Welchen Einfluss hat das Klima auf die menschliche Psyche? Werden Menschen im dunklen Norden häufiger depressiv? Und wie wirkt sich der Klimawandel auf unsere mentale Gesundheit aus? Ein Gespräch mit dem Psychologen Peter Walschburger.
Herr Professor Walschburger, inwiefern beeinflusst das Klima, in dem wir leben, unsere mentale Gesundheit?
Soziologen, Gesellschaftswissenschaftler und Philosophen unterscheiden häufig sehr streng zwischen der Biologie, dem Natürlichen, und dem Menschlichen. Man richtet dort die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Gesellschaftsformen und nimmt an, dass sie den Menschen prägen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Biopsychologisch betrachtet ist der Mensch ein Kulturwesen, das in der Natur verwurzelt ist. Wir Menschen sind also Kinder unserer Natur, und zu der gehört eben auch das Klima.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie sich das Klima auf die menschliche Psyche auswirkt?
Es gibt eine enge Beziehung zwischen unserer Stimmung und physikalischen Merkmalen wie Licht und Temperatur. Auch wenn das Klima natürlich viel mehr ist als nur Sonnenstrahlen, prägen gerade das Licht und sein Wechsel zwischen Sommer und Winter unsere Stimmung doch ganz massiv. In unseren Breiten ist das Tageslicht im Winter sehr viel schwächer und kürzer, deswegen schlafen wir in dieser Jahreszeit zum Beispiel länger und nehmen leichter zu. Es kommt zu einer Zunahme gedämpfter Stimmungslagen, bis hin zu saisonalen, lichtabhängigen Winterdepressionen, die allerdings eher selten auftreten. In den Medien wird dann gern vom „Winter-Blues" gesprochen. Andererseits spüren die meisten Menschen im Frühling und Sommer eine körperliche Vitalisierung, ausgelöst durch bestimmte Hormone, die wiederum vom Licht aktiviert werden. Plötzlich sind die Leute wieder extrovertierter, ziehen sich leichter an, flirten. Das Leben spielt sich wieder mehr draußen ab, in den Cafés und Biergärten. In den südlichen Ländern kann man dieses Phänomen fast das ganze Jahr über beobachten. Aber je länger die Sommer hierzulande andauern, desto stärker erleben wir auch in Deutschland eine Mediterranisierung unseres Lebens.
Heißt das umgekehrt, dass ein kaltes Klima unserer Psyche eher nicht zuträglich ist? Ist es vielleicht kein Zufall, dass zum Beispiel aus Finnland, wo es im Winter monatelang dunkel ist, immer wieder von erhöhten Suizidraten berichtet wird?
Dazu gibt es widersprüchliche Erkenntnisse. Zwar schlägt die lange Winternacht den Menschen im Norden zum Teil tatsächlich massiv aufs Gemüt. Aber es gibt deshalb dort zum Beispiel nicht wesentlich mehr Menschen mit Depressionen als anderswo. Die Menschen und Tiere, die schon immer dort gelebt haben, passen sich mit der Zeit an die besonderen Umstände an; die „Robusteren" setzen sich über einen erhöhten Fortpflanzungserfolg langfristig durch. Der Mensch ist ein Anpassungskünstler an verschiedene Umwelten. Nehmen Sie als Extrembeispiel die Inuit in der Arktis. Solange es das Eis gab und das Ökosystem noch intakt war, konnten sie dort gut leben, auch wenn es aus unserer Sicht extrem hart erscheint.
Sie haben es schon angedeutet: Was passiert, wenn sich wie beim Klimawandel die gewohnte Umwelt verändert?
Dann wird es kritisch. Die natürliche Evolution des Menschen schreitet langsamer voran als seine technisch-organisatorischen Produkte, zu denen auch die menschgemachten Veränderungen des Klimas gehören. Das bedeutet, dass sich unsere „zivilisierte" Umwelt heute immer mehr von dem natürlichen Biotop entfernt, an das wir uns im Verlauf einer Jahrmillionen alten Evolution angepasst haben – mit Folgen für unsere körperliche Gesundheit und unser Wohlbefinden.
In Australien begehen Farmer vermehrt Selbstmord, weil die fortschreitende Dürre ihnen die Lebensgrundlage entzogen hat. Den Inuits in der Arktis schmilzt ihre vertraute Umgebung regelrecht unter den Füßen weg. Führt der Klimawandel also zu einem Identitätsverlust, so dass man sich irgendwann fragt: Was mache ich hier eigentlich?
Unter einem ähnlichen Verlust ihrer naturnahen, gewohnten Lebensbedingungen leiden auch viele Menschen bei uns. Extremwetterlagen mit Dürre, Hitze und Überschwemmungen gibt es auch hierzulande vermehrt, sodass sich der Klimawandel kaum noch abstreiten lässt. Immer mehr Menschen sind auch in Deutschland unmittelbar davon betroffen. Vor allem die jüngere Generation sorgt sich um ihre Zukunft. Eine Anklage von Fridays for Future lautet: „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut."
Das persönliche Erleben von Naturkatastrophen kann unser seelisches Wohlbefinden aushebeln. Nach dem Hurrikan Katrina wurde in New Orleans und Umgebung eine deutliche Zunahme von Angststörungen und Depressionen registriert. Ist die Klima-Angst in Deutschland im Vergleich dazu nicht eher abstrakter Art?
Auch weiter entfernte Naturkatastrophen werden uns heutzutage über die Medien so eindrucksvoll nahegebracht, dass sie viele Menschen sehr bedrücken und belasten. Im Übrigen stellen auch die sozialen Konflikte, die sich über den Klimawandel entspinnen, eine zunehmende Belastung dar. Zwar ist der Klimawandel mit seinen Effekten inzwischen in ein Stadium eingetreten, in dem immer mehr Menschen klar wird, dass sich etwas ändern muss. Gleichzeitig ist aber die große Mehrheit noch nicht bereit, persönliche Veränderungen oder gar Einschnitte im Lebensstil hinzunehmen. Das ist für diejenigen, die eine Verantwortung dafür spüren, dass man unmittelbar etwas unternehmen muss, eine sehr frustrierende Erfahrung.
Sind psychische Klimafolgen medizinisch und gesellschaftlich bereits anerkannt?
Wenn man von den posttraumatischen Folgen der Klimakatastrophen absieht, wirken klimatische Bedingungen eher hintergründig auf das emotionale und soziale Klima ein. So sind etwa die Menschen im mediterranen Raum – als Gruppe betrachtet – emotional expressiver als die Menschen, die nahe am Polarkreis leben. Das Thema der Klimaschwankungen wird im Übrigen von den Meteorologen selbst sehr behutsam behandelt, weil sie wissen, wie schwer es ist, aus den stark schwankenden Wetterabläufen die langfristigen Trends herauszuarbeiten. Es gibt in der Medizin und Psychologie noch zu wenig aussagekräftige Studien dazu. Aber das Thema wird uns in Zukunft immer stärker beschäftigen.