Mutter, Ehefrau, Lehrerin, künftige First Lady: Jill Biden wird in den kommenden vier Jahren wohl nicht über LangeÂweile klagen. Die Ehefrau von Joe Biden möchte nicht nur ihre berufliche Unabhängigkeit wahren, sondern auch ihren Mann unterstützen – und eigene Themen setzen.
Stress ist sie gewohnt. Nicht selten eilte im Northern Virginia Community College eine blonde Lehrerin ins nächste Badezimmer, um in ein Cocktailkleid zu schlüpfen, bevor sie zu einem Empfang ins Weiße Haus fuhr. Als erste „Second Lady", die – neben gesellschaftlichen Empfängen an der Seite ihres Mannes – einer beruflichen Tätigkeit nachging, gehörten solche Aktionen zu Dr. Jill Bidens Alltag. Ihre Bodyguards verkleideten sich als Collegestudenten, um nicht aufzufallen. Liefen mit Rucksäcken und Lehrbüchern über den Campus. Die in den Philadelphia ÂSuburbs aufgewachsene Pädagogin spricht in ihren Memoiren von einem „Doppelleben", das sie führe – „gefangen zwischen Staatstilgungen und Zwischenprüfungen". Gestört scheint es die Ehefrau des neu gewählten US-Präsidenten Joe Biden aber nicht zu haben – denn auch als First Lady möchte sie weiterhin unterrichten. „Ich wollte einfach die Dinge tun, die ich am meisten liebe", sagt sie. Und dazu gehört, im Klassenzimmer zu stehen.
Denn das Streben nach beruflicher Unabhängigkeit ist schon immer ein großes Thema im Leben von „Dr. B.", wie ihre Schüler sie nennen. Mehr als drei Jahrzehnte lang lehrte sie am Community College, an einer Higschool in Wimington und in einer psychiatrischen Klinik für Jugendliche Englisch. Im Jahr 2007 – zu dem Zeitpunkt war Biden 55 Jahre alt – promovierte sie in Erziehungswissenschaften. Zuvor hatte sie bereits zwei Studiengänge mit einem Masterabschluss beendet.
Kein Wunder also, dass Bildung für die 69-Jährige eine besondere Rolle spielt. „Ich will, dass die Leute Lehrer wertschätzen, dass sie ihre Leistung verstehen und den Beruf aufwerten", äußerte sie bereits im Wahlkampf. „Joe weiß, dass die beste Politik nicht von Politikern stammt, sondern von Pädagoginnen wie uns", sagte sie gegenüber Lehrergewerkschaften. Daher, so versicherte sie, würde Lehrern in einer Biden-Regierung „ein Platz am Tisch" zustehen. Ihr Ehemann werde einen Bildungsminister ernennen, der Erfahrung als Pädagoge mitbringe und für eine gerechte Bezahlung und Anerkennung des Berufs kämpfen würde. „Mit Joe bekommen wir Jill", betonte auch die Lehrer-Gewerkschaftschefin Becky Pringle, die für die Zukunft auf einen engen Austausch vertraut.
„Ich will, dass die Leute Lehrer wertschätzen"
Aber nicht nur auf die Entscheidungen ihres Mannes wird sie wohl deutlich mehr Einfluss haben als die aktuelle First Lady Melania Trump auf die ihres Gatten Donald. Auch eigene Themen möchte die sympathische Blondine setzen. Kostenfreier College-Zugang, die Unterstützung von Militärfamilien und das Engagement in der Krebsforschung haben für sie hohe Priorität. Für Letzteres hatte sie 1993 den Verein Bidens Breast Health ins Leben gerufen, nachdem vier enge Freundinnen die Diagnose Brustkrebs erhielten. Besonders wichtig ist der künftigen First Lady aber auch, das gespaltene Land wieder zu einen. Eine Aufgabe, die sie ihrem Mann voll und ganz zutrauen mag: „Wie bringt man eine gebrochene Familie wieder zusammen? Genauso, wie man eine Nation zusammenbringt: Mit Liebe und Verständnis und kleinen Gesten der Güte, mit Mut, mit unerschütterlichem Glauben", sagte sie.
Einen Satz, den man ihr gut glauben kann, wenn man sich die Familiengeschichte der Bidens genauer anschaut. Nicht nur Joe Biden, sondern auch Jill waren zuvor in erster Ehe verheiratet. Jill Biden, geboren als Jill Jacobs, hatte mit 19 Jahren einen Footballspieler geheiratet. Die Beziehung hielt nicht lange. Mit 26 lernte sie Joe bei einem Blind Date kennen, das der Bruder des neu gewählten US-Präsidenten organisiert hatte, nachdem Joe Biden seine erste Frau Neilia und Tochter Naomi 1972 bei einem Autounfall verloren hatte. Zurück blieben der damals frisch gebackene Senator und seine beiden Söhne Hunter und Beau. „Joe sagte den Jungs immer: ‚Mama hat Jill zu uns geschickt. Und wie könnte ich mit ihr streiten?‘", erzählte Jill Biden beim Parteitag der Demokraten im August, bei dem sie aus einem Klassensaal der Brandywine Highschool in Wimington zugeschaltet war. 1977 heirateten die beiden, 1981 kam die gemeinsame Tochter Ashley zur Welt.
Doch auch danach blieb die Familie nicht von Schicksalsschlägen verschont. 2015 starb Joes Sohn Beau, zu jener Zeit Generalstaatsanwalt von Delaware, an einem Gehirntumor. Im Wahlkampf 2020 sorgte Hunter Biden für Furore durch das öffentliche Bekenntnis zu seiner Suchterkrankung und angebliche Verwicklungen in Geschäfte in der Ukraine, vor deren Hintergrund der noch amtierende US-Präsident Donald Trump den Bidens Korruption unterstellte.
Generell hatte Trump die Bidens oft persönlich angegriffen. „Ich habe für Donald Trump keine Schimpfwörter gefunden. Dann hätte ich das Gleiche getan wie er und mich auf sein Niveau hinab begeben", erklärte Jill Biden ihre Zurückhaltung gegenüber den Äußerungen gegen sie, ihren Mann und ihre komplette Familie. Denn Familie ist für sie ein hohes Gut, das sie auch mit allen Kräften zu beschützen versucht.
„Ich bin wahrscheinlich der einzige Präsidentschaftsbewerber, dessen Ehefrau gleichzeitig der Secret Service ist", scherzte Joe Biden nach einer Wahlkampfveranstaltung im März, bei welcher er von zwei Veganismus-Aktivistinnen attackiert wurde, denen sich Jill beherzt in den Weg stellte.
Privat und politisch eine Partnerin auf Augenhöhe
Als warmherziger Familienmensch wird Jill Biden beschrieben. Volksnah, zugänglich, spontan und liebevoll. Und damit ein krasser Kontrast zu ihrer Vorgängerin Melania Trump, die eher als kalt und distanziert gilt. Wo Melania mit ihrem Auftreten und ihrem Stil Akzente setzte, positioniert sich Biden mit Inhalten und Fachkompetenz. Der frühere Gouverneur von Delaware, Jack Markell, beschrieb sie als „Politikexpertin". Besonders bemerkenswert sei ihr „Pragmatismus in allen Gesprächen".
Nicht nur von Politikern und Gewerkschaften wird sie geschätzt, auch auf der US-amerikanischen Onlineplattform „ratemyprofessor.com" scheint sie ihre Schüler überzeugt zu haben: Jill Biden gebe gutes Feedback, sei inspirierend und werde von ihren Schülern respektiert. Aber auch habe sie sich einen Namen für strenge Bewertungen gemacht und dafür, viele Hausaufgaben aufzugeben, heißt es dort.
Doch die promovierte Pädagogin kann auch ganz anders. Bekannt ist sie nämlich auch für ihre Scherze. So soll sie einmal einen Angestellten der Air Force Two erschreckt haben, indem sie sich in einer Gepäckablage versteckt hatte. Auch erzählte sie in ihrem Memoiren davon, wie sie „wütend in einem Bikini durch das Wohnzimmer" gelaufen sei, auf ihrem Bauch das Wort „Nein" geschrieben, als die Spitze der Demokraten 2003 angefragt hatte, ob Joe Biden als Präsident kandidieren möge. Die Familie hatte sich dagegen entschieden. Und Biden trat nicht an.
Eine Partnerin auf Augenhöhe, auf deren Rat der bald mächtigste Mann der Welt mit Sicherheit vertrauen wird. „Sie ist die Liebe meines Lebens und der Fels in der Brandung unserer Familie", sagte Joe Biden über seine Angetraute. Und vielleicht wird die First Lady bald auch genau das für eine ganze Nation werden, während sie erneut vom Klassenzimmer ins Oval Office eilen wird.