Die Initiative „Designetz" zieht Bilanz. Kurz gesagt, es funktioniert: In einem Schaufenster moderner Energieversorgung zeigten saarländische Unternehmer und Forscher, wie ein Energienetz der Zukunft aussehen könnte.
Die Energiewelt im Wandel. Deutschland steigt gleichzeitig aus Atomenergie und fossiler Erzeugung aus. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll den weiter steigenden Energiebedarf stillen. Halten die Energienetze diesen Zuwachs volatiler Einspeisung aus? Wie müssen die Netze ertüchtigt werden? Damit befasst sich Designetz, das bislang umfassendste Demonstrationsprojekt zur Integration erneuerbarer Energien in das Versorgungsnetz. Designetz erstreckt sich über drei Bundesländer: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland.
Vier Jahre lang haben Forscher, Wissenschaftler, Energieversorger und Industrieunternehmen an Lösungsmodellen für die intelligenten Energienetze der Zukunft gearbeitet. Im November dieses Jahres zogen die beteiligten Partner im Saarland Bilanz. Mit ermutigenden Ergebnissen.
Denn die Zeit drängt, soll die Energiewende entscheidend vorangebracht werden und der Ausstieg aus der „fossilen" Energiewirtschaft gelingen. Das Klima duldet weder einen weiteren zeitlichen Aufschub noch weitere Verzögerungen durch politisches Geplänkel um den richtigen Weg, damit die fortschreitende Erderwärmung deutlich gebremst wird. Die Anforderungen insbesondere an die Industrienationen sind immens, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens aus dem Jahr 2015 noch erreicht, sprich die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad bis 2050 gegenüber vorindustrieller Zeit begrenzt werden soll. Das heißt im Klartext: drastische Reduktion des klimaschädlichen Kohlendioxids, und zwar in allen Bereichen, bei der Energieversorgung, in der Industrie, im Verkehr und auf dem gesamten Wärmesektor.
Vier Jahre Arbeit an intelligentem Netz
Deutschland sieht sich bei der Energiewende gern in der Rolle des internationalen Vorreiters und will bis 2050 klimaneutral sein. Der deutschen Energiewirtschaft kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Marksteine auf diesem Weg lauten Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Über den Ausstieg aus der Atomenergie mit dem Abschalten des letzten Atomkraftwerks 2022 besteht gesellschaftlicher Konsens. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 ist beschlossene Sache, der Ausbau der regenerativen Energien auf 65 Prozent der Stromerzeugung bis 2030 ebenso bei gleichzeitiger Zunahme des Bruttostromverbrauchs um über 25 Prozent. Im gleichen Jahr könnten rund 14 Millionen Elektrofahrzeuge auf deutschen Straßen fahren sowie rund sechs Millionen Stromerzeuger wie Solaranlagenbetreiber oder Windmüller ihren dezentral selbst erzeugten Strom durch die Netze schicken. Ein Stresstest sondergleichen für die deutschen Stromnetze, die ursprünglich für solche Anforderungen nicht konzipiert wurden.
Was also tun, wenn zum Beispiel der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint, aber die Industrie Strom und Wärme braucht? Wohin mit dem zu viel erzeugten Strom aus Windkraftanlagen an einem arbeitsfreien Sonntagnachmittag? Wie stabil ist das Stromnetz, wenn etwa fünf Millionen Elektroautos gleichzeitig Strom tanken wollen? Welche Flexibilität braucht ein Energienetz, um Strom an jeden Ort zu jeder Zeit transportieren zu können? Wie geht man mit der Flut an Energiedaten um unter Berücksichtigung des Datenschutzes? Gleichzeitig muss die Energieversorgung 24 Stunden am Tag sicher und zuverlässig sein und letztlich für alle Verbraucher auch bezahlbar bleiben. Rund 110 Milliarden Euro könnte der Ausbau intelligenter Energienetze nach einer Studie der Technischen Universität Aachen bis 2050 kosten. Wie soll aber bei den Menschen Begeisterung für eine Selbstverständlichkeit aufkommen, nämlich dass der Strom aus der Steckdose kommt? Wichtige Prämissen, unter denen alle beteiligten Partner an Designetz geforscht, getestet und für die Praxis taugliche Ergebnisse erarbeitet haben.
30 Energieprojekte haben Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft bei Designetz in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland vier Jahre lang unter die Lupe genommen. Auf 66 Millionen Euro, davon 30 Millionen aus dem Wirtschaftsministerium in Berlin, belief sich das Projektvolumen. Die Projekte reichen von der Suche nach Speichermöglichkeiten für Strom, über die sogenannte Sektorenkopplung etwa zur Umwandlung von Strom in Gas oder Wärme bis hin zu einer innovativen digitalen Netzführung.
Im Saarland haben VSE, energis-Netzgesellschaft und Stadtwerke Saarlouis in den Netzgebieten Perl/ Mettlach, in Freisen und im städtischen Gebiet Saarlouis untersucht, wie die Stromnetze auf die zunehmende Einspeisung von grünem Strom und neue Lastszenarien wie verstärkte Elektromobilität flexibler reagieren können. Zum Einsatz kamen dabei unter anderem elektrotechnische Komponenten der Hager Group sowie intelligente Messsysteme des Energiedatenmanagers Voltaris. Für die Datenübertragung und Datensicherheit wurde eigens ein 450-Megahertz-Funknetz aufgebaut.
Schnelles Handeln von der deutschen Politik gefordert
Ganz anders gelagert war das Projekt der Steag GmbH in Dillingen und Völklingen-Fenne. Der Fernwärmespeicher in Dillingen ist über die Fernwärmeschiene mit dem Elektroden-Kessel in Fenne verbunden, der überschüssigen grünen Strom in Wärme umwandelt. Der Fernwärmespeicher ist mit dem Strom- und Grubengasnetz gekoppelt. Die enge Vernetzung der Sektoren Strom, Gas und Wärme kann künftig wetterbedingte Schwankungen ausgleichen, die bei der grünen Stromerzeugung zwangsläufig entstehen.
Damit eine einheitliche sichere Daten- und Diensteplattform entsteht, haben das August-Wilhelm-Scheer-Institut, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Hager Electro, die Hochschule für Technik und Wirtschaft, die Uni des Saarlandes und IS Predict an elementaren Bausteinen eines Betriebssystems für die Energiewende zur Integration der erneuerbaren Energien geforscht. Dieser IKT-Baukasten ist eine wichtige Voraussetzung für ein effizientes Datenmanagement.
Damit die sehr komplexen Themen der Energiewende für die Bürger erlebbar werden, haben die Projektpartner jeweils Haltestellen entlang der Route der Energie eingerichtet. Dort können Interessierte die Forschungsarbeiten zu den intelligenten Energienetzen direkt erleben und sich per App erklären lassen.
Das Zusammenspiel von Forschung und Wissenschaft sowie praktischer Anwendung hat funktioniert. Designetz hat innovative und anwendbare Ergebnisse und Möglichkeiten für die weitere Entwicklung der Energiewende aufgezeigt. Die Technik funktioniert. Jetzt ist die Politik gefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen festzulegen und zwar möglichst schnell, damit der Klimawandel aufgehalten wird, und Deutschland seinen Know-how-Vorsprung bei der Energiewende nicht leichtfertig verspielt. „Noch haben wir das Heft des Handelns selbst in der Hand, aber es ist eine Minute vor 12", mahnt der renommierte Wissenschafts- und Fernsehjournalist Prof. Dr. Harald Lesch in einer Videobotschaft. Jetzt komme es darauf an, schnellstmöglich einen politischen Ordnungsrahmen herzustellen.