Die Infektionszahlen stabilisieren sich, allerdings auf sehr hohem Niveau. Die Verlängerung des Teil-Lockdowns hatte sich abgezeichnet. Die Krisenbewältigung wird das Bundestagswahljahr 2021 bestimmen.
Die Vorweihnachtszeit 2020 dürften die wohl mit Abstand besinnlichsten Adventswochen der vergangenen Jahrzehnte werden, denn die Menschen werden bis mindestens zum Winteranfang viel Zeit mit sich allein verbringen müssen. Zeit, um mit einem Buch und Gebäck auf der Couch in sich zu kehren. Andere werden es wohl weiter vorziehen, auf der Straße auf sich aufmerksam zu machen. Ein Großteil der Menschen in Deutschland wird wohl Variante eins wählen, doch auch bei ihnen mehren sich die Zweifel an dem Sinn der Corona-Maßnahmen. Kein Wunder, denn diese werfen viele Fragen auf, weil sie in Teilen widersprüchlich erscheinen. So musste zum Beispiel Antje W. aus Brandenburg ins Homeoffice, da ihre Kollegin im Schnelltest positiv auf Corona angeschlagen hatte. Der zweite Test war dann negativ, Antje W. konnte wieder ins Büro des örtlichen Energieversorgers, ihre Kollegin musste dagegen weitere zehn Tage von zu Hause aus arbeiten. Bereits seit Mitte November sind alle Mitglieder der Bundesregierung angehalten, prominent die „praktischen Widersprüche" der beschlossenen Maßnahmen zu erklären. Allen voran Kanzleramtsminister Helge Braun, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und die Kanzlerin selbst. Einzige Botschaft: Es führt kein Weg um diese Maßnahmen herum, dieser Winter wird uns Bundesbürgern einiges abverlangen.
Bei der Verkündung der immer gleichen Botschaft zeigte sich Angela Merkel in der Durchführung in ihrer Art konsequent effektiv. Immer samstags erscheint ihre Videobotschaft. Dabei brachte Merkel das Kunststück fertig, aktuell einzusteigen, um sich dann selbst für einen weiteren Beitrag anzumoderieren. Anschließend folgte ihr Videopodcast von der Vorwoche. Sinngemäße Begründung Merkel on air: Da ich jetzt sowieso wieder das erzähle, was ich letzte Woche schon gesagt habe, nehmen wir doch das schon gesendete Stück, ich muss ja nicht immer das Gleiche mit anderen Worten wiederholen. Dann wurde der Videopodcast der Woche davor gesendet. Immerhin konsequent, auch wenn das bei einigen eher für Heiterkeit sorgte.
Merkels Video passt zweimal hintereinander
Den meisten Bundesministern in der Regierung ist dagegen das Lachen vergangen, egal ob bei der Union oder der SPD. Unlängst zeigte Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei einer internen Sitzung ihre Enttäuschung über die Kommunikation bei der Verhängung des zweiten Lockdowns. Auch ihre SPD-Regierungskollegin aus dem Umweltressort, Svenja Schulze, pflichtete ihr bei und ist ebenfalls nicht eben glücklich über die Außendarstellung, sowohl vom Kanzleramt, als auch von den Ministerpräsidenten. Vor allem, dass anfangs der Eindruck erweckt wurde, am 1. Dezember startet das Leben nach dem sogenannten Lockdown light wieder richtig durch, und das Weihnachtsgeschäft, inklusive Weihnachtsmarkt gehe in die Vollen. „Jetzt müssen wir im Wahlkreis wieder viel erklären, die Heimatauftritte sind absolut nicht vergnügungssteuerpflichtig", entfuhr es am Mittwoch nach der Verkündung der Verlängerung, dem Referenten eines Bundesministers in der Kantine des Paul-Löbe-Hauses. Dieses Unverständnis für Einzelmaßnahmen oder aber der geballte Unmut in Teilen der Bevölkerung entlud sich bereits vor der Verlängerung der Pandemie-Maßnahmen.
Am Tag der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz und den umstrittenen Paragrafen 28a krachte es nicht nur vor dem Bundestag, sondern auch in den Räumen des Hohen Hauses. Zum ersten Mal seit 31 Jahren fuhren vor dem Brandenburger Tor wieder Wasserwerfer auf. Damals, im November 1989, waren es Fahrzeuge der Grenztruppen der DDR. Nun fuhr die Berliner Polizei ihren neuesten Wasserwerfer-Typ auf und versuchte, gut 10.000 Demonstranten auseinanderzutreiben, die genau solche Bilder provozieren wollten. Im Parlament trieb gleichzeitig der Politik-Pöbel sein Unwesen. Drei AfD-Bundestagsabgeordnete hatten die Störer als ihre Gäste eingeladen, und die gingen Politiker aller Parteien massiv an. Im Bundestag herrschte an diesem Tag Alarm, selbst Bundestagsabgeordnete mussten Taschenkontrollen über sich ergehen lassen. Doch die teilweise polizeibekannte rechte Agitprop-Truppe marschierte durch, machte die Bilder keineswegs heimlich, sondern brutal offensiv. Mit professionellem Gimbel (Teleskoparm), oben darauf ein Hochleistungs-Smartphone marschierten sie in Bereiche ungehindert auf, in denen weder gefilmt noch fotografiert werden darf. Holt dort ein akkreditierter Reporter seine Kamera raus, gibt es sofort richtig Ärger. Doch an diesem Tag mit Sicherheitsstufe eins war von den Saaldienern und schon gar nicht von der Bundestagspolizei irgendetwas zu sehen. Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) musste sich minutenlang beschimpfen lassen. Solche Vorgänge werfen viele Fragen auf, die nun auch wieder einmal Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) höchstpersönlich aufzuklären versucht.
Sicherheitsmängel im Reichstagsgebäude offengelegt
Das Corona-Jahr hat offensichtlich auch erhebliche Sicherheitsmängel des Parlamentsgebäudes selbst offengelegt. Im Sommer werden zehn Greenpeace-Aktivisten mit gut 200 Kilo Bergsteiger-Ausrüstung ins Gebäude geschleust, damit sich diese dann vom Dach des Westportals abseilen konnten. Dann ist die Haupttreppe bei einer polizeilichen „großen Lage" überhaupt nicht geschützt. Durchgeknallte Reichsbürger um Tamara K. stürmen die Freitreppe, drei Polizisten verhindern das Schlimmste. Nun tobt der rechte Polit-Pöbel durchs Haus, Bundestagspräsident Schäuble ist fassungslos, personelle Konsequenzen beim Sicherheitspersonal sollen noch bis Weihnachten fallen. Nach eigenem Selbstverständnis will der Bundestag als Ort der Demokratie ein offenes Haus sein. Genau darauf dürften die gezielten Provaktionen gerichtet sein.
Doch das sind nicht die einzigen Fragen, die das Pandemie-Jahr aufwirft. Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz macht sich erhebliche Sorgen. Der Bundeshaushalt 2021 ist zwar weitgehend unter Dach und Fach, aber die Corona-Risiken könnten aus dem sozialdemokratischen Finanzminister der „Schwarzen Null" dann doch noch einen wahren „Schulden-Hannes" machen. Bereits jetzt steht fest, dass noch nie in der Geschichte ein Vorgänger binnen zwölf Monaten so viel Schulden auftürmte wie der SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister. Nicht mal Parteifreund Hans Matthöfer im Krisenwinter 1981/82 hat das geschafft. Nicht viel besser ergeht es seinem SPD-Kollegen Hubertus Heil. Auch der Arbeitsminister wird wohl seinen Haushalt reichlich überdehnen müssen. Hubertus Heil steht vor vielen Arbeitnehmerfragen. Die allerwichtigste ist wohl, wie weit die Ausweitung des Zeitraums für das Kurzarbeitergeld noch gehen soll. Mit den jüngsten Beschlüssen könnte das Kurzarbeitergeld zu einem arbeitsmarkpolitischen Vehikel für Vollzeitjobs geraten, wie vor 16 Jahren die Hartz-IV-Hilfen für Aufstocker in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Und Wirtschaftsminister Peter Altmaier fragt sich, wie er im Frühjahr die Konjunkturprogramme finanzieren will, wenn die gröbsten Pandemie-Einschränkungen wieder aufgehoben werden. Denn dann werden alle Branchen nach Unterstützungs- und Fördermaßnahmen schreien. Die Verteilungskämpfe fallen dann mitten in den Bundestagswahlkampf. Da wird keiner dem anderen gönnen, gute Nachrichten verkünden zu können. Umgekehrt zwingt die Krise alle zu weiteren Unterstützungen. Und sollte mit dem Impfstoff ein Stück Normalisierung in Sicht sein, stehen wieder alle Zukunftsfragen auf der Agenda, die in der Pandemie etwas in den Hintergrund gerückt waren.