Der fast schon unheimliche Lauf von Union Berlin geht weiter. In Köln gelingt den Eisernen ein Arbeitssieg, der Abstand zu den Abstiegsplätzen wird immer größer.
Der eine wurde Weltmeister, der andere wegen fehlender Disziplin aus der Nationalmannschaft geworfen – doch Benedikt Höwedes und Max Kruse schätzen sich gegenseitig. Also antwortete der vom Profifußball inzwischen zurückgetretene Höwedes im Sky-Studio auf die Frage nach einem möglichen Comeback von Kruse im DFB-Team höflich. „Ich finde Max super", sagte der Ex-Schalker, „aber ich sehe ihn nicht noch mal im Kreise der Nationalmannschaft."
Ohne Deutschlands 6:0-Debakel in Spanien wäre die Frage wohl gar nicht erst aufgekommen, ganz klar. Doch würde ein Statistiker und nicht Bundestrainer Joachim Löw den Kader nominieren – Kruse wäre dabei! Beim Auswärtssieg von Union Berlin beim 1. FC Köln gelang dem Angreifer mit dem Treffer zum 1:2-Endstand der neunte Scorer-Punkt im achten Spiel. Das bedeutet ligaweit Platz drei hinter Robert Lewandowski (17) und Erling Haaland (12) – als bester deutscher Profi. Hochgerechnet könnte der frühere Bremer mit diesem Lauf auf 40 Punkte kommen. „Wenn man das hochrechnen könnte, dann wäre das einfache Mathematik und das ist der Fußball nicht", sagte Kruse darauf angesprochen leicht genervt im TV-Interview. Er sei zwar „definitiv froh", dass es persönlich für ihn derzeit so gut laufe, „aber im Endeffekt zählen nur die Punkte. Und die müssen wir uns erarbeiten."
Der Erfolg in Köln fällt definitiv in die Kategorie „Arbeitssieg". Zwei Wochen nach dem 5:0-Rekordsieg gegen Arminia Bielefeld tat sich die Überraschungsmannschaft der bisherigen Saison gegen destruktiv agierende Kölner schwer. „Sie wollten das Spiel einfach nur kaputtmachen und auf Konter lauern", sagte Kruse, der die Tugenden „Kampf" und „Geduld" als Hauptgründe für den Sieg ausmachte: „Wie der am Ende zustande gekommen ist, ist irrelevant." Was zählt, sind die Fakten, und die sind hocherfreulich: 15 Punkte, sieben Spiele in Folge ungeschlagen, Tabellenplatz fünf. Trainer Urs Fischer lobte seine Mannschaft dafür, dass sie sich die ganze Zeit an den Matchplan gehalten und nicht die Geduld verloren habe. Er sei „überglücklich", dass die Spieler in der Euphorie um den herausragenden Saisonstart nicht angefangen haben zu zaubern: „Bei so engen Spielen ohne viel Raum geht es über den Kampf." Das „ekelige" Union-Gesicht, mit dem die Mannschaft im Vorjahr den Klassenerhalt geschafft hatte, „gilt es beizubehalten", forderte Fischer. Bei seinen Spielern stößt der Trainer damit auf offene Ohren. „Wir rufen die Basics gut ab: diszipliniertes Verteidigen, immer kompakt sein, nicht viel zulassen", sagte Kapitän Christopher Trimmel. „Das rufen wir immer ab, danach kommt das Fußballspielen." Spielerisch machte der letztjährige Aufsteiger einen großen Sprung nach vorne, ohne die defensive Organisation zu verlieren. „Wir spielen das, was wir uns vorgenommen und womit im Vorfeld nicht so viele gerechnet haben", sagte Kruse.
„Wir haben 15 Punkte und sieben Spiele in Folge nicht verloren"
Kurz vor dem brisanten Derby am 4. Dezember bei Hertha BSC liegt Union klar vor dem Stadtrivalen. Gibt es in der Hauptstadt eine Wachablösung? Kann sich Union auf den Europacup-Plätzen behaupten? „Wir bleiben auf dem Boden", antwortet Trimmel auf solche Fragen. „Der Klassenerhalt bliebt unser Ziel, das wird sich nicht ändern." Der Österreicher verweist auf die „richtig starken Gegner", die in der zweiten Saisonhälfte noch warten würden. Am vergangenen Samstag zum Beispiel Eintracht Frankfurt. „Deswegen ist es nicht schlecht", so Trimmel, „dass wir jetzt schon ein paar Punkte holen." Und mit jedem gewonnenen Punkt wächst das Selbstvertrauen.
Trainer Fischer sieht seine Mannschaft auf dem richtigen Weg – aber noch längst nicht am Ziel. „Von einer Entwicklung zu sprechen, ist mir noch zu verfrüht", sagte der Schweizer, „da geht es um Konstanz. Aber wir machen Schritte, die uns in der Entwicklung helfen." Siege wie die in Köln, die nicht brillant herausgespielt, sondern hart erkämpft sind, helfen dabei sogar. „Wenn wir solche Spiele mit viel Geduld auch schon gewinnen", meinte Trimmel, „ist das ein gutes Zeichen." Kruse konnte es deswegen auch gut verkraften, dass er gegen Köln mit einem Foulelfmeter an FC-Torhüter Timo Horn scheiterte und damit den alleinigen Rekord von 17 verwandelten Strafstößen in Folge verpasste. Da der 32-Jährige mit dem Nachschuss doch noch den 1:2-Siegtreffer erzielte, war er hinterher zum Scherzen aufgelegt. „Wir haben 15 Punkte und sieben Spiele in Folge nicht verloren – das ist das, worüber die Leute schreiben sollten. Deswegen habe ich ihn nicht reingemacht", sagte Kruse schmunzelnd.
Der unberechenbare Angreifer war aus dem Spiel heraus diesmal kein Faktor. „Max Kruse hat keine Rolle gespielt", sagte Kölns Trainer Markus Gisdol treffend. „Aber beim Elfmeter kannst du ihn halt nicht decken." Auch der FC war im Sommer an einer Verpflichtung von Kruse interessiert gewesen, vor allem Gisdol drängte intern auf den Transfer. Doch die Verantwortlichen bekamen wegen der ungeklärten Vertragssituation bei Fenerbahce Istanbul kalte Füße. Union schlug zu – und lag mit dem ablösefreien Transfer bis jetzt goldrichtig. Die Kölner kauften dafür Union den Torjäger Sebastian Andersson für 6,5 Millionen Euro ab. Der Schwede galt eigentlich als unersetzlich im System der Eisernen, doch die Saison beweist das Gegenteil. Gegen Köln lief Taiwo Awoniyi als Stoßstürmer von Beginn an auf, und der bullige Nigerianer belohnte seinen kämpferischen Auftritt mit dem ersten Saisontor. Der vom FC Liverpool ausgeliehene Awoniyi wird sich wohl auch in den kommenden Wochen als Startelf-Spieler bewähren dürfen, weil Joel Pohjanpalo für unbestimmte Zeit ausfällt.
Bei der finnischen Nationalmannschaft verletzte sich der Angreifer im Nations-League-Spiel gegen Bulgarien am Sprunggelenk. Das ließ Unions Verantwortliche aufhorchen, denn der Knöchel ist Pohjanpalos Achillesverse. Als Profi von Bayer Leverkusen war der Finne im Sommer 2018 nur knapp dem Karriereende entkommen, seine Laufbahn hing quasi an einer nur noch fünf Millimeter dicken Knochenmasse am Sprunggelenk. Damals kehrte Pohjanpalo erst nach 437 Tagen zurück, die Pause dürfte diesmal deutlich kürzer ausfallen. Doch um eine Operation kam der Stürmer nicht herum.
Von größeren Verletzungen ist Kruse bislang verschont geblieben, auch wenn sein Lebensstil nicht immer hochprofessionell ist. „Wenn Max einen etwas anderen Lebensstil und ein bisschen mehr Wille hätte", sagte Höwedes über seinen früheren Teamkollegen in der Nationalmannschaft, „hätte er wahrscheinlich auch woanders spielen können." Diese kleine Stichelei konnte Kruse natürlich nicht auf sich sitzen lassen, er konterte mit einem Schmunzeln in Richtung Höwedes: „Wenn man das reine Talent betrachtet, hat er sehr viel aus seiner Karriere herausgeholt."