterscheiden.